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Forderungen nach Hanau-Terror„Nehmt uns ernst“

Nach Hanau fordern Migrant*innenverbände mehr Repräsentation. Sie fänden nur Gehör, wenn rassistische Gewalt eskaliert.

MigrantInnen beklagen, dass sie nur Gehör finden, wenn rassistische Gewalt eskaliert Foto: Roland Geisheimer/attenzione

BERLIN taz | Eine Woche nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Hanau verlangen Migrant*innenverbände umfassende Maßnahmen gegen Rassismus. In einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel fordert die Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen, in der sich 40 Initiativen zusammengeschlossen haben, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in politischen Ämtern. Nötig sei zudem ein „Partizipationsrat Einwanderungsgesellschaft“ aus Wissenschaftler*innen und Vertreter*innnen von Migrant*innenverbänden analog zum Ethikrat.

„Es ist beschämend, dass wir nur Gehör finden, wenn rassistische Gewalt eskaliert“, beklagte Marta Neüff, Vorsitzende des Polnischen Sozialrats. Man warte bisher vergeblich darauf, in die Rassismusprävention eingebunden zu werden. Auf vorgeschlagene Handlungsempfehlungen reagiere die Bundesregierung seit Jahren nicht. „Wir sind Teil der Lösung“, sagte Farhad Dilmaghani vom Verein DeutschPlus. „Wir bieten die Zusammenarbeit an. Aber das geht nur, wenn man uns auch ernst nimmt.“

Cihan Sinanoğlu von der Türkischen Gemeinde betonte: „Rassismus ist tief verankert in der Gesellschaft.“ Nicht nur Neonazis oder die AfD äußerten sich rassistisch, auch Teile von Union und SPD seien an der Diskursverschiebung nach rechts beteiligt. Von Einzeltätern zu sprechen, entpolitisiere die Morde. „Rassismus ist aber ein politisches Problem.“

In dem Brief an Merkel beklagen Verbände, mit dem jüngsten Rechtsterror fürchte ein Viertel der Bevölkerung „um seine Unversehrtheit, um seine Zukunft und die seiner Kinder“. Die Politik müsse sich der Tatsache stellen, dass sich in Deutschland „ein rassistisches Klima ausbreitet, das auch vor Eliten nicht Halt macht“.

Kaum Menschen mit Migrationshintergrund in den Parlamenten

Um dieses in den Griff zu bekommen, fordern die Verbände, Menschen mit Einwanderungsgeschichte adäquat im Politikbetrieb zu repräsentieren. Bisher machten diese in den Kommunal- und Landesparlamenten oder im Bundestag im Schnitt maximal acht Prozent der Abgeordneten aus. Im Bundeskabinett kämen sie gar nicht vor. Zudem fehle es in den Behörden an Diversitätskompetenz. Rassismus werde daher oft gar nicht erkannt. Hier sei eine Professionalisierung der Arbeit gegen Rassismus erforderlich, sagte Saraya Gomis vom Verein Each One Teach One.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bekräftigte in einer nichtöffentlichen Sondersitzung des Innenausschuss im Bundestag zum Hanau-Anschlag, dass es an der rechtsterroristischen Tat „nichts zu relativieren“ gebe. AfD-Mann Gottfried Curio hatte den Anschlag dort erneut als Tat eines Irren bezeichnet und eine ideologische Mitschuld seiner Partei als „Verleumdung“ abgetan. Seehofer hielt dagegen: Die Tat sei „ohne Zweifel rassistisch motiviert“.

Der CSU-Mann forderte, Möglichkeiten zu schaffen, um Waffenscheine künftig zu entziehen, wenn es psychische Auffälligkeiten wie beim Hanau-Attentäter gebe. Zur Forderung nach einem Antirassimusbeauftragten sagte Seehofer laut Teilnehmer*innen: „Ich bin der Antirassimusbeauftragte.“

52 Schüsse, zehn Tote

Cihan Sinanoğlu von der Türkischen Gemeinde nahm das mit Unverständnis auf. „In der Vergangenheit ist mir Herr Seehofer nicht besonders aufgefallen, wenn es um antirassistische oder rassismuskritische Themen ging.“ Von Beauftragten, die nur Symbolpolitik betrieben, habe man genug, sagte auch Saraya Gomis.

Rassismus ist tief verankert in der Gesellschaft

Cihan Sinanoğlu, Türkische Gemeinde

Im Innenausschuss wurde auch bekannt, dass der Attentäter Tobias R., ein Sportschütze, die Tatorte zuvor ausgekundschaftet und zu seinen zwei Pistolen noch eine dritte von einem Waffenhändler legal ausgeliehen hatte, eine Ceska. Eine Stunde vor der Tat wurde er zudem von Polizisten kontrolliert – weil er mit seinem Auto auf einem Behindertenparkplatz stand. R. soll dabei unauffällig reagiert haben.

Bei der Tat verschoss R. schließlich 52 Patronen, tötete neun Menschen. Warum R. zu Hause auch seine Mutter noch erschoss, nicht aber den ebenfalls anwesenden Vater, bleibt weiter offen. Der Vater, den Nachbarn und Behörden als Querulanten beschreiben, ist derzeit in der Psychiatrie. Als verdächtig gilt er nicht. Am Ende erschoss sich Tobias R. auch selbst.

BKA und Bundesanwaltschaft beteuerten im Ausschuss, weiterhin keine Hinweise auf Mittäter zu haben. Geprüft aber werde, was hinter einer USA-Reise 2018 steckt. Als Einreiseziel soll Tobias R. damals angegeben haben: ein Tempelritter-Treffen.

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15 Kommentare

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  • Es geht unseren Politikern nicht um Rassismus, nicht um Islam und nicht um Migranten. Es geht ausschließlich um parteipolitisch brauchbare Argumente gegen die Konkurrenz von der AfD.



    Da wird dann auch schamlos ein Amokläufer populistisch ausgeschlachtet der die Vernichtung Lateinamerikas auf der Liste hatte.

    • @Werner S:

      Vorweg: Ich bin mir nicht sicher, weshalb Hass gegen Lateinamerika nicht als rasistisch motiviert gilt.

      Es gibt fast keine Personen, die solch schwere Gewalttaten verüben, die nicht an Irgendwelchen Wahnvorstellungen leiden. Das Pamphlet des Attentäters weißt etliche Parallelen zu den gängisten rechten Verschwörungstheorien auf. Natürlich kann man posthum einfach sagen wer so etwas glaubt ist Psychisch krank. Das werden aber auch die Meisten Muslime über einen Bub sagen, dem Islamisten eingeredet haben, dass er trotz des Beschissenen sündigen Lebens das er geführt hat, durch sein Opfer, wenn er genug Ungläubige mitnimmt, in das Paradies kommt.



      Klar sind solche Ideen Wahnvorstellungen, man muss aber trotzdem gegen die Menschen vorgehen, die sie Verbreiten, da es immer irgendwo Jemanden gibt der grad einen Tiefpunkt hat und dem diese Monokausalen Erklärungsansätze einen Ausweg aufzeigen, bei dem sie Easy die Schuld am eigenen Versagen abwälzen können.

  • "„Es ist beschämend, dass wir nur Gehör finden, wenn rassistische Gewalt eskaliert“, beklagte [...]"

    So kann man sich, mit solchen (Fehl-)Einschätzungen, natürlich auch ins Abseits stellen.



    Zumindest ich halte den Vorhalt für Unsinn.

    • RS
      Ria Sauter
      @Gerhard Krause:

      Hier kommt eine Zustimmung!



      Wer auf politisches Gehör hofft, hat die politischen Verhältnisse hier noch nicht registriert.



      Gehör finden Lobbyverbände aus der Wirtschaft.



      Wie oft hat sich Minister Altmeyer mit NGOs getroffen.?Die Abtwort gibt es in der TAZ.

    • @Gerhard Krause:

      Dann beginnen Sie mal, Ihre Wahrnehmung zu hinterfragen; sonst könnte es schnell passieren, dass weiße Männer wie Sie selbst im genannten Abseits landen. Das fühlt sich natürlich unangenehm an, ist aber unvermeidbar.

      Merke: People of Color haben die gleichen Probleme wie wir auch. Alle Probleme, die uns Weiße im Alltag belasten, belasten auch sie. Nur dass halt das rassistische Nicht-ernst-genommen-Werden durch Leute wie Sie hinzukommt. Das nervt und macht krank.

      • @Smaragd:

        "Merke: People of Color haben die gleichen Probleme wie wir auch. Alle Probleme, die uns Weiße im Alltag belasten, belasten auch sie."



        Wenn Sie mit dieser, von Ihnen wahrscheinlich als politisch ach so korrekt empfundenen und sprachlich verwendeten, Aufteilung aufhörten, zeigten Sie, dass sie selbst auch verstanden haben, es handelt sich in beiden "Kategorien" einfach um Menschen.



        So gewännen Sie an Glaubwürdigkeit.

        • @Trabantus:

          Hier muss ich zwei Sachen richtigstellen:

          1. Probleme wie Rassismus gehen nicht weg, wenn man sie unter den Teppich kehrt, wie Sie das tun. Wir sind alle Menschen, die es verdienen, genau gleich behandelt zu werden. Die Realität ist aber, dass People of Color schlechter behandelt werden als Weiße.

          2. Meine Aussagen haben mit politischer Korrektheit nichts zu tun. Im Gegenteil, ich vertrete hier meine Überzeugung. Und ich gehe fast jede Wette ein, dass das für andere Menschen, die Ihnen widersprechen, ebenso gilt.

          • @Smaragd:

            Pauschale Gruppenzuordnungen wie PoC ( und alle! Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, die ich kenne lehnen ab, sich als PoC zu bezeichnen) sind problematisch, denn sie bilden Diskriminierung nicht wirklich ab. PoC wird hauptsächlich im akademischen, journalistischen links, grünen Milieu verwendet, einem Milieu, dass eben privilegiert ist.



            Weisssein bedeutet nicht besser behandelt zu werden, z.B. bei Behinderung, Armut , Alter etc.. Anhand einer Frau mit W2 Professur, die sich als PoC bezeichnet, erfolgreiche Journalistinnen dito zeigt die Problematik linker Identitätspolitik auf, dass sie ein kulturelles Pflaster des Neoliberalismus geworden ist und sozioökonomische Bedingungen nachrangig behandelt. Auch bei Investmentbankern schaut man mittlerweile, sich möglichst divers aufzustellen.

          • @Smaragd:

            Was ist denn an der Pauschalierung



            "Weiße Männer", in Ihrem Sinne verwendet, nicht diskriminierend und rassistisch?

      • @Smaragd:

        Kommentar gelöscht. Bitte achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise. Die Moderation

        • @Gerhard Krause:

          Danke, das werde ich wohl nicht beherzigen :-).

          • @Gerhard Krause:

            Ich wünsche Ihnen Weisheit.

        • @Gerhard Krause:

          Zunächst einmal: Ich habe Sie nur als weißen Mann bezeichnet, nicht als alten weißen Mann. Das habe ich aus dem Vornamen Gerhard geschlossen, weil das ein typischer Name weißer Männer ist. Da Sie von 30-jähriger Erfahrung als Wissenschaftler (was für einer?) sprechen, muss ich Ihnen das „biologisch jung“ aber auch absprechen; sie sind dann ein mittelalter weißer Mann. Genau wie ich eine mittelalte weiße Frau bin. Was natürlich über die körperliche Fitness wenig aussagt.

          Aber gut, beim zweiten Satz habe ich mich tatsächlich ungenau ausgedrückt: das Unangenehme bezog ich auf das Hinterfragen der Wahrnehmung und der eigenen Vorurteile. Natürlich wünsche ich niemandem das gesellschaftliche Abseits.

          Warum halten Sie denn die Bezeichnung „alte weiße Männer“ für faschistoid? Dann müssten wir das Gleiche nämlich auch für die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ sagen. Das ist nämlich eins der Probleme des subtilen weißen Rassismus: Dass wir uns selbst als einzigartige Individuen ansehen, und einfach nur als Menschen; dass wir People of Color aber deutlich mehr als Teil ihrer Gruppe ansehen. Die wollen aber auch als Individuen wahrgenommen werden!

          Genau deshalb fühlt sich eine Bezeichnung wie „mittelalter weißer Mann“ so unangenehm für Sie als Adressaten an; weil Sie damit auf einmal nicht mehr als Individuum angesprochen werden, sondern als Teil einer Gruppe. People of Color müssen damit ständig umgehen; sie werden dauernd auf ihren Migrationshintergrund reduziert.

          Gerade lese ich das Buch „White Fragility“ von Robin DiAngelo, das ich auch Ihnen sehr empfehlen kann. Da Sie Wissenschaftler sind (was für einer?), setze ich gute Englischkenntnisse bei Ihnen einfach mal voraus. Im Mai erscheint das Buch aber auch auf Deutsch.

          • @Smaragd:

            Sehr netter Versuch, aber danke. ;-)

          • @Smaragd:

            Ach Scheibenhonig, das ist das, was passiert, wenn man Beiträge nachträglich überarbeitet. Das "(was für einer?)" sollte natürlich nur am Anfang vorkommen...