Forderungen nach Hanau-Terror: „Nehmt uns ernst“
Nach Hanau fordern Migrant*innenverbände mehr Repräsentation. Sie fänden nur Gehör, wenn rassistische Gewalt eskaliert.
„Es ist beschämend, dass wir nur Gehör finden, wenn rassistische Gewalt eskaliert“, beklagte Marta Neüff, Vorsitzende des Polnischen Sozialrats. Man warte bisher vergeblich darauf, in die Rassismusprävention eingebunden zu werden. Auf vorgeschlagene Handlungsempfehlungen reagiere die Bundesregierung seit Jahren nicht. „Wir sind Teil der Lösung“, sagte Farhad Dilmaghani vom Verein DeutschPlus. „Wir bieten die Zusammenarbeit an. Aber das geht nur, wenn man uns auch ernst nimmt.“
Cihan Sinanoğlu von der Türkischen Gemeinde betonte: „Rassismus ist tief verankert in der Gesellschaft.“ Nicht nur Neonazis oder die AfD äußerten sich rassistisch, auch Teile von Union und SPD seien an der Diskursverschiebung nach rechts beteiligt. Von Einzeltätern zu sprechen, entpolitisiere die Morde. „Rassismus ist aber ein politisches Problem.“
In dem Brief an Merkel beklagen Verbände, mit dem jüngsten Rechtsterror fürchte ein Viertel der Bevölkerung „um seine Unversehrtheit, um seine Zukunft und die seiner Kinder“. Die Politik müsse sich der Tatsache stellen, dass sich in Deutschland „ein rassistisches Klima ausbreitet, das auch vor Eliten nicht Halt macht“.
Kaum Menschen mit Migrationshintergrund in den Parlamenten
Um dieses in den Griff zu bekommen, fordern die Verbände, Menschen mit Einwanderungsgeschichte adäquat im Politikbetrieb zu repräsentieren. Bisher machten diese in den Kommunal- und Landesparlamenten oder im Bundestag im Schnitt maximal acht Prozent der Abgeordneten aus. Im Bundeskabinett kämen sie gar nicht vor. Zudem fehle es in den Behörden an Diversitätskompetenz. Rassismus werde daher oft gar nicht erkannt. Hier sei eine Professionalisierung der Arbeit gegen Rassismus erforderlich, sagte Saraya Gomis vom Verein Each One Teach One.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bekräftigte in einer nichtöffentlichen Sondersitzung des Innenausschuss im Bundestag zum Hanau-Anschlag, dass es an der rechtsterroristischen Tat „nichts zu relativieren“ gebe. AfD-Mann Gottfried Curio hatte den Anschlag dort erneut als Tat eines Irren bezeichnet und eine ideologische Mitschuld seiner Partei als „Verleumdung“ abgetan. Seehofer hielt dagegen: Die Tat sei „ohne Zweifel rassistisch motiviert“.
Der CSU-Mann forderte, Möglichkeiten zu schaffen, um Waffenscheine künftig zu entziehen, wenn es psychische Auffälligkeiten wie beim Hanau-Attentäter gebe. Zur Forderung nach einem Antirassimusbeauftragten sagte Seehofer laut Teilnehmer*innen: „Ich bin der Antirassimusbeauftragte.“
52 Schüsse, zehn Tote
Cihan Sinanoğlu von der Türkischen Gemeinde nahm das mit Unverständnis auf. „In der Vergangenheit ist mir Herr Seehofer nicht besonders aufgefallen, wenn es um antirassistische oder rassismuskritische Themen ging.“ Von Beauftragten, die nur Symbolpolitik betrieben, habe man genug, sagte auch Saraya Gomis.
Cihan Sinanoğlu, Türkische Gemeinde
Im Innenausschuss wurde auch bekannt, dass der Attentäter Tobias R., ein Sportschütze, die Tatorte zuvor ausgekundschaftet und zu seinen zwei Pistolen noch eine dritte von einem Waffenhändler legal ausgeliehen hatte, eine Ceska. Eine Stunde vor der Tat wurde er zudem von Polizisten kontrolliert – weil er mit seinem Auto auf einem Behindertenparkplatz stand. R. soll dabei unauffällig reagiert haben.
Bei der Tat verschoss R. schließlich 52 Patronen, tötete neun Menschen. Warum R. zu Hause auch seine Mutter noch erschoss, nicht aber den ebenfalls anwesenden Vater, bleibt weiter offen. Der Vater, den Nachbarn und Behörden als Querulanten beschreiben, ist derzeit in der Psychiatrie. Als verdächtig gilt er nicht. Am Ende erschoss sich Tobias R. auch selbst.
BKA und Bundesanwaltschaft beteuerten im Ausschuss, weiterhin keine Hinweise auf Mittäter zu haben. Geprüft aber werde, was hinter einer USA-Reise 2018 steckt. Als Einreiseziel soll Tobias R. damals angegeben haben: ein Tempelritter-Treffen.
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