Firmen bezahlen „Verbraucherschützer“: Für Glyphosat und Nikotin

Das „Consumer Choice Center“ gibt vor, Konsumenten zu vertreten. In Wirklichkeit wird der Verband von Unternehmen finanziert.

Ein Traktor sprüht Herbizide auf ein Feld

Ertragsgarant oder Gefahr: Unkrautvernichter auf dem Acker Foto: dpa

BERLIN taz | Ein von der Industrie finanzierter „Verbraucherverband“ lobt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) für seine Zustimmung zur neuen EU-Erlaubnis des Pestizids Glyphosat. „Wir vom Consumer Choice Center wollen Ihnen für Ihre Entscheidung im Votum zum Herbizid Glyphosat danken“, schreibt das im April gegründete Consumer Choice Center (CCC) in einem offenen Brief an den CSU-Politiker.

Schmidt hatte am 27. November einen kleinen Skandal produziert: Bei seiner Zustimmung zur Zulassung des Unkrautvernichters in Brüssel für fünf weitere Jahre hatte er gegen eine Absprache mit dem Koalitionspartner SPD nicht für die Bundesregierung, sondern nur für sich selbst gesprochen. Und ob das CCC wirklich für die Verbraucher spricht, ist ebenfalls zweifelhaft.

„Beim Thema Glyphosat ist die wissenschaftliche Faktenlage unumstritten“, begründet das CCC sein Lob für Schmidt. Allerdings ist sich die Wissenschaft keinesfalls einig: Zwar haben eine Reihe von Zulassungsbehörden die korrekte Anwendung von Glyphosat für unbedenklich erklärt. Doch die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die als besonders unabhängig von der Industrie gilt, stuft den Wirkstoff als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Die Forscher berufen sich vor allem auf beunruhigende Ergebnisse von Tierversuchen.

„Ein Verbot hätte weit­gehende wirtschaftliche Folgen gehabt: Für Deutschland über 50 Prozent weniger Weizen und 40 Prozent weniger Kartoffeln“, heißt es in dem Brief des CCC weiter. Als Quelle schickte der Geschäftsführer der Organisation, Frederik Roeder, der taz auf Anfrage einen Link auf die Internetseite des australischen Rundfunk- und Fernsehsenders ABC. Dessen Beleg für die Zahlen ist nur ein abfotografiertes Schild der „Pflanzenschützer“, einer Initiative des Agrarchemieverbands IVA, also keinesfalls einer allgemein anerkannten Quelle.

Zudem haben ABC und damit auch das CCC das Schild falsch zitiert. Glyphosat wird dort nämlich mit keinem Wort erwähnt. Dass die Ernten angeblich geringer ausfallen, passiert demnach nur, wenn überhaupt keine Pestizide und auch keine Mineraldünger verwendet werden. Selbst nach Berechnung der Chemieindustrie sind die Ertragsverluste also viel niedriger, wenn lediglich auf Glyphosat verzichtet wird.

„Dieses Produktionsdefizit hätten schlussendlich die Verbraucher bezahlen müssen“, argumentiert das CCC. Eventuelle Mehrkosten durch staatliche Regulierung für die Konsumenten sind das große Thema der Organisation. Deshalb tritt sie auch gegen Steuern auf ungesunde Lebensmittel ein. Doch ob das CCC tatsächlich die Interessen der Verbraucher vertritt, daran gibt es Zweifel.

Das Consumer Choice Center ist „fast komplett finanziert durch Unternehmen“

Denn Roeder sagt ganz offen: „Wir sind fast komplett finanziert durch Unternehmensspenden.“ Die Organisation unterhält ein Büro in Brüssel mit vier Stellen. Die laut amtlichem EU-Lobbyregister 3,7 Millionen Euro Jahresbudget kommen also von Firmen – denjenigen, die für möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld von den Verbrauchern haben wollen. Beide Seiten verfolgen entgegengesetzte Interessen.

Dazu kommt, dass das CCC seine Spender nicht nennen will. „Wir sagen aber, aus welchen Branchen sie kommen, zum Beispiel Konsumgüter, Energie, Gesundheitswirtschaft, Maschinenbauindustrie“, ergänzt Roeder. Diese Liste passt zu einer Reihe Themen, auf die sich das CCC laut seinem Eintrag im Lobbyregister konzentrieren will: etwa Lebensmittel und Gesundheitswesen. Der einzige bereits bekannte Spender des Verbands ist Japan Tobacco International, einer der weltweit größten Zigarettenkonzerne. Ganz in seinem Sinne macht CCC Stimmung gegen Australiens Gesetz für Einheitsverpackungen von Zigaretten.

Pestizid- oder Agrogentechnik-Unternehmen jedoch würden der Organisation nichts geben, so Roeder. „Aber wenn wir da eine Finanzierung kriegen würden, fänden wir das auch gar nicht schlimm, weil wir bei dem Thema sowieso ein sehr fortschrittliches Verständnis von Landwirtschaftspolitik ausdrücken.“ Auf die Frage, ob das CCC also Spenden von den Glyphosat-Verkäufern Monsanto und Bayer oder deren Umfeld erhalte, antwortet Roeder: „Leider nicht.“

„Anschein sozialer Akzeptanz“

Das liest sich durchaus wie eine Bitte an die Chemieindustrie um Spenden. Im Lobbyregister schreibt CCC ganz offen: „Wir informieren Mainstream- und soziale Medien über die Bedrohungen der Wahlfreiheit der Verbraucher in Ihrer Industrie.“ Einen Interessenkonflikt sieht Roeder dennoch nicht. „Wir haben einen Code of Ethics, dass wir unsere programmatischen Entscheidungen nicht von Spenden beeinflussen lassen“, sagt der Geschäftsführer.

Für die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory ist der Verhaltenskodex aber nur „eine Auflistung vager Vorsätze“. Da das CCC seine Spender nicht offenlegt, könnten es Unternehmen nutzen, um ihre Interessen verdeckt und mit dem „Anschein sozialer Akzeptanz“ zu fördern.

Roeder muss aber gar nicht bestochen werden, damit er marktradikale Ansichten vertritt. Er hat auch schon in der Zeitschrift eigentümlich frei (ef) Artikel veröffentlicht, die sich selbst als das Magazin unter anderem für „Libertäre“, „GEZ-Geschädigte“, „Waffenfreunde“, „Klimaskeptiker“, „Monarchisten“ und „Tea-Party-Bewegte“ bezeichnet.

Der studierte Ökonom aus Deutschland ist auch „Chief Strategy Officer“ der US-Organisation Students for Liberty, die direkt oder indirekt auch von den US-Milliardären und Klimawandel-Leugnern Charles und David Koch finanziert wird. Getreu den Vorstellungen ihrer Finanziers wendet sich die Gruppe gegen alles Staatliche. Sie verteilt zum Beispiel Aufkleber mit dem Motto „Taxation Is Theft“ („Besteuerung ist Diebstahl“). Freiheit bedeutet für sie vor allem „wirtschaftliche Freiheit“.

Als seine „Lieblingspersönlichkeiten zum Thema Freiheit“ nennt Roeder beispielsweise den Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman, einen Wegbereiter des Neoliberalismus. Und Margaret Thatcher, die als britische Premierministerin brutal Privatisierungen durchsetzte und Gewerkschaften bekämpfte.

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