Flüchtlingslager in Bosnien: Vučjak könnte Todesfalle werden

Nach dem Wintereinbruch sind die Zustände in dem bosnischen Flüchtlingslager auf einer Müllhalde unhaltbar. Hilfsorganisationen schlagen Alarm.

Ein Mann, in eine orangefarbene Decke, steht inmitten schneebedeckter Zelte

Winter im Flüchtlingslager Vučjak in Bosnien-Herzegowina Foto: dpa

SARAJEWO taz | Als die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Dunja Mijatović, nach Abschluss ihres Besuchs in dem Flüchtlingslager Vučjak bei der bosnischen Stadt Bihać am Dienstag ein Resümee zog, war ihr die Erschütterung über das Gesehene anzumerken. Nach wie vor sitzen über 700 Menschen auf der ehemaligen Müllhalde fest. Es gibt kein fließendes Wasser und nur sporadisch Strom, die sanitären Anlagen sind in einem katastrophalen Zustand. Die einfachen Zelte boten im Sommer etwas Schutz, jetzt, bei Minusgraden, Schnee und Regen, sind die auf der blanken Erde schlafenden Migranten beißender Kälte und Feuchtigkeit ausgesetzt.

Vertreter des Roten Kreuzes, der International Organization for Migration (IOM) und von Ärzte ohne Grenzen schlagen seit Wochen Alarm. „In Vučjak schlafen die Menschen jetzt in diesen kalten Zelten. Unsere Schuhe versinken im Schlamm“, berichtet der deutsche Journalist Dirk Planert. Seit Juni vergangenen Jahres hatte er in Vučjak Nothilfe geleistet, wurde dann wegen nicht autorisierter Hilfstätigkeit aus dem Land ausgewiesen und ist jetzt wieder zurückgekehrt.

Es könnte bald Tote geben, warnt auch Dunja Mijatović. Wenn es so weitergehe, „werden die Menschen hier sterben, und wir werden verantwortlich sein dafür“, sagte sie am Dienstag.

Selbst Bosnierin, erinnerte sie sich an die Zeit des Krieges in ihrem Heimatland in den 90er Jahren, als rund zwei Millionen Menschen zur Flucht gezwungen waren. „Dieses Lager ist eine Schande für Bosnien und Herzegowina.“

Auslagerung auf der Müllhalde

Jetzt will sie mit den Behörden des Kantons Una-Sana und der Regierung in Sarajevo reden. Was aber wird das bringen? Der Bürgermeister von Bihać, Šuhret Fazlić, steckt in einer Zwickmühle.

Über 7.000 Migranten waren im vergangenen Sommer schon in der kleinen Stadt im Nordwestzipfel Bosnien und Herzegowinas gestrandet und in den Fabrikhallen der Firma Bira und anderen provisorischen Lagern in der Nachbargemeinde Velika Kladuša untergekommen.

Als aber vor allem junge Männer aus Syrien, Afghanistan und Pakistan tagsüber das Zentrum der Stadt bevölkerten, beschloss der Stadtrat, die jungen Männer außerhalb der Stadt, auf die behelfsmäßig planierte Müllhalde von Vučjak nahe der kroatischen Grenze „auszulagern“.

Von vornherein protestierte die IOM und lehnte alle Hilfe für das auf einer Müllhalde errichtete Lager Vučjak ab, weil es nicht den Standards für Flüchtlingslager entspricht.

Keine Alternative zur Hilfe vor Ort

Die IOM hatte den bosnischen Behörden schon im Sommer angeboten, neue, winterfeste Lager in anderen Landesteilen aufzubauen. Doch keine Gemeinde in Bosnien und Herzegowina außer Sarajevo war dazu bereit. Von vornherein lehnte zudem der serbisch dominierte Landesteil jegliche Hilfe für Migranten ab. Bihać und die Nachbargemeinde Velika Kladuša wurden alleingelassen.

Anfang November beschloss der Stadtrat die Auflösung des Lagers in Vučjak. Aber wohin sollten die Migranten gehen? Zwar schafften es in den letzten Monaten Hunderte von ihnen trotz des harten Vorgehens der kroatischen Sicherheitskräfte durch die Grenze zu schlüpfen und nach Kroatien und damit in die EU zu gelangen. Doch ebenso schnell rückten Hunderte Migranten nach.

Für den Journalisten Dirk Planert gibt es keine Alternative: Man müsse den Migranten in Vučjak jetzt mit Zelten, Essen und Öfen helfen.

Immerhin scheint auch Deutschland aktiv zu werden und ein neues menschenwürdiges Lager in Sarajevo aufzubauen. Doch viele Migranten wollen trotz allem offenbar lieber nach Bihać gehen, um von dort aus in die EU zu gelangen.

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