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Festivalgründer über „Fluctoplasma“„Bei uns knallt es relativ häufig“

Das Festival „Fluctoplasma“ will in Hamburg Wege erkunden, zu einem pluralen und demokratischen Wir zu kommen. Das soll auch Widersprüche zulassen.

Aktivistin und Künstlerin: Asmara Habtezion rappt 2021 beim Festival Foto: Milena Apostolova
Interview von Franziska Betz

taz: Dan Thy Nguyen, warum braucht Hamburg ein Festival für Diversität?

Dan Thy Ngyen: Es geht um die Frage: Wie kriegen wir Diversität in die Institutionen hinein? Wie bringen wir das Abbild der Gesellschaft in die Institutionen hinein, damit sie mehr mit der Realität zu tun haben als vorher, wo Kunst größtenteils aus einer weißen, bildungsbürgerlichen Perspektive gesehen wurde. Ich bin ein Kind von Geflüchteten. Für mich ist das Einmischen in die Gesellschaft und das gleichberechtigte Aufbauen einer Gesellschaft Realität und Utopie. Das sollte das Fundament einer Gesellschaft sein, in der es radikale Menschlichkeit und Gleichberechtigung gibt.

Wie sieht so eine Gesellschaft aus?

Mit „radikaler Menschlichkeit“ meine ich eine Gesellschaft, die nicht sofort in Wut ausbricht, wenn es diverse Meinungen oder Positionen gibt. Eine Gesellschaft, die nicht nur versucht, Verständnis aufzubauen, sondern Ambivalenz in sich trägt. Wir brauchen die Fähigkeit, unsere Unterschiedlichkeit immer wieder neu zu verhandeln.

Und diese Verhandlung soll auch in der Kunst stattfinden?

Kunst ist ein Baustein, weil sie das Politische ästhetisieren kann und eine Brücke schaffen kann, für Menschen, die sich vielleicht noch nicht in den großen Theorien wie Gramsci, Marx oder dem Liberalismus zu Hause fühlen. Die Kunst ist eine Übersetzungsbrücke für das Menschliche.

Bild: Mauricio Bustamante
Im Interview: Dan Thy Nguyen

37, ist freier Theaterregisseur, Schauspieler und Autor in Hamburg. 2020 gründete er mit anderen das Festival „Fluctoplasma. Hamburgs Festival für Kunst, Diskurs und Diversität“.

Wer kommt denn zu Ihrem Festival?

Im Moment ist das ein verhältnismäßig junges städtisches Publikum. Das Ziel unserer Arbeit an und mit Institutionen wie dem Museum Markk und der Zentralbibliothek ist aber auch, ein weißes Bildungsbürgertum zu erreichen, um gemeinschaftlich an einen Punkt zu kommen, um über Gesellschaft zu diskutieren.

Funktioniert die Kommunikation zwischen freier Szene und Institutionen?

Zwischen Institution und freier Szene gibt es zwei komplett unterschiedliche Kulturen. Wir haben Jahre dafür gebraucht, uns Respekt zu erkämpfen, damit man uns auf Augenhöhe begegnet. Das fängt jetzt gerade an und darüber bin ich sehr froh. Gleichzeitig gibt es immer dieses Problem, dass wir so tun, als seien wir die großen Partner, strukturell und von den Ressourcen sind wir aber die kleineren Partner.

Sie tun so, als seien Sie der große Partner?

Ich meine das so, dass wir als „Fluctoplasma“ oft auf gleicher Ebene mit den großen Institutionen sprechen. Wir sind eigentlich ein kleiner Kulturverein, aber wir behaupten regelmäßig, dass wir nicht nur dazugehören, sondern den kulturellen und politischen Diskurs mitbestimmen. Nicht, weil wir auf institutioneller Ebene gleich sind, sondern weil wir auf menschlicher und demokratischer Ebene gleich sind.

In der Praxis klappt das?

Es gibt immer Aushandlungsprozesse. Mit unserem Programm sind wir schon ein bisschen Kulturpunks. Manchmal sind wir ein bisschen mehr mit dem Hammer drauf und dann sagt die Institution natürlich: „Okay gut, das ist eine total tolle Veranstaltung, aber ich glaube, das können wir hier nicht durchführen. Also Dinge kaputtmachen, mitten auf dem Flur.“

Aber in der Kooperation setzen Sie auf Dialog statt Konfrontation?

Es geht um die Frage: Welche Kämpfe will man wann führen? Uns geht es als Festival darum, wie wir in 15, 20 Jahren zusammenleben, ohne dass wir uns gegenseitig zerstört haben. Bei bestimmten Themen, zum Beispiel Rassismus, Antisemitismus oder Rassismus gegen Roma, sagen wir deutlich: „Das geht nicht!“ Aber wenn es darum geht, wie ein neues Wir entsteht, versuchen wir diplomatisch zu sein, weil wir es gut finden, dass es in einer Demokratie unterschiedliche politische Meinungen gibt. Die Fähigkeit, zusammenzukommen und Kompromisse zu finden, fehlt uns in unserer Gesellschaft noch zu sehr.

Das Festival

Fluctoplasma: bis 30. 10., Hamburg, div. Orte, Infos und Programm: https://www.fluctoplasma.com/

Was meinen Sie mit einem neuen Wir?

Die Frage ist, wie wir zu einem neuen demokratischen Wir kommen, ohne uns auf Demonstrationen oder im Internet gegenseitig zu behacken oder in Konflikt zu bringen. Ein Wir ist immer ein Prozess und wir bei „Fluctoplasma“ suchen nach einem pluralen, multiperspektivischen Wir, das Widersprüche zulässt. Wir suchen nicht nach einem deutschen, sondern nach einem europäischen Wir. Darin steckt so viel Ambivalenz und gesellschaftliche Sprengkraft, da haben wir Stoff für die nächsten Jahrzehnte.

Zum Beispiel?

Queere Themen werden in Hamburg anders verhandelt als in Warschau. Deswegen bringen wir Menschen aus Polen und aus Deutschland zusammen, damit sie Strategien diskutieren können, wie man zum Beispiel gegen ultrakonservative oder populistische Parteien ankämpfen kann.

Und zum Schluss: Was bedeutet denn der Name „Fluctoplasma“ eigentlich?

Das „Flucto“ bezieht sich auf das Fließen und das Plasma auf die Geladenheit. Ich bin ein großer Fan des Begriffs der flüssigen und flüchtigen Moderne von Zygmunt Bauman: eine Gesellschaft, wo die Traditionslinien verdampfen und in einer atemberaubenden Geschwindigkeit neue Diskurse entstehen und immer wieder neu verhandelt werden. Diese Unübersichtlichkeit von Gesellschaft sollte Teil dieses Festivals sein. „Fluctoplasma“ heißt, es geht um das Aushandeln der solidarischen Stadtgesellschaft. Wir sind ein Festival, wo es sehr viele unterschiedliche politische Ausrichtungen gibt. Und ich würde sagen, es knallt relativ häufig auf unserem Festival.

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