Fehlende Schutzmaßnahmen vor Coronavirus: Seehofer will mehr Erntehelfer
Spargelstecher aus Osteuropa sind oft schlecht vor Corona-Infektionen geschützt. Doch der Innenminister spricht sich für weitere Einreisen aus.
Wegen der Pandemie hatte das Bundesinnenministerium den normalerweise jährlich 300.000 Saisonkräften die Einreise verboten. Die Behörde begründete die Maßnahme mit der großen Zahl von Personen, die kommen würden, obwohl wegen der Seuche soziale Kontakte reduziert werden sollen. Auf Druck der Branche stimmte das Ministerium später doch der Einreise von insgesamt 80.000 SaisonarbeiterInnen im April und Mai zu, von denen bisher aber nur 28.000 gekommen sind. Ohne die Osteuropäer würden viele Landwirte Geld und einen Teil der Gemüse- und Obsternte verlieren, denn für den Branchen-Mindestlohn von 9,35 Euro brutto pro Stunde lassen sich nur wenige Arbeitskräfte aus dem Inland rekrutieren.
Allerdings wurde mehrfach berichtet, dass der Infektionschutz verletzt wurde. Vor der Abreise in Rumänien mussten Erntehelfer ohne den notwendigen Abstand warten. In den Flugzeugen und Transferbussen saßen sie meist dicht an dicht. Auch bei Transporten zum Feld wurden die Mindestabstände unterschritten. Die Arbeiter wurden in Mehrbettzimmern mit voller Auslastung untergebracht. In Baden-Württemberg starb ein rumänischer Spargelstecher nach einer Coronainfektion.
Den Gesundheitsschutz müssten die Länder kontrollieren, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner zu der Kritik – obwohl sie selbst gemeinsam mit Seehofer die Regeln beschlossen hatte. Die CDU-Politikerin stellte jetzt die aktuelle Regel zur Diskussion, dass die Erntehelfer per Flugzeug kommen müssen. Die Arbeitskräfte seien immer noch nötig. „In Deutschland liegen wir unter dem Selbstversorgungsgrad, was Obst und Gemüse angeht“, sagte Klöckner. „Im Juni steht unter anderem der Erntestart für die Kirschen an, und um das wichtigste Obst in Deutschland, die Äpfel, im Herbst ernten zu können, sind jetzt wichtige Pflegemaßnahmen nötig.“
Linke: Mehr Verantwortung des Bundes
Die Linkspartei kritisierte, dass Klöckner weiter keinen Korrekturbedarf sehe, obwohl zum Beispiel Gemeinschaftsunterkünfte mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden seien. „Diese Missstände mit Mahnungen an die Betriebe und Hinweise auf die Verantwortung von Ländern und Kommunen zu belassen, ist zu wenig. Wer regelt, muss auch sichern, dass die Regeln eingehalten werden“, teilte Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin