Film als soziales Experiment: Männer, die von Mädchen träumen
Die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann lässt in ihrem Film „Mutzenbacher“ Männer über den Mythos dieser Figur reden.
„Fesch“, „goschert“ und „komplex“ soll sie gewesen sein, erklärt ein ergrauter Mann. Der „Lolita-Typ, der nichts bereut“, sie sei kein „Opfer“ gewesen und genau das mache sie so interessant, ergänzt sein jüngerer Sitznachbar. Warum, möchte Regisseurin Ruth Beckermann aus dem Off wissen. Ein Opfer zu sein, sei einfach, antwortet er. Die, die aber lächelnd „da durchgehen“, seien Helden. Die Rede ist von Josefine Mutzenbacher, der Protagonistin des gleichnamigen Skandalromans, der mit „Die Geschichte einer Wienerschen Dirne von ihr selbst erzählt“ unterschrieben ist.
Beckermann hat für ihren Film einen Casting-Aufruf in einer Zeitung gestartet und knapp 100 Männer zwischen 16 und 99 Jahren auf eine pompöse rosa-goldfarbene Couch gebeten, wie sie zum Fin de Siècle tatsächlich in einem edlen Bordell gestanden haben könnte. Ohne selbst jemals im Bild aufzutauchen, bittet sie sie einzeln oder in Gruppen von maximal vier Personen, Ausschnitte des Buches vorzulesen. Anschließend befragt sie sie nach ihrer Meinung zu den Passagen oder eigenen Erfahrungen.
1906 erstmals in kleiner Auflage erschienen, wurde der Roman hierzulande erst 2017 von der Liste jugendgefährdender Schriften gestrichen. Der Autor ist unbekannt, oftmals wird Felix Salten, der mit „Bambi“ weltbekannt wurde, die Urheberschaft zugeschrieben. Trotz oder gerade wegen der langen Zensurgeschichte ist „die Mutzenbacher“ längst zu einem Mythos geworden.
Die Geschichte eines Kindes
Mit einer Bewunderung, als handele es sich um eine Frau, die tatsächlich gelebt hat, äußern sich die meisten Kommentatoren auf dem Sofa über sie. Als handele es sich um eine Frau wohlgemerkt – und nicht um ein Kind von fünf bis vierzehn Jahren, das sie im bekannten ersten Teil des Romans eigentlich ist. Die Tatsache, dass die zu Wort kommenden Männer ihr Alter kennen, macht einen Großteil der Aussagen in diesem sozialen Experiment, das der Film vor allem ist, teils brisant, teils widerwärtig. Immer aber aufschlussreich.
„Mutzenbacher“, wieder am 17. 2., 11 Uhr, Cinemaxx 6
17. 2., 11 Uhr, Cinemaxx 7
19. 2., 21 Uhr, AdK
Die Machtverhältnisse einer Filmwelt, in der sich Figuren wie Harvey Weinstein über Jahrzehnte halten konnten, werden also konsequent umgedreht. Wenngleich einige der Redner moralische Bedenken, ja sogar Ekel über den Text äußern, macht „Mutzenbacher“ mehr als deutlich, dass die Erkenntnisse von „#MeToo“ in vielen Köpfen noch nicht angekommen sind. Dass er den Stoff interessant findet, weil er von einer Zeit berichtet, die weniger männerfeindlich gewesen wäre, erklärt einer. Dass er gemeinsam mit einem Onkel einvernehmlichen Sex mit einer seiner Kundinnen und deren 14-jährigen Tochter gehabt hätte, ein anderer.
Auf die Frage, wie er eine Szene finde, die vom Missbrauch des Vaters an der minderjährigen Mutzenbacher handelt, antwortet der nächste mit den Worten „geil“, „schön“, „natürlich“. Immer wieder wird das Argument vorgeschoben, dass die Mutzenbacher doch stets Freude am Akt gehabt hätte. Dass bis heute bei Missbrauchsfällen angegeben wird, dass es das Opfer doch gewollt, ja sogar genossen habe, kommt den meisten nicht in den Sinn.
Darüber, ob Ruth Beckermanns Dokumentation ihre Protagonisten vorführt, kann man sich streiten. Feststeht, dass vor allem die problematischen Ausführungen meist mit großem Stolz vorgetragen werden. Und es ist wohl dem besonderen Rahmen des Films zu verdanken, dass er einen Einblick in die sexuellen Begierden ganz unterschiedlicher Männer ermöglicht, der selten so ehrlich war.
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