Flüchtlingsgipfel in Berlin: Faesers zwei Botschaften
Die Innenministerin kündigt mehr Unterstützung bei der Unterbringung von Geflüchteten an. Zugleich verlängert sie die Grenzkontrollen zu Österreich.
Berlin taz | Es sind zwei sehr unterschiedliche Botschaften, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Dienstag nach einem Spitzengespräch zur aktuellen Flüchtlingslage verkündete. Die SPD-Politikerin sprach davon, dass „Großartiges geleistet“ worden sei bei der Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine und sagte Ländern und Kommunen noch mehr Unterstützung zu. Gleichzeitig erklärte sie, die steigende Zahl der Asylanträge und der unerlaubten Einreisen mache ihr „Sorge“ – und kündigte eine Verlängerung der Grenzkontrollen zu Österreich an.
Rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine haben deutsche Behörden seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar bislang registriert. Etwa 700.000 von ihnen haben bislang vorübergehenden Schutz beantragt – ein Mechanismus, der Ukrainer*innen ohne langwieriges Asylverfahren Schutz für bis zu drei Jahre bietet.
Faeser hatte sich am Dienstagmorgen mit den kommunalen Spitzenverbänden und Vertretern der Länder getroffen. Bereits im April hatte der Bund diesen zwei Milliarden Euro an Unterstützung zugesagt. Inzwischen aber warnen immer mehr Länder und Kommunen, ihre Kapazitäten seien ausgeschöpft. Städtetagsvizepräsident Burkhard Jung berichtete bei der Pressekonferenz, in Dresden müsse inzwischen eine Messehalle zur Unterbringung genutzt werden, in Leipzig, wo er Oberbürgermeister ist, seien Zeltstädte errichtet worden. Mehrere Bundesländer haben Aufnahmestopps verhängt.
Verstärkter Einsatz von Frontex im Gespräch
„Dieser humanitäre Kraftakt ist immer schwieriger zu bewältigen, je länger dieser furchtbare Krieg anhält“, sagte Faeser. Der Bund habe schon mehr als 64.000 Unterbringungsplätze in Bundesimmobilien bereitgestellt, diese seien noch nicht ganz ausgeschöpft. Sie habe nun weitere 56 Immobilien mit insgesamt 4.000 Plätzen angeboten. Inwiefern der Bund sich an den Flüchtlingskosten beteiligen wird, blieb am Dienstag unbeantwortet – dafür werde es im November ein Treffen der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Olaf Scholz geben, so Faeser.
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Auch über das Mittelmeer und die Balkanroute kämen inzwischen wieder „deutlich mehr Menschen“ nach Europa, sagte Faeser. „Und das macht mir Sorge.“ Die Zahl der Asylanträge sei ebenso gestiegen wie die der unerlaubten Einreisen. Auch an den EU-Außengrenzen steige der Druck an. „Wir sind gemeinsam in der Verantwortung, illegale Einreisen zu stoppen, damit wir weiter den Menschen helfen können, die dringend unsere Unterstützung brauchen“, so Faeser.
Sie kündigte an, die Grenzkontrollen zu Österreich um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Die letzte Verlängerung im April erfolgte nur einen Tag, nachdem der Europäische Gerichtshof ganz ähnlich gelagerte Kontrollen Österreichs zu Slowenien für rechtswidrig erklärt hatte. An der Grenze zu Tschechien kontrolliere die Bundespolizei „deutlich verstärkt im Rahmen der Schleierfahndung“, Österreich und Tschechien würden ihrerseits an der Grenze zur Slowakei kontrollieren. Beim Rat der EU-Innenminister*innen am Freitag werde man zudem über einen verstärkten Einsatz von Frontex sprechen.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich, Obmann im Innenausschuss, kritisierte die Verlängerung der Grenzkontrollen. „Ich hätte mir von der Ministerin klügere Antworten gewünscht, als die Dauerkontrollen von Seehofer einfach erneut zu verlängern“, sagte er der taz. Stattdessen brauche es eine „rechtssichere Alternative“ – beispielsweise durch gezielte Schwerpunktkontrollen.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, begrüßte Faesers Ankündigungen – mahnte aber an, bei der Bereitstellung weiterer Immobilien sei statt langwieriger Prüfungen Eile geboten. Die vorhandenen Plätze reichten höchstens noch bis Ende des Jahres. Städtetagsvizepräsident Burkhard Jung bekräftigte die Bereitschaft der Kommunen, trotz aller Schwierigkeiten Geflüchtete zu unterstützen. Anfeindungen gegenüber Ukrainer*innen, wie es sie etwa am Montagabend am Rande einer rechten Demonstration in Leipzig gegeben hat, nannte er „unerträglich“.
Leser*innenkommentare
Stefan Schaaf
Viele Regionen in Deutschland sind am Limit angelangt. Geflüchtete können nur noch in Zelten, Wohncontainern und improvisierten Unterkünften wie etwa Turnhallen untergebracht werden. Auch in anderen Bereichen stößt Deutschland an seine Grenzen. Schulplätze, Plätze in Kitas, ärztliche Versorgung - all das kann nicht beliebig weiter vermehrt werden. Ob unter diesen Umständen noch eine wirkliche Integration stattfinden kann, erscheint mir doch fraglich. Es reicht auf die Dauer nicht, Menschen nur provisorisch unterzubringen und mit dem Nötigsten zu versorgen.
V M
Und wieder geht es nur darum Meschen, die sich auf der Flucht befinden, abzuschrecken und die, die es irgendwie lebend nach Deutschland geschafft haben in Lager zu sperren und später auszuweisen. Das ist moralisch nicht akzeptabel.
Ich kann das Gelaber von dem fehlenden Wohnraum nicht mehr hören. Wohnraum, selbst in den Metropolen, gibt es genug. Man sollte endlich damit anfangen Ferienwohnungen, Zweitwohnungen und Leerstand ordentlich zu besteuern. Da gilt auch für Personen, die in zu großen Wohnungen wohnen. Zwei Personen auf über 100 qm mitten in Berlin. Gehts noch! Da wäre es gerechter diese Wohnung an Geflüchtete mit mehreren Kindern zu vergeben. Aber das geht ja auch nicht, weil der Familiennachzug systematisch sabotiert wird. Das ist alles so unmenshlich.
Philippo1000
@V M Ihre Pauschalisierungen sind falsch.
Im Gegensatz zu 2015 wurden die Flüchtlinge aus der Ukraine umgehend in die Sozialsysteme integriert und dürfen arbeiten.
Auf welcher Grundlage Sie Den beiden Bewohnern der 100 qm Wohnung Ihre Wohnung wegnehmen wollen, bleibt ein Geheimnis.
Schon ab 2015 habe ich die Problematik der fehlenden Wohnungen in unserer Kommune verfolgt.
Auch wenn wir vereinzelt bei der Wohnungsvermittlung erfolgreich waren, steht die Wohnungsnot dem entgegen.
Es wundert mich,das Ihnen der Begriff Wohnungsnot offenbar fremd ist, wird er doch,auch hier in der taz, häufig erläutert.
Dabei geht es noch nicht einmal um Asylbewerber, sondern ganz allgemein um Wohnungsnot.
Wenn Sie sich aktiv, statt nur schriftlich, einsetzen würden, wäre es Ihnen ebenfalls bewusst, dass es noch erheblich schwieriger ist, VermieterInnen zu finden, die Wohnraum an AsylbewerberInnen vermieten.
"Einfach" mal Machen, statt Meckern!