Feuerkatastrophe in Australien: Opfer, Täter, Ignoranten
Australien ist von der Klimakrise so bedroht wie kein anderes Industrieland. Trotzdem gibt es bisher praktisch keine Klimapolitik.
Inhaltsverzeichnis
Die Antwort gibt die Politik der letzten Jahre. Während der Kontinent von der größten Hitzewelle, Dürreperiode und Feuerkatastrophe seiner jüngeren Geschichte heimgesucht wird, verweigert die konservative Regierung zu Hause und international eine wirksame Klimapolitik. Australien hat seine Emissionen kaum gesenkt, hat schwache Klimaziele und keine konkreten Pläne für den Ausbau von erneuerbaren Energien. Regelmäßig landet Australien bei Ländervergleichen zum Klimaschutz auf den hintersten Plätzen. Die Regierung verweigert Geld für den „grünen Klimafonds“ der UNO und schwänzte den „Klima-Aktionsgipfel“ von UN-Chef Guterres im September.
Dabei ist die Klimakrise Down Under sehr präsent. Kein Industrieland ist verwundbarer als der Südkontinent, keines hat eine schlechtere Klimabilanz, und in keinem anderen Land der Welt ist Klimapolitik so wichtig, dass sie regelmäßig über das Schicksal der Regierung entscheidet. „Australien liegt an der vordersten Front des Klimawandels“, sagt Bill Hare, Leiter des renommierten Thinktanks Climate Analytics und selbst Australier. „Aber unsere Verwundbarkeit wird oft übersehen.“
Das beginnt mit der Geografie. „Unser Kontinent ist ökologisch sehr anfällig“, meint Hare: Der Süden ist ein riesiges Trockengebiet, anfällig für Hitze und Dürren, der Boden ist arm, die Landwirtschaft leidet inzwischen unter einer dreijährigen Trockenzeit. Das Great Barrier Reef vor der Nordostküste stirbt, weil sich im Klimawandel der Ozean erwärmt. Viele Wälder bestehen aus Eukalyptusbäumen, die auch wegen ihres Harzes brennen wie Zunder. Aber ein demokratisches System, westlicher Wohlstand und ein gutes soziales Netz täuschten laut Bill Hare eine Stabilität vor, die derzeit gerade sichtbar in Rauch aufgeht.
Premierminister Scott Morrison und seine Regierung haben lange abgestritten, dass es einen Zusammenhang zwischen der Feuerkatastrophe und dem Klimawandel geben könne. Noch im November nannte Vizepremier McCormack das eine Idee von Grünen und „innerstädtischen Verrückten“. In der Tat gibt es im Land immer wieder große Brände. Ob es einen Fingerabdruck des Klimawandels in den Buschfeuern gibt, errechnet derzeit eine Arbeitsgruppe an der Universität Oxford. Ergebnisse werden Ende Januar erwartet.
Eine angekündigte Katastrophe
Allerdings passen die Rekordhitze, die Rekorddürre und die Rekordfeuer genau zu den Warnungen, die etwa der UN-Klimarat IPCC für die Region veröffentlicht hat. Schon 2013 führte die australische Wetterbehörde für Temperaturen über 50 Grad Celsius auf der Skala die Warnfarbe Lila ein. Und der Klimabericht der Regierung von 2018 klingt ebenfalls wie eine Vorhersage der Katastrophe: Mehr als ein Grad Erwärmung im langjährigen Mittel, Rückgang der Niederschläge und der Flusspegel im Süden und „langfristiger Anstieg bei extremem Feuerwetter und der Länge der Feuersaison“.
Für Greg Mullins, den ehemaligen Chef der Feuerwehr im betroffenen Bundesstaat New South Wales, ist die Sache ohnehin klar: „In der Öffentlichkeit ist der Groschen gefallen, dass unsere unkontrollierbaren Feuer vom Klimawandel angetrieben werden“, sagte er dem US-Radiosender NPR. „Unsere nationale Regierung will nichts vom Klimawandel wissen. Als Chefs der Feuerwehr haben wir beobachtet, wie die Buschfeuer, die Stürme, die Überflutungen schlimmer werden, wenn Extremwetter immer extremer werden. In Australien brennen jetzt Regionen, die noch nie gebrannt haben.“
Wie schlecht die Ökobilanz des Kontinents ist, hat Climate Analytics in einer aktuellen Studie festgehalten: Die Pro-Kopf-Emissionen des 26-Millionen-Volks an Treibhausgasen gehören mit etwa 25 Tonnen pro Jahr zu den höchsten unter den Industriestaaten (Deutschland: 11 Tonnen), die Klimaziele für 2030 dagegen zu den schwächsten; die versprochene Reduktion von 26 Prozent bis 2030 will die Regierung zum großen Teil durch Tricksereien bei der Buchhaltung erbringen – diese harte Haltung war einer der Gründe für das Scheitern der Klimakonferenz in Madrid.
Dabei läge der „faire Anteil“ von Australien am globalen Klimaschutz, der Wirtschaftskraft und Geschichte einbezieht, für die Experten von Climate Analytics bei einem Minus zwischen 47 und 85 Prozent. Weil staatliche Vorgaben fehlen, verschwenden Industrie, Kraftwerke und Verkehr deutlich mehr Energie als in anderen Ländern, teilweise steht das Land schlechter da als Indien und China. Die Waldbrände verschlimmern die Lage noch: Nach ersten Schätzungen hat die Feuerkatastrophe bisher fast 350 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt – ein Plus von über 60 Prozent auf den CO2-Ausstoß des Landes.
In der Hauptstadt Canberra ist das Klimathema zwischen den wechselnden Regierungen ein heißes Eisen: Das Kioto-Protokoll wurde lange Jahre nicht ratifiziert. Ein Emissionshandel wurde 2012 von Labor eingeführt und 2014 von den Konservativen wieder abgeschafft. Der aktuelle Premier Morrison nutzte auch die Energiepolitik, um seinen Parteifreund Malcolm Turnbull loszuwerden, der für begrenzten Klimaschutz wirbt.
„Klimapolitik ist in Australien die Frage, an der sich Wahlen entscheiden“, sagt Frank Jotzo, Direktor des Zentrums für Klima- und Energiepolitik an der Australian National University in Canberra. Im Land und der Politik ist die Kohle allgegenwärtig: Sie erzeugt etwa zwei Drittel des Stroms und ist der zweitwichtigste Exportartikel des Landes.
Pläne für eine dekarbonisierte Wirtschaft
Andererseits habe laut Umfragen für etwa zwei Drittel der Bevölkerung das Klimathema hohe Priorität, sagt Jotzo, das dürften inzwischen durch die Waldbrände noch mehr sein. Auch wenn die Bundesregierung einen langfristigen Klimaplan verweigert, die Bundesstaaten hätten durchaus Planungen für eine „dekarbonisierte“ Wirtschaft.
„Schon jetzt sind neue Solar- und Windkraftwerke viel billiger als neue Kohle“, sagt Jotzo. „Mittelfristig wird unser Strom vollständig aus Erneuerbaren kommen und Kohle nur ein Exportgut bleiben.“ Der Wissenschaftler sieht die Katastrophe deshalb auch als Chance für einen Richtungswechsel: „Diese Krise könne Wendepunkt sein. Premier Morrison ist bisher eingeschlossen in seiner Position, nicht zu handeln. Die Waldbrände geben ihm einen Grund, das zu ändern.“
Der Premier könne nun sein Land vor Schaden schützen, eine zutiefst konservative Haltung, wie sie auch konservative Regierungen in Großbritannien und Deutschland hätten, so Jotzo: „Vielleicht wird 2020 das Jahr, wo der politische Streit darüber beginnt, was genau wir gegen den Klimawandel tun, und nicht mehr, ob wir überhaupt handeln.“
Ein mögliches erstes Zeichen: Am Wochenende kündigte Morrison eine Kommission ein, die die Brände untersuchen soll, und deutete an, die Regierung könne über schärfere Klimaziele reden. Klimapolitik bleibt in Australien eine brennende Frage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus