piwik no script img

Forscher über die neue Rechte„Die AfD ist in desolatem Zustand“

Nur Einzeltäter? Der Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer über die rechte Bedrohung und neue Allianzen.

Gemeinsam auf der Straße und dann sagen, rechter Terror geht uns nichts an? Chemnitz 2018 Foto: Michael Trammer/imago
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Heitmeyer, in diesen Tagen erscheint Ihr neues Buch „Rechte Bedrohungsallianzen“. Hat sich an Ihrer Analyse durch die Coronakrise etwas geändert?

Wilhelm Heitmeyer: Das Manuskript war zu Beginn der Coronakrise weitgehend fertig. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse einer Überprüfung durch die Veränderungen, die mit dieser Krise einhergehen, standhalten.

Und: Tun sie das?

Es geht darum, wie das rechte Spektrum in den letzten Jahren in die Offensive gekommen ist. Jetzt ist die Frage, was sich durch die Ablehnung der Coronamaßnahmen bei einem Teil der Bevölkerung verändert hat. Es gibt diese Demonstrationen, bei denen einzelne Personen aus unterschiedlichen Motiven mitlaufen, die aber kein Gruppenbewusstsein haben. Und eben auch Rechte mit ausgeprägtem Gruppenbewusstsein. Diese Mischung kann eine neue Wucht hervorbringen. Aber ob das geschieht, muss man abwarten.

Wilhelm Heitmeyer

75, Soziologe, war Gründungsdirektor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld von 1996 bis 2013. Heitmeyer entwickelte den Begriff der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ und untersuchte deren Entwicklung in der deutschen Bevölkerung in der Reihe „Deutsche Zustände“. Heute arbeitet Heitmeyer als Forschungsprofessor.

Das Buch: Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit, Peter Sitzer: „Rechte Bedrohungsallianzen“. Suhrkamp, Berlin 2020, 325 Seiten, 18 Euro

In Ihrem Buch versuchen Sie, mit Hilfe des „konzen­trischen Eskalationskontinuums“, wie Sie es nennen, die aktuelle Entwicklung der radikalen Rechten zu analysieren. Was verstehen Sie unter diesem Kontinuum?

Wir sind der Auffassung, dass es nicht mehr reicht, das rechte Spektrum parzelliert zu analysieren. Wir müssen soziologische Ursachen von Entwicklungslinien und politische Qualitätsveränderungen aufzeigen, um die Bedrohung der offenen Gesellschaft und der liberalen Demokratie wirklich einschätzen zu können. Das konzen­trische Eskalationskontinuum muss man sich wie eine Zwiebel vorstellen, von der äußeren Schale bis zum Kern. Ganz außen sind die Einstellungen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung, also gegen Muslime, Juden, Obdachlose, Homosexuelle und so weiter. Im Kern sind terroristische Vernichtungsakteure.

Und dazwischen?

Zunächst, als zweite Schicht, die AfD, die wir als autoritären Nationalradikalismus bezeichnen, denn Rechtspopulismus ist eine Verharmlosung. Dann kommen das systemfeindliche Milieu von Rechtsextremisten und Neonazis mit Gewaltorientierung, die klandestinen rechtsterroristischen Planungs- und Unterstützungsmilieus und im Kern eben die Vernichtungsakteure. Die Gruppen werden immer kleiner und immer gewalttätiger.

Im Interview: 

Sehen Sie also eine klare Linie beispielsweise von der AfD bis zu terroristischen Anschlägen wie dem Angriff auf die Synagoge in Halle?

Juristisch natürlich nicht, aber die AfD spielt eine ganz entscheidende Rolle in diesem Prozess der Eskalation und den rechten Bedrohungsallianzen. Und man muss auch die antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung berücksichtigen und die antisemitischen Taten, die noch nicht zum Terrorismus gehören. Deshalb sprechen wir von Legitimationsbrücken. Das heißt: Die Einstellungen in der Bevölkerung liefern der AfD das Material, sie macht daraus politische Parolen wie „Umvolkung“, „Untergang“ oder „messerstechende Invasoren“. Dann arbeitet die AfD mit dem, was ich eine Gewaltmembran nenne …

Heißt, mit etwas, was trennt, aber gleichzeitig durchlässig ist?

Genau. Die verbale Ablehnung von Gewalt wird mit Opfer- und Notwehrmetaphern verbunden. Das ist wiederum die Legitimation für das systemfeindliche Milieu, das schon mit Gewalt hantiert. Und daraus folgen die nächsten Legitimationen für terroristische Taten. So wird das Eskalationskontinuum zusammengehalten.

Warum ist es so wichtig, das ganze Kontinuum in den Blick zu nehmen?

Weil man sonst an vielen Stellen gesellschaftliche Entlastungsstrategien unterstützt. Teile der Bevölkerung, die Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben, meinen ja, dass sie mit rechtsextremen Taten nichts zu tun haben. Aber diese gesellschaftliche Selbstentlastung ist nicht angemessen.

Heißt das, dass Sie Personen, die menschenfeindliche Einstellungen haben, auch Verantwortung für terroristische Taten zuschreiben?

Sie verändern das gesellschaftliche Klima und helfen dabei, bestimmte Gruppen zu markieren, die dann, unabhängig vom individuellen Verhalten, Opfer von Abwertung und Gewalt werden. Diese Teile der Bevölkerung, die bis in die rohe Bürgerlichkeit reichen, sind an diesem Markierungsprozess für die Gewalt beteiligt. Und sie kann deshalb nicht sagen: Das geht uns nichts an.

Macht es keinen Unterschied, wenn diese Menschen selbst Gewalt ablehnen?

Verantwortung haben sie trotzdem. Das eskaliert ja über zwei zentrale innere Zusammenhänge: Zum einen gibt es eine durchgehende Linie der Ideologie der Ungleichwertigkeit und dann geht es zum zweiten um das Verhältnis zur Gewalt. Man kann nicht einfach den Terrorismus aus der gesellschaftlichen Entwicklung aussondern. Er hängt mit dem gesellschaftlichen Klima und auch dem Agieren politischer und staatlicher Eliten zusammen.

Sie haben das Ganze an den Ereignissen in Chemnitz im Jahr 2018 durchdekliniert. Warum gerade dieses Beispiel?

Weil in Chemnitz besonders deutlich wurde, wie die Grenzen verschwimmen. Dort waren zum ersten Mal all diese Gruppen, die im Eskalationskontinuum eine Rolle spielen, gemeinsam auf der Straße. Also von den sogenannten „besorgten Bürgern“ über die AfD, die gewalttätigen Neonazis vom Chemnitzer FC bis zu Leuten von „Revolution Chemnitz“, einer terroristischen Planungsgruppe.

Auch Stephan Ernst, der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, war in Chemnitz.

Genau. Und hier sieht man sehr genau, dass es nicht reicht, die einzelnen Teile zu analysieren. Die Übergangslinien und verschwindenden Grenzen sind entscheidend. Das macht die Bedrohungsallianzen aus.

Ein anderes Beispiel ist die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD und CDU zum Thüringer Ministerpräsidenten im Februar.

Das ist wichtig, weil es hier um das Eindringen in die Institutionen geht. Die AfD macht das ganz gezielt, wie man zum Beispiel bei der Polizei, den Gewerkschaften und anderen Verbänden sehen kann. Es geht um die Destabilisierung von Institutionen und dafür war die Wahl in Erfurt ein besonderes Beispiel. Ich hätte nie gedacht, dass diese Destabilisierungsstrategie so schnell die Systemebene erreicht.

Geht es also um eine Normalisierung des Rechtsextremismus?

Ja, und genau das bereitet mir große Sorgen. Denn alles, was als normal angesehen wird, kann man nicht mehr problematisieren. Deshalb ist auch die Formel „Wehret den Anfängen“ falsch. Darüber sind wir längst hinaus.

Das hört sich so an, als ob alles immer schlimmer wird. Zumindest der AfD aber geht es derzeit gar nicht so gut. Hat die Partei ihren Zenit überschritten?

Sie haben recht: Die AfD ist in einem desolaten Zustand. Aber was das bedeutet, ist schwer zu sagen, weil sie noch eine stabile Wählerschaft hat, vor allem im Osten. Selbst wenn die AfD zerfallen würde: Die Einstellungen sind ja weiter da. Und man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass zerfallende Gruppen oder Parteien dazu führen, dass sich die Lage automatisch entspannt. Aus zerfallenden radikalen Gruppen entwickeln sich häufig noch extremere Kleingruppen. Auch der NSU ist ja aus der zerfallenden Bewegung des „Thüringer Heimatschutzes“ entstanden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Komisch:



    Die AfD wurde von Anfang an tot gesagt.



    Und heute ist sie stärker als je zuvor.



    Da kann doch an den Prognosen, Analysen und Prophezeihungen irgendwas nicht stimmen.

  • Die gegenüber der AfD viel gefährlichere politishce Rechte ist m.E. die i m System, im Staatsapparat, auch die in Teilen der bürgerlichen Parteien virulente.

    In den BRD-Kapitalismussicherungsapparaten menifestieren sich ja seit langem teils latente, teils offene Rechtstendenzen.Dabei denke ich auch an die von vielleicht manchmal auch naiven bürgerlichen ParlamentarierInnen verabschiedeten Totalitarismus-fördernden neuen Polizeigesetze (sogar von Teilen der Linken in Brandenburg mit verabschiedet), aber auch die tendenzielle Faschisierung , die etwa beim KSK, und bei vordergründig "humanitären Einsätzen" von Armee, Polizeiausbildern (e.g. Ägypten ) auf den oft lange verborgenen Weg gebracht werden.



    Auch die gerade von Albrecht Müller und Willy Wimmer mit größer Sorge beklagte unaufhörliche Hetze gegen Rußland, die auf uralten germanischen Ressentiments aufbaut , verbreitet bis in höchste BRD-Regierungskreise.



    Schließlich halte ich auch den oft menschenverachtenden Umgang mit Billigarbeitern aus dem Osten für tendeniell faschistoid, -all das ganz ohne irgendwelche Parteizugehörigkeit. Adorno sprach davon,daß der Faschismus i m System tendenziell viel gefährlicher sei, als der an den dessen Rändern.-Und da befindet sich letztlich die Afd größtenteils immer noch.

  • Was wird eigentlich aus einer liberalen Demokratie, wenn Forscher erklären (und Regierungspräsidenten nachplappern), dass 20 oder 30 Prozent der Bevölkerung nicht dazugehören? Kann eine liberale Demokratie auf dieser Basis funktionieren?

    • @Rainer Möller:

      Rainer, das ist zwar eine Frage die man stellen kann allerdings nichts mit diesem Interview zu tun hat.

      Eine Frage die sich aus dem Interview ergeben könnte wäre wie Wissenschaft in die Alltagsrealität von 5,3 bis 27,3 (Ergebnisse der letzten Landtagswahlen) der Bevölkerung transferiert werden kann. Denn es geht nicht darum ob AfD Wähler zur "liberalen Demokratie" dazugehören oder nicht, ihre Teilnahme wird Form von Prozentpunkten gleichwertig zu denen jedes/r anderen WählerInn festgehalten. Es geht vielmehr darum ob dieser Teil der Wählerschaft durch das Wissen um ihre "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" aktiv Rechtsterrorismus unterfüttern, ihm einen breite gesellschaftlichen Nährboden liefert und dadurch billigt oder ob ihre Unterstützung unbedacht und ohne Intention dessen geschieht.



      Für zweiteren Fall liefert dieses Interview eine wunderbare Aufklärung, die hoffentlich zu einer Reflexion und Änderung des Wahlverhalten führt um auch in Zukunft eine "liberale Demokratie" in Deutschland zu haben.

  • Was mir in dieser Analyse leider fehlt -und dafür ernte ich wahrscheinlich gleich einen Shitstorm- ist der Verweis, dass eben diese diffuse Großgruppe mit totalitärer Sehnsucht es ist, die linke Ideale erschüttert indem sie eben da Despoten eher unterstützen und nachlaufen statt in Mitverantwortlichkeit unterwegs zu sein.

    • @Vidocq:

      Warum sollte diese letztlich nicht allzu kontroverse Einsicht denn Anlass für einen Shitstorm sein? Dass mit einem Volk von Untertanen keine Demokratie und erst recht kein Kommunismus zu machen sind, dürfte den meisten Linken spätestens seit dem Scheitern der Weimarer Republik klar sein. Was glauben sie warum die Linken ständig von emanzipatorischen Politiken reden?

      • @Ingo Bernable:

        Aber war tatsächlich das Volk zu schlecht für die Partei(en)? Oder vielleicht doch die Partei(en) für das Volk?

  • "Desolat" ist ein Ausdruck, der Mitleid erheischen soll. So verstehe ich das Fremdwort. Ich habe aber 0 Mitleid mit der AfD. Ich würde sagen, sie befindet sich in dem Zustand, der ihr zusteht.

  • „Aus zerfallenden radikalen Gruppen entwickeln sich häufig noch extremere Kleingruppen.“

    Mitunter ist das so, aber bei weitem nicht immer und vor allem nicht zwangsläufig. Sollte die AfD weiter zerfallen, wäre das doch wohl eher unproblematisch, weil es die Rechtsextremisten, die dort inzwischen ja ohnehin schon tonangebend sind, empfindlich ausbremsen würde.

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    Und weil das Land der Autobahnen seine NS-Vergangenheit bis heute so erfolgreich verdrängt kann die Zwiebel wunderbar gedeihen...

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Autobahnen sind da ein gutes Beispiel... lebensfeindlich ohne Ende- da kommt niemand lebend rüber :). Oder nehmen wir die Wiedervereinigung - mein Vater war so begeistert ohne zu Bedenken das dies eine nationalistische Idee ist..

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Abwarten (man kann ja eh nichts anderes tun zur Zeit).



      Die Rechte macht gerade ein riskantes Spielchen namens "Operation Herdeninvalidität". Outsmarted by a virus; mal sehen wieviele von den braunen Burschen in einem halben Jahr noch die Puste für einen Massenaufmarsch haben.