Festival gegen Rechtsextremismus: „Wann wenn nicht jetzt“ gestartet
Zum Auftakt der ostdeutschen Festivaltour von „Wann wenn nicht jetzt“ kamen weniger Besucher nach Zwickau als erhofft. Schuld waren auch die Nazis.
Angemeldet waren 500, doch parallel angekündigte Demos der Identitären in Halle und von Neonazis nach dem Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Kassel hätten viele potenzielle, linke BesucherInnen von außerhalb in andere Städte mobilisiert, sagte Initiativensprecher Bruno Rössel und unterstützte dies ausdrücklich.
Zudem erschwerte ein Schienenersatzverkehr die Anreise aus Leipzig. „Wir können mit der Resonanz zufrieden sein“, äußerte Rössel gegenüber der taz. „Wir erreichen viele Menschen aus der Stadt mit unseren Infoständen und haben mit vielen heute schon sehr gute Gespräche geführt.“ Das Programm mit verschiedenen Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und Konzerten war bis zum Abend geplant, unter anderem sollte es zwei Rap-Konzerte geben. Ein Fußballturnier auf den eigens aufgebauten Feldern lief am Nachmittag noch.
Mit der gleichnamigen Konzerttour will die Initiative „Wann wenn nicht jetzt“, ein Zusammenschluss aus verschiedenen ostdeutschen Organisationen, einem möglichen Rechtsruck bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen entgegenwirken.
Solidarität und Anerkennung
In Lesungen, Workshops und Diskussionen auf zentralen Marktplätzen thematisieren die Organisatorinnen drängende soziale Themen wie Arbeitnehmerrechte, Klimagerechtigkeit, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel und Feminismus. Im Fokus stehen dabei der Bezug zur Region und Erfahrungen während und nach der DDR. Unterstützt wird die Tour von dem Bündnis Unteilbar, das im vergangenen Oktober 250.000 Menschen in Berlin für eine offene Gesellschaft auf die Straße brachte.
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Auch die Gruppe „Aufbruch Ost“, die eine Aufarbeitung der Wendezeit und des Ausverkaufs ostdeutscher Betriebe durch die Treuhandanstalt fordert, ist am Nachmittag auf dem Podium vertreten.
In der Diskussion in Zwickau knüpften ihre Vertreterinnen an zahlreiche Forderungen ostdeutscher Bürgerrechtler*innen an, die sie 30 Jahre nach der Wende immer noch nicht durchgesetzt sehen: das Recht von Frauen auf Arbeit, die Wertschätzung von Carearbeit, die Anerkennung von Lebensleistungen der Ostdeutschen, die nach der Wende arbeitslos wurden, aber auch einen Anschluss abgehängter und strukturschwacher Dörfer an die öffentlichen Verkehrsnetze. Auch die Solidarität einer offenen Zivilgesellschaft mit Geflüchteten in den Kleinstädten gehörte zu den Forderungen auf dem Podium und im Publikum.
Volkmar Ludwig, Gründungsmitglied „Neues Forum“
Der 81-jährige Zwickauer Volkmar Ludwig freute sich über die Veranstaltung. Seine Ehefrau und er gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerbewegung „Neues Forum“, das nach 1989 in den Grünen aufging. „Was uns optimistisch stimmt, ist, dass die Jugend in großem Maße vertreten ist“, sagt er. Seine Enkelin sei heute auch als Ordnerin dabei. „Aber wir nehmen mit großer Besorgnis wahr, dass es immer dieselben Leute sind, die an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Wir können oft schon ziemlich genau sagen, wer wieder dabei sein wird. Viele Leute erreicht das aber nicht.“
Mehr als das NSU-Loch
Auf dem Fest waren am Samstag vor allem junge Leute vertreten, einige reisten aus Leipzig oder Berlin, aber auch aus kleineren sächsischen Städten wie Bautzen an. Die Zwickauerin Anna Brandner begrüßte das. Sie heißt eigentlich anders, will aber ihren Namen nicht veröffentlicht sehen. Brandner engagiert sich in der Stadt im linken Verein „Roter Baum“ gegen Neonazis, die in der Stadt auch elf Jahre nach der Selbstenttarnung der NSU-Terrorzelle in der Frühlingsstraße noch immer präsent sind.
Erst am Vortag hatte es in Zwickau wieder ein rechtsextremes Konzert gegeben, mit etwa 50 bis 75 Besuchern. „Auch unsere Stadtratswahlen gingen nicht so gut aus wie erhofft“, sagte Brandner. Die rechte Partei „Zukunft Zwickau“ hat erstmals einen Sitz bekommen, die AfD elf, und ist damit zweitstärkste Kraft. „Wir finden, jetzt müssen wir erst recht was machen. Wir wollen den Menschen, die sich noch nicht in einer der Initiativen engagieren, zeigen: Weltoffenheit ist möglich, Zwickau kann auch anders. Wir sind mehr als dieses graue NSU-Loch, als das wir immer nach außen wirken.“
Für Brandner und ihre MitstreiterInnen, die sich jeden Tag für eine offene Stadt einsetzen und schon froh sind, wenn zu einer linken Demo mal 150 Leute kommen, sei die Hilfe der Initiative toll. „Wir hätten allein nie so viele Leute erreicht und so ein Programm aufstellen können“, sagte Brandner. „Das gibt uns auch einen wichtigen Motivationsschub vor den Landtagswahlen.“
Trotz der etwas geringen Resonanz bis zum Nachmittag waren die Veranstalter am Samstagnachmittag guter Dinge. Zwei kommende Höhepunkte der Tour sieht Rössel beim Tourstopp in Bautzen am 27. Juli und am 30. August beim Cross-over-Festival vom „Dorf der Jugend“ in Grimma, das die Initiative mit angestoßen hat.
Zwölf Stopps macht die Tour noch bis zu den Landtagswahlen, davon drei in Thüringen, in Brandenburg vier. Anders als die Initiative „Wir sind mehr“, die vergangenen Sommer einmalig 60.000 Besucher nach Chemnitz lockte, strebe „Wann, wenn nicht jetzt“ einen dauerhaften Effekt an, sagte Rössel: „Wir wollen eine langfristige Vernetzung der lokalen Initiativen über die Bundeslandgrenzen hinaus“, so Rössel. „Das haben wir heute geschafft.“
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