Fotografien von Fred Stein in Berlin: Who’s who der künstlerischen Welt
Im Exil in Paris wurde aus dem angehenden Juristen Fred Stein ein Fotograf. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt seine Porträts.
Die Blondine im Hahnentrittjackett, die von ihrer Suppenschüssel aufblickt und den Fotografen, der sie aufnimmt, direkt fixiert, sie ist eine hinreißende Erscheinung. Und so, wie er sie mit ihrem ebenso neugierigen wie ernsthaften Blick festgehalten hat, wundert es nicht, dass der Fotograf für seine Porträts berühmt wurde.
Freilich nicht für die von etwa sechsjährigen kleinen Mädchen in Paris, wie sie eines war, sondern von bekannten bis weltberühmten Erwachsenen. Insofern hat Fred Stein, wie der Fotograf heißt, nur wenige hinreißende Blondinen fotografiert, dafür aber reihenweise bedeutende Männer.
Das hing mit der Zeit zusammen. Alfred, Fred Stein, 1909 als Sohn eines Rabbiners in Dresden geboren, studierte in Heidelberg Jura und war 1933 schon Referendar. Doch als Jude wurde er aus dem Staatsdienst entlassen und, da er zudem Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) war, entschlossen sich er und seine Frau, nach Paris zu emigrieren, wo er seine juristische Ausbildung aber nicht fortsetzen konnte. Also versuchte er sich als Fotograf.
Ein riskantes Unternehmen, denn die Konkurrenz war groß. Paris steckte schon voller aus Deutschland emigrierter Fotografen wie etwa Gisèle Freund, die ebenfalls auf Porträts spezialisiert war, oder Joseph Breitenbach, Gerda Taro, Robert Capa und Chim Seymour. Letztere scheinen Fred Stein Fotoaufträge und Kontakte vermittelt zu haben, etwa zum kommunistischen Magazin Regards. Weitere Veröffentlichungen von Fred Stein finden sich in der illustrierten Wochenzeitung Le Journal Juif.
Who’s who der intellektuellen Welt
Es versammelten sich aber auch viele aus Deutschland geflohene Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und Journalisten in Paris, die hier ihre Exilverbände gründeten. Mitglieder aus dem Journalistenverband wie Arthur Koestler, Hans Marchwitza, Alfred Kantorowicz oder der Schriftführer Hellmut von Gerlach ließen sich von Fred Stein porträtieren.
Exile – Fotografien von Fred Stein, bis 20. Juni, Deutsches Historisches Museum Berlin, mit Vorlage eines tagesaktuellen negativen Coronatests. Besucherinformation: +49 30 20304-750/-751
Der Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur 1935 in Paris bot ihm reichlich Gelegenheit, neben französischer Prominenz wie Henri Barbusse und André Gide auch die Migranten Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Ernst Bloch, Heinrich Mann zu porträtieren.
Diese Fotos zusammen mit denen aus dem Umfeld des Journalistenverbands bildeten dann den Grundstock einer umfangreichen Sammlung von Schriftsteller- und Migrantenporträts, die er nach seiner Emigration in die USA dort systematisch zu einem Who’s who der intellektuellen, literarischen und künstlerischen Welt erweiterte.
So interessant und fotografisch gelungen diese oft ikonisch gewordenen Porträts sind und so aufwühlend die politische Geschichte ist, mit der man sich anhand der Gesichter konfrontiert sieht und der in Vitrinen ausgelegten Dokumente wie Briefe, amtliche Bescheinigungen, Flyer: Es fallen unter den rund 160 ausgestellten Fotografien noch weitere visuell faszinierende Momente auf.
Die Aufnahmen der Stockwerke hoch mit Plakaten beklebten Pariser Hauswand genauso wie die mit chinesischen Wandzeitungen beklebten Hauswand in New York oder das großartige Foto vom vielfach gespiegelten Kinoentree sind sowohl einer wachen Beobachtung als auch einer schnellen, instinktiv ästhetisch richtigen Reaktion geschuldet. Seit Freitag ist der wirklich beachtliche Fotograf wiederzuentdecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos