Fortsetzung der Verhandlungen mit Iran: Hohle Worte der Solidarität
Die EU-Sanktionen gegen Iran sind spärlich. Europa setzt trotz der Menschenrechtslage auf das Atomabkommen und trifft sich sogar mit Regime-Vertretern.
A nnalena Baerbock und Olaf Scholz haben in den vergangenen Wochen starke Worte gefunden, wenn es um die Taten des iranischen Regimes ging. Anfang November schrieb die Außenministerin auf Twitter: „Wir stehen an der Seite der Männer & Frauen in Iran, und zwar nicht nur heute, sondern: so lange es notwendig ist. Wir tragen ihre Stimmen in die Welt.“ Der Kanzler richtete in einer Videobotschaft diese Worte an das iranische Regime: „Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen.“
Tatsächlich muss das iranische Regime weder von Seiten Deutschlands noch der EU mit nennenswertem Widerstand rechnen. Die drei EU-Sanktionsrunden, die es seit Beginn der Protestbewegung Mitte September gab, sind kaum der Rede wert. Es wurden lediglich ein paar weitere Namen und Organisationen auf die Liste gesetzt. Aktuell stehen insgesamt 146 Individuen und 12 Entitäten auf der Sanktionsliste. Der Großteil der Missetäter im Regime bleibt ausgespart. Zum Vergleich: In einer einzigen Sanktionsrunde zu Russland setzte die EU zuletzt fast 200 Individuen auf einmal zusätzlich auf die Liste. Auf der Liste der Entitäten stehen bei Russland: 410.
Die EU scheint dem iranischen Regime also bewusst nicht weh tun zu wollen. Die bisherigen Sanktionen spürt das Regime jedenfalls nicht. Vor allem: Die Revolutionsgarden (IRGC) – die bestimmende Macht im Staate – wurden als ganze Einheit bisher nicht sanktioniert. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Katja Keul erklärte Ende November im Bundestag, die Möglichkeit, die IGRC auf die Terrorliste zu setzen, bestünde erst, wenn es in einem der EU-Mitgliedstaaten entweder Ermittlungen oder eine Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung der IRGC gebe – oder wenn bereits eine Verurteilung erfolgt sei. Diese Auslegung von EU-Recht ist zumindest fragwürdig. Vor allem aber legen die aktuellen Entwicklungen den Verdacht nahe, dass die Erklärung des Auswärtigen Amts mehr Ausrede ist als Tatsache: Denn eigentlich geht es um das Atomabkommen (JCPoA).
Just in dieser Woche traf sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit Hossein Amir Abdollahian, dem iranischen Außenminister. Am Dienstag kamen die beiden Delegationen in Amman zusammen. Ein Foto dokumentiert dieses Treffen; Borrell und Abdollahian sitzen einander gegenüber und lächeln sich zu. Abdollahian beeilte sich denn auch, das Foto auf Twitter zu veröffentlichen und dazu zu schreiben, dass man ein „offenes, freundliches und konstruktives Treffen“ gehabt habe.
Von Regimekräften vergewaltigt
Nur wenige Tage vor diesem Treffen wurde im Iran ein 14-jähriges Mädchen festgenommen, weil sie in der Schule ihr Kopftuch abgenommen hatte. Sie wurde von Regimekräften so lange vergewaltigt, bis ihr Vaginalmuskel riss und sie an den Verletzungen starb. Ihr Tod sorgte weltweit für Entsetzen. Mitte Dezember wurden zwei unschuldige junge Menschen hingerichtet, weil sie gegen das Regime protestiert hatten. Da ist es für einen hohen EU-Repräsentanten wie Borrell schon ein starkes Stück, sich mit einem der Hauptverantwortlichen für diese Menschenrechtsverletzungen an einen Tisch zu setzen und ihm ein solches Propaganda-Geschenk zu bereiten.
Auch Borrell twitterte nach dem Treffen mit Abdollahian: Man habe sich darauf „verständigt, dass man die Kommunikation aufrechterhalten und das JCPoA […] wiederherstellen müsse.“ Tatsächlich war bereits wenige Tage vor dem Treffen in Amman eine Delegation der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Teheran eingetroffen, wenn auch ohne Verhandlungsmandat. Eines ist klar: Die Erklärungen der Bundesregierung, die Atomverhandlungen lägen auf Eis, entsprechen nicht den Tatsachen. Im Gegenteil: Die Priorität der EU scheint auf dem Atomabkommen zu liegen. Dafür scheint man bereit, bei den gravierenden Menschenrechtsverbrechen beide Augen zuzudrücken. Das erklärt auch, warum die Revolutionsgarden nicht auf der Terrorliste landen dürfen: Das wäre für das iranische Regime ein Grund, die Verhandlungen abzubrechen.
Natürlich: Das schlimmste Szenario, der Super-GAU, wären nukleare Waffen in den Händen der iranischen Machthaber. Nur hat das Atomabkommen, das 2015 geschlossen wurde und das nun wieder aufleben soll, das iranische Regime nicht davon abgehalten, sein Atomprogramm in den vergangenen Monaten schnell wieder hochzufahren. Das Abkommen kann das Erlangen von nuklearen Waffen höchstens – auch nur im besten Falle – aufschieben. Nicht verhindern. Gleichzeitig hilft es dem Regime dabei, seine Macht durch noch mehr Vermögen, das durch Sanktionserleichterungen ins Land fließen würde, zu festigen. Derweil wird die Menschenrechtslage im Land ignoriert. Eine Lose-Lose-Situation also.
Frustriert von der EU
Im Iran kommt all das nicht gut an. Viele Menschen, die gegen das Regime sind, sind frustriert. Eine bekannte Menschenrechtsaktivistin, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann, sagte in einem Telefonat: „Wir wollen die Hilfe der EU ja gar nicht. Aber sie sollen uns aufhören, uns auch noch Steine in den Weg zu legen. Das werden wir nicht vergessen.“
Die starken Worte von Annalena Baerbock und Olaf Scholz klingen vor diesem Hintergrund hohl. Was aus der feministischen Außenpolitik geworden ist, möchte man schon gar nicht mehr fragen. Die Menschen im Iran, die unter Einsatz ihres Lebens „Frau, Leben, Freiheit“ rufen, können mit Rückenwind von Deutschland und der EU jedenfalls nicht rechnen. Nur mit Gegenwind.
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