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Filmemacherin über russischen Abzug„Dieser Ort ist eine Mahnung“

Im August 1994 verließen die russischen Truppen die BRD, im brandenburgischen Wünsdorf war ihr Hauptquartier. Sylvia Rademacher kennt die einst verbotene Stadt gut.

Zurück in die Heimat: ein russischer Offizier packt 1994 in Wünsdorf seine Koffer Foto: Axel Kull
Thomas Gerlach
Edith Kresta
Interview von Thomas Gerlach und Edith Kresta

taz: Frau Rademacher, Wünsdorf ist geprägt von Militär und Besatzung. Es war auch ein Stück weit Sowjetunion in der DDR. Vor 30 Jahren sind die letzten russischen Soldaten abgezogen. Für Sie ist dieser Ort zur Lebensaufgabe geworden. Warum?

Sylvia Rademacher: Als Studentin der Filmhochschule Potsdam war ich zum ersten Mal hier im Studentensommer. Das waren zu DDR-Zeiten obligatorische Arbeitseinsätze für alle Studenten. Wir haben Kabelgräben geschippt, jenseits der Bahnlinie, im deutschen Bereich. Und auf der anderen Seite der Bahn war der sowjetische Bereich. Und da war eine Schranke und du bist da nicht hingekommen. Das wusste man. Da hast du dir auch nicht so große Gedanken gemacht. Ich hätte mir als Studentin damals nicht träumen lassen, dass ich irgendwann in Wünsdorf wohne.

Bild: privat
Im Interview: Sylvia Rademacher

geb. 1963, hat viele Jahre als Dokumentarfilmerin und TV-Journalistin gearbeitet und ist heute die Geschäftsführerin der Bücherstadt-Tourismus GmbH, die Führungen anbietet und ein Antiquariat betreibt. Mehrere Mitarbeiter führen im Jahr etwa 15.000 Besucher über das Areal in Wünsdorf.

taz: Wann sind Sie hierhergezogen?

Rademacher: Ich bin vor einem Vierteljahrhundert hergekommen und ich habe immer versucht, da, wo ich hingegangen bin, die Dinge für mich zu absorbieren. Wenn man nur ein paar Hundert Meter von der Bunkeranlage entfernt wohnt, ist das natürlich ein Thema.

taz: Und dann sind Sie in dieses Thema reingewachsen?

Rademacher: Ich habe hier erst einmal Führungen gemacht, freiberuflich.

taz: Was erzählen Sie über die sowjetische Besatzung?

Rademacher: Im Sommer 1952 wurde der militärische Sitz des Oberkommandos der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland von Potsdam-Griebnitzsee nach Wünsdorf verlagert. Nach und nach erfolgte dann der Umzug in die Kasernen der ehemaligen Wehrmachts-Panzertruppen. In die Mitte der Bunkeranlage Maybach I, die 1937 bis 1939 im Auftrag der Wehrmacht errichtet wurde, baute man neue Gebäude hinein. Hier war die 16. Luftarmee stationiert, die Luftüberwachung und die Luftverteidigung, auch für den Bereich DDR. Seit Mitte der achtziger Jahre gab es einen noch größeren Schutzraum, wo dann die Luftüberwachung stattfand. Dort liefen sämtliche Informationen zusammen. Das alles kann man besichtigen.

Befreier und Besatzer

Als letzter Soldat besteigt am 1. September 1994 Matwej Burlakow, Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in Deutschland, die Militärmaschine. Tags zuvor haben Helmut Kohl und Boris Jelzin in Berlin feierlich die russischen Truppen verabschiedet. Mit Burlakows Abgang am nächsten Tag endet die mehr als 49 Jahre dauernde russische Besatzung in Deutschland. Der Abzug gilt als die größte Truppenverlegung in Friedenszeiten. Drei Jahre zuvor befinden sich auf ostdeutschem Gebiet noch 338.000 Soldaten und Offiziere sowie 180.000 Familienange­hörige, dazu Tausende Panzer, Schützenpanzer und Geschütze, Hunderte Flugzeuge, Hubschrauber und Raketen. Wie sich später herausstellt, waren viele der Liegenschaften mit Altlasten verseucht.

Die Frage, wie die Besatzung zu bewerten ist, teilt im Jahr 1994 die Bundesrepublik. Eine Umfrage der ARD ergibt, dass 77 Prozent der Westdeutschen in den russischen Soldaten Besatzer oder Unterdrücker sehen, bei den Ostdeutschen sind das nur 36 Prozent. 54 Prozent sehen in ihnen hingegen Befreier und Partner.

Wünsdorf wurde 1951 Sitz des Oberkommandos, zeitweilig lebten dort bis zu 75.000 sowjetische Militärs und Zivilisten. Das gesamte Areal wird seit 1994 in eine zivile Nutzung überführt. Im Bestand der Entwicklungsgesellschaft Waldstadt Wünsdorf/Zehrensdorf (EWZ) befinden sich unter anderem noch das Haus der Offiziere und die Villa Burlakow, Residenz des letzten Oberbefehlshabers. Allerdings gehören 57 Hektar Wald mit Gebäuden und denkmalgeschützten Bunkern der Bücherstadt-Tourismus GmbH, die auf dem Gelände, aber auch im Haus der Offiziere thematische Führungen anbietet.

taz: Es war also vor allem eine Informationszentrale?

Rademacher: Ja, und das Ganze ging dann, abgespeckt, bis 1994. Schon zwei Jahre zuvor hat man mit dem Rückbau begonnen. Die Russen sind nicht schlagartig im August 1994 raus und haben alles stehen und liegen lassen. Das war ein mehr oder weniger geordneter Rückzug.

taz: Was interessiert die Leute besonders, die Bunkeranlagen?

Rademacher: Natürlich auch die Bunker. Es gibt auch welche, die sind auf Lost Places aus. Aber so etwas Verlorenes sind wir gar nicht. Die Leute können, außer montags, Bunkerführungen machen in allen Variationen. Die Leute sind an der Geschichte interessiert.

taz: Es geht nicht nur um die sowjetische Besatzung?

Rademacher: Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, an dem sich Militärgeschichte abgespielt hat. Wer sich für Geschichte interessiert, weiß, dass hier das Oberkommando des Heeres gesessen hat, hier wurde der Plan „Barbarossa“ für den Angriff auf die Sowjetunion ausgearbeitet, und später war es der Hauptsitz der Weststreitkräfte der Sowjetarmee.

taz: Präsent ist aber vor allem die sowjetische Zeit.

Rademacher: Die sowjetischen Hinterlassenschaften sind so präsent, weil die Sowjets so lange hier waren. Doch allzu viel verändert haben sie nicht. Viele der Bauten, auch das Haus der Offiziere, sind schon 1916 in Betrieb genommen worden. Die Geschichte spiegelt nicht nur die sowjetische Zeit wider. Der Bogen spannt sich von der Kaiserzeit bis heute.

taz: Und trotzdem ist Wünsdorf stark überformt durch die Sowjetunion?

Rademacher: Das schon. Wünsdorf war schließlich der Sitz der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte. Aber die Erinnerung im Ortsbild verblasst immer mehr. Deswegen haben wir hier in diesem Frühjahr zum 30. Jahrestag des Abzugs eine Ausstellung gemacht. Die Resonanz war enorm. Wir konnten übrigens auch Tausende Fotos verwenden, die uns ehemalige Soldaten zugeschickt haben. Wir haben gestaunt, dass es so viele gibt. Der Kurator ist derzeit dabei, daraus ein Buch zu machen, das im Herbst erscheinen soll.

taz: Stimmt der Eindruck, dass sich vor allem Ostdeutsche für diesen Teil der Geschichte interessieren?

Rademacher: Wir haben einen großen Mix an Besuchern. Das merkt man, wenn die Urlaubszeit beginnt. Es kommen Holländer, Schweizer, Polen, sehr viele Leute aus Süddeutschland. Es waren übrigens auch schon viele Russen hier, die hier stationiert waren. Die kamen mit ihren Kindern oder Enkeln und waren immer ganz begeistert. Dass hier nur Ostdeutsche kommen, stimmt nicht.

taz: Wie erinnern sich denn die Einheimischen an das sowjetische Wünsdorf?

Rademacher: Man hat ja große Umwege gehen oder fahren müssen. Du konntest nicht auf der B 96 mitten durch Wünsdorf fahren. Da stand dann plötzlich ein Schlagbaum. Ein älterer Herr erzählte mir, dass einmal Soldaten mit ihrem Geländewagen in seinen Gartenzaun gerauscht sind. Am nächsten Tag sind sie wiedergekommen, haben den Zaun repariert und noch eine Flasche Wodka auf den Tisch gestellt. Damit war es erledigt.

taz: Die Sowjets haben die Dinge eher nach Gutsherrenart gelöst?

Rademacher: Ich glaube, das ist ein falsches Bild, das vor allem im Westen existiert und vielleicht auch bewusst falsch erzählt wird, in der Art: Der Russe an sich ist böse. Als ich noch als Journalistin arbeitete, habe ich mit einem Offizier der Bundeswehr gesprochen, der damals von bundesdeutscher Seite den Abzug mit verantwortet hat. Und er hat mir gesagt: Wir alle haben gedacht, die Russen tragen Hörner unterm Hut. So ist es ihnen ja über Jahrzehnte erzählt worden.

taz: Glauben Sie, dass es einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen Ost und West gibt?

Rademacher: Auf jeden Fall! Im Osten hat man mit ihnen gelebt, und daher glaube ich, dass es den Menschen im Osten eher bewusst ist, welche Rolle die Sowjetunion beim Sieg über die Nazis gespielt hat und was wir den Soldaten zu verdanken haben.

taz: 30 Jahre nach dem Abzug der Russen präsentiert sich Wünsdorf vollkommen friedlich. Das könnte sich möglicherweise wieder ändern. Hat sich das Heimatschutzministerium schon für die Bunker interessiert?

Rademacher: Die Frage ist, ob ich sie dann reinlassen würde. Außerdem hat der Bunker ja ein Loch, das müsste repariert werden. Das Ganze steht unter Denkmalschutz, außerdem müssten sie uns dann auch noch enteignen.

taz: Wir hätten erwartet, dass Sie das kategorisch ablehnen.

Rademacher: Ich bin auch dagegen. Dieser Ort ist eine Mahnung, dass man nicht so unbedarft in irgendwelche Kriege schlittern sollte!

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7 Kommentare

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  • Das Russlandbild im Westen war übrigens auch nicht nur von Greuelpropaganda geprägt, sondern auch von Kitsch.

    Man denke nur an Alexandra, an Iwan Rebroffs Donkosaken (wären das heute Ukrainer?) und nicht zuletzt an die Hits "Moskau" und "Rasputin". Auch im Westen gab und gibt es die Klischees von "där tiefän russischän Säälä", von Balalaikas und leutseligen Wodka-Gelagen.

  • Also aus meiner Erinnerung heraus waren die Russen nicht besonders wohl gelitten. Sie würden als Besatzer empfunden und das waren sie ja auch. Mit eigener Gerichtsbarkeit, der KGB könnte machen, was er wollte. Man muss sich ja nur die Altlasten anschauen, die sie hinterlassen haben. Da wurde nix entsorgt.



    Keine Ahnung, warum man dass jetzt toll findet.

    • @Surfbosi:

      Je länger die DDR her ist, umso mehr werden die sowjetischen Truppen verklärt. Und zwar in allen Staaten des Warschauer Paktes ausschließlich in der ehemaligen DDR.

      Plötzlich scheinen alle fließend Russisch gesprochen, Tolstoi im Original gelesen und die Wochenenden mit den engen Freunden aus Russland auf der Datsche verbracht zu haben. Und überhaupt: anders als die hysterischen und russophoben Pon, Esten, Letten usw. hat der Ostdeutsche Russlandkompetenz.

      Vielleicht ist es kein Zufall, dass diese Art der Nostalgie, die schlicht und einfach oft völlig an der Realität vorbei geht, nur in dem Land zu finden ist, dass die Besatzung durch die Sowjets tatsächlich auch verdient hatte.

  • “ Im Osten hat man mit ihnen gelebt, und daher glaube ich, dass es den Menschen im Osten eher bewusst ist, welche Rolle die Sowjetunion beim Sieg über die Nazis gespielt hat und was wir den Soldaten zu verdanken haben.”

    Mit ihnen gelebt? Mit? Sorry, aber das stimmt so einfach nicht. Die “Freunde” waren in der Regel



    mehr oder weniger isoliert von den ostdeutschen Zivilisten. Wenn ein Sowjetsoldat eine Ostdeutsche schwängerte, wurde er sofort in die UdSSR versetzt und ihr legte man eine Abtreibung nahe. Ehen, wie es sie im Westen zu tausenden zwischen amerikanern oder Briten und Deutschen gab, kamen so gut wie nie in Frage.

    Wer WIRKLICH mit den Russen/Sowjets lebte, das waren die Balten. Und die haben ein ganz anderes Russenbild als die Ossis, bei denen man das Gefühl hat, dass sie die Russen von Jahr zu Jahr mehr verklären. Auch sonst scheinen Ossis die einzigen zu sein, die sich über die Russen Illusionen machen. Woher kommt das? Ist es die typisch deutsche Besserwisserei?

    • @Suryo:

      Freunde waren die Russen nie, es waren „Brüder“ im negativen Sinn.

      • @Tino Winkler:

        Die Bezeichnung stammt von der Phrase "deutsch-sowjetische Freundschaft". Es war ironisch-euphemistisch gemeint. Jeder wusste, dass da kaum Freundschaft war.

  • Oh, da ist es wieder, das Narrativ vom netten Russen, der ja auch gar und auf keinen Fall dazu da war, jeden Widerstand hilfsweise zu unterdrücken - was ja auch jedem klar war.



    Bei uns in Dresden war die Erinnerung an Prag hellwach und unvergessen und jeder aus meiner Generation (geb.71) hat die Russen oben auf ihrem Berg kurz vor Hellerau als genau das gesehen.



    Gekommen, um zu befreien - geblieben, um zu knechten.



    Und wozu die nette Villa in der Neustadt (Angelikastraße) diente, war auch jedem klar - nur eine Glaskugel hatten wir nicht, um den zukünftigen Massenmörder zu erkennen.



    Ich könnte auch ne nette persönliche Geschichte von dem russischen Offizier erzählen, der bei uns auf der Penne russische PR machen musste und vermutlich war er in Teilen auch ein netter Mensch (und Wodka hatte er immer dabei und russische Pralinen) - wenn er nicht die unterernährten, bleichgesichtigen, kahlgeschorenen gefühlt 16jährigen Wehrpflichtigen da oben in den Kasernen malträtiert hat in ihren Uniförmchen, durch die der Wind pfiff und die, wenn sie desertierten, gnadenlos an die Wand gestellt wurden.



    Ja, so war das mit den Russen im Osten, ganz wundervoll und wir waren beste Freunde, nicht.