Finanzexperte über Greensill Bank: „Das erinnert an die Finanzkrise“

Rudolf Hickel ist einer der profiliertesten deutschen Volkswirte. Ein Gespräch zum Fall Greensill, der für viele Kommunen zum Debakel wird.

Stadtansicht mit Bankfiliale

In arger Schieflage: Filiale der Greensill-Bank in Bremen Foto: Eckhard Stengel/imago

taz: Herr Hickel, wird in der Zentrale der Greensill Bank in Bremen gerade ein Reality-„Tatort“ abgedreht?

Rudolf Hickel: Nein. Die auch optisch unscheinbare Bank in der Bremer Martinistraße dient der dahinterstehenden britisch-australischen Greensill-Kapitalgesellschaft, benannt nach dem Eigentümer Lex Greensill aus Australien. Sie sammelt Geld ein, um es zum Teil umstrittenen Großinvestoren zur Verfügung zu stellen. Dazu zählt der indisch-britische Stahlmagnat Sanjeev Gupta, einer der vielen Kumpel von Greensill-Gründer Lex Greensill.

Gupta verhandelte mit Thyssen-Krupp.

Guptas Deal, sich über seine Gruppe Liberty Steel die Stahlsparte von Thyssen-Krupp einzuverleiben und dies über die Bremer Tochterbank von Greensill zu finanzieren, ist erfreulicherweise auch über den Widerstand der Beschäftigten nicht zustande gekommen. Der Absturz mit der Greensill Bank ist erspart geblieben.

Rudolf Hickel, 79, ist Mitbegründer der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ sowie Mitherausgeber der Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Er zählt zu den profiliertesten Ökonomen Deutschlands.

Bei dem Übernahmeversuch könnte auch die Bankenaufsicht Bafin eine Rolle gespielt haben.

Immerhin hatte die Bafin bereits bei der Übernahme der Bremer Nordfinanz Bank durch Greensill im Jahre 2014 wegen dieses Großinvestors mit der Konzentration auf wenige Megainvestoren ein gefährliches „Klumpenrisiko“ befürchtet.

Die Kritik an der Bafin halten Sie für überzogen?

Seit Sommer 2019 ist die Bank bei der Bafin als Verdachtsfall im Visier, und es ist eine Sonderprüfung veranlasst worden. Einige sagen, das sei zu spät. Immerhin steht nicht wie bei Wirecard nur die Bank, sondern das gesamte Finanzkonglomerat im Zentrum. Erst am 3. März hat die Bank die Annahme von Einlagen sowie die Kreditvergabe gestoppt. Eine Klage wegen Bilanzfälschung wurde bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Eine wichtige Lehre: Die deutschen und europäischen Auf­se­he­r*in­nen sollten zukünftig viel stärker die globalen Netzwerke ins Auge fassen – hier müssen aber Parlamente und Regierungen erst einmal die gesetzlichen Bedingungen schaffen.

Bür­ge­r*in­nen sollen eine Milliarde Euro bei Greensill angespart haben.

Fintech-Firmen haben das Anlage suchende Geld mit nur leicht über Null liegenden Zinsen im großen Stil in Richtung Greensill-Bank gelenkt. Vor allem ging es um die Vermeidung von Minuszinsen auf Einlagen bei anderen Banken. Durch Angebote unter dem Motto „faire Finanzen“ wurden mit seriös klingenden Namen wie „Weltsparen“ der Firma Raisin Bank AG oder „Zinspilot“ über Plattformen Festgelder bei Spare­r*in­nen eingeworben. Das Geschäftsmodell dieser Plattformen basiert letztlich auf der öffentlichen Einlagensicherung in der EU bis 100.000 Euro pro Person.

Die Einlagen der Spare­r*in­nen sind durch die Einlagensicherung 100 Prozent geschützt. Was ist denn da so gefährlich an Greensill?

Deren globales Geschäftsmodell löst große Schäden aus. So übernimmt Greensill Forderungen aus Lieferungen an Unternehmen. Diese erworbenen Forderungen werden dann zu weltweit handelbaren Investmentpapieren verpackt. Solche Lieferketten-Finanzierungs-Fonds sind toxisch. Und sie erinnern an die Finanzkrise, die im Jahr 2007 durch ähnliche Wertpapiere auf Immobilien ausgelöst worden war. Offenbar haben viele Banken und Versicherungen in aller Welt in Greensill-Lieferketten-Fonds investiert. So meldete die Schweizer Großbank Credit Suisse, dass sie nun vier Investmentfonds von Greensill schließt und verantwortliche Manager entlässt. Es geht allein hier um etwa 10 Milliarden Euro.

Gießen, Monheim, Osnabrück, Nordenham: Die Liste der Kommunen, die bei Greensill Geld versenkt haben, wird immer länger.

Die Liste der öffentlichen Anleger ist spannend. Auch öffentlich-rechtliche Anstalten der ARD wie der NDR und der SR sind dabei. Über 50 Kommunen sollen betroffen sein. Allein die Stadt Osnabrück ist nach Angaben ihres Stadtkämmerers mit 14 Millionen Euro im Insolvenzrisiko. Da haben die Stadt­käm­me­r*in­nen ihre vorübergehenden Liquiditätsüberschüsse der Greensill Bank anvertraut. Und für diese Gelder wollten sie ein wenig Zinsen kassieren beziehungsweise Minuszinsen bei anderen Banken vermeiden. Im Gegensatz zu privaten Sparguthaben sind Einlagen von Gebietskörperschaften seit 2017 nicht durch die Einlagensicherung geschützt. Ein Google-Klick hätte gereicht, diese Risiken in Erfahrung zu bringen.

Gießens Bürgermeister verteidigt seine gescheiterte Anlagestrategie mit dem Hinweis auf gute Ratingnoten. Beispielsweise hat die Ratingagentur Moody's Greensill-Produkte mit dem Investment-Grad geadelt, also mit einer geringen Ausfallwahrscheinlichkeit.

Auch dies erinnert an die Finanzkrise, als Ratingagenturen Schrottpapiere mit ihren Noten weltweit aufhübschten. Der langjährige Aufsichtsratschef von Greensill Capital gehört nach meinen Informationen übrigens dem Beraterkreis der europäischen Ratingagentur Scope an. Auch in Sachen Ratingagenturen scheinen mir Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine europäischen Amts­kol­le­g*in­nen weiterhin gefordert.

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