Flutkatastrophe im Westen Deutschlands: Schiffbruch mit Zuschauern

Ein Ausflugsschiff ist in den Fluten der Ruhr versunken. Zu Schaden kam niemand. Doch die Bilder des Untergangs beunruhigen. Warum?

Nach der Katastrophe: Spuren von Reifen und Fussgängern im Schlamm

Nach der Katastrophe: Spuren im Schlamm Foto: dpa

Am Donnerstag ist die Moornixe, ein 18 Meter langes Ausflugsschiff, gesunken. Ein Baum war auf das Schiff gestürzt, es hatte sich losgerissen und trieb auf der Ruhr in Mülheim auf ein Wehr zu.

Es gibt Handybilder der Havarie. Man hört tosendes Wasser, man sieht das führungslose, unbemannte Boot auf die Wehrmauer zu treiben. Es kollidiert, dreht sich und wird von dem sprudelnden Fluss an der Längsseite erfasst. Dann verschwindet es blitzschnell, als wäre es ein Spielzeugmodell in einem trashigen Katastrophenfilm.

Einzelteile des Schiffes, das schon in den den 1930 Jahren auf dem Baldeneysee in Essen fuhr, sollen auf der anderen Seite des Wehrs gesichtet worden sein. Die Bilder hat ein 10-jähriges Mädchen mit ruhiger Hand gemacht. Es gibt eine andere, verwackelte Aufnahme. Als das Schiff dort im Nu im Nichts verschwindet, hört man im off den Kommentar “krass“

Das Bild des rasant verschwindenden Bootes hat etwas Beunruhigendes. Die Flut, die alles Alte auslöscht, ist schon in der Bibel ein apokalyptisches Signal. Und das stolz über die Wellen gleitende Schiff ist seit Jahrhunderten ein Symbol, das zeigt, dass wir die Natur beherrschen, und nicht die Natur uns regiert.

Es sei denn, Sturm, Fluten oder ein Riff sorgen für den Untergang. Der römische Philosoph Lukrez hat vor 2000 Jahren den vom Land aus beobachteten Schiffbruch als existentielle Daseinsmetapher gedeutet. Dort das aus Gewinnstreben und Leichtsinn geborene Desaster, hier der sichere Hafen. Dort der tosende Strudel des Lebens, den wir uns besser vom Leib halten, hier das schauende, in sich ruhende, unbeteiligte Subjekt.

Hans Blumenberg hat dem Essay „Schiffbruch mit Zuschauer“ die Havarie als wechselvolle Metapher in der Ideengeschichte untersucht. Von Lukrez in sicherem Hafen angesiedeltem Subjekt ist in der Moderne, in der alles in rasende Bewegung gerät, nichts übrig.

Doch wenn man dessen selbstzufriedenen Beobachter des Debakels zur Beschreibung moderner Medienuser umformatiert, hat man festen Grund unter den Füßen. Wer auf das Desaster blickt, versichert sich seiner Position. Wer zuschaut, ist nicht Opfer. Und die Handykamera, die man zwischen sich und das Ergebnis platziert, funktioniert als zusätzlicher Abstandhalter. Wer vor einer Schlammwelle flieht, sucht nicht sein Handy, sondern den Rettungsweg. Wer mit dem Schiff im Strom versinkt, findet das nicht „krass“.

Laut Meteorologen begünstigen abnehmende Jetstreams und wärmere Luft, also der Klimawandel, unberechenbare Wetterkatastrophen. Das stolze Selbstbewusstsein der Moderne, dass wir die Natur beherrschen und nicht die Natur uns regiert, hat schon lange einen Riss, den wir routiniert überspielen.

Die Bilder der Moornixe, die in der brodelnden, braunen Brühe der Ruhr jäh verschwindet, sind mehr als ein Spektakel. Sie verströmen die Ahnung, dass wir bei den kommenden Untergängen nicht die Zuschauer an Land sein werden.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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