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Fahrradprüfung für Grund­schulkinderWer fällt beim Verkehrs-Seepferdchen durch?

Jedes fünfte Schulkind fällt durch die Fahrradprüfung. Unsere Kolumnistin war dabei und fragt sich, wer dafür eigentlich verantwortlich ist.

KInder müssen im Straßenverkehr besonders gut aufpassen Foto: Christoph Reichwein/dpa

D er Radfahrschein ist so eine Art Verkehrs-Seepferdchen: Um zu bestehen, muss man Verkehrsregeln kennen und ohne Schwanken auch Handzeichen und Schulterblick machen können. Unlängst waren die vierten Klassen in der Schule meines Sohnes dran. Für die Absicherung des Praxistests wurden Freiwillige gesucht. Ich meldete mich – schließlich habe ich als ehemalige ADFC-Sternfahrt-Ordnerin so eine Art Diplom im „Wir machen den Weg frei“ Business.

Von der Schule bekam ich eine Warnweste und stand in leuchtendem Orange zwei Stunden an einer Hauptverkehrskreuzung 300 Meter vom Schultor entfernt. An der Kreuzung ist vor ein paar Jahren mal ein Fußgänger von einem abbiegenden Autofahrer getötet worden.

Inzwischen wurde der Bereich neu gestaltet. Jetzt fahren hier auch Straßenbahnen – und es gibt weiterhin keine getrennten Abbiegephasen, keine schmaleren Autospuren, keinen festen Blitzer, um die gefährlichen „schnell noch mit 65 bei dunkel-gelb Fahrer“ abzuschrecken. Der Radweg vor der Schule Richtung Kreuzung selbst trägt den Innovationsflair der 80er Jahre: 40 Zentimeter breit mit eingebauter Sturzkante zum Gehweg.

Mutig, hier eine Radfahrschein-Prüfung abzuhalten, dachte ich. Die erste Kleingruppe warnbewesteter Kinder rollte samt Lehrerin- und Polizeibegleitung in Jogginggeschwindigkeit heran – und wählte den einzig sicheren Weg: rechtsabbiegen. Offenbar stand ich hier nicht als menschliche SUV-Abschreckungsvorrichtung, sondern rein zur mentalen Unterstützung der aufgeregten Kinder.

Eine Runde um den Block

Die ganze Prüfung bestand aus einer Runde um den Block des Schulgeländes – und bot Gefahrenstellen genug: Wer den Retrostyle-Radweg gemeistert hatte, bog auf einen dieser gepinselten Radstreifen ab, die zwischen parkenden und fahrenden Autos angelegt werden und keine Sicherheit bieten, um anschließend durch eine bis in die Kreuzung zugeparkte Rechts-vor-links-Nebenstraße zu fahren.

Start und Zielpunkt waren der Hintereingang der Schule, vor dessen Tor ein großer Sackgassenkreisel in täglich wechselnden Mustern zugeparkt wird. Morgens batteln sich hier gerne Eltern um den zum Schultor nächstgelegenen Kinder-Drop-off-Point.

Ein Fünftel der Kinder fiel durch die Prüfung – oder war wegen Unsicherheiten gar nicht erst zugelassen worden. Das entspricht auch dem Bundesdurchschnitt: Ungefähr jedes fünfte Kind kann nicht einmal in seinem Heimatkiez auf Seepferdchenniveau sicher Radfahren.

Ich ging nach Hause und fragte mich, wer hier eigentlich gerade durchgefallen ist: Die Kinder, die vor dem Rad-Schulunterricht teilweise noch nie auf einem Fahrrad gesessen hatten? Die Eltern, die ihre Kinder überall mit dem Auto hinbringen und deshalb die Gefahren, vor denen sie warnen, selbst mit verursachen? Die Politik, die nicht einmal in unmittelbarem Umfeld von Schulen Verkehr so gestaltet, dass zehnjährige Kinder sicher und selbstbestimmt zum Unterricht kommen können?

Mein Sohn erzählte, einige der Kinder hätten vor Freude und Stolz gejubelt, „als habe ihre Fußballmannschaft gewonnen“, als sie ihren Radfahrschein bekamen. Jeder Fünfte bekam keinen Schein.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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10 Kommentare

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  • Das Fahren beibringen unserer 3 Kids war klar zwischen meiner Frau und mir geregelt.



    Fahrrad und Tretroller wahr ihr Job (habe kein Fahhrad) und ich hab den 3 en das Mofa/Roller, Motorrad und auch Auto fahren (begleitetes) Fahren beigebracht.



    Wochenende sind wir auf die Kart und Motorcrossbahn gegangen.

    P.S. Langsam wird es langweilig! Nur noch Antiauto Artikel.

    Ich jedenfalls werde niemals Öffis oder Fahhrad fahren!

  • Liberaler Zeitgeist, von dem die Kinder (nichts) lernen?

    Schon die Kleinkinder sehen die Erwachsenen in den Straßen Endgeräte daddeln und wenn sie größer sind, sitzen sie (hinten) im Auto und daddeln.

    §1 StVO (ständige Vorsicht, gegenseitige Rücksicht usw.) scheint vielen heute völlig unbekannt zu sein. Es fehlen schlicht die Grundkenntnisse. Erstens das Wissen darum, dass man nicht alleine unterwegs ist und auch andere Interessen und Rechte haben. Zweitens, dass man mit seinem Verhalten im Straßenverkehr immer kommuniziert.

    Politik und Verwaltung machen vor: Was im Gesetz steht, steht gut da, da kann es Staub ansetzen. Um die Umsetzung der neuen Abstandsregeln in neue Verkehrswegeführung kümmert sich flächendeckend niemand. Da fehlt oft das Geld, der Platz und auch der Wille.

  • Wow, da gab es einen ganz kurzen Anflug das Eltern mit schuld sein könnten. Mehr kann man sich wohl nicht aus dem Fenster lehnen.



    Ob es die Sprache ist, die Bildung, schwimmen an allem ist die Gesellschaft schuld oder die Politik, das Eltern auch eine Verantwortung haben für die Entwicklung ihres Kindes kommt so gut wie nie vor.

  • Früher, bin 60 Jahrgang, haben sich die Eltern darum gekümmert, dass die Kinder schwimmen oder radfahren lernten



    Heute hat man so den Eindruck, dass alles an die Gesellschaft delegiert werden soll



    Gut - ich und meine Kinder sind in eher ländliche Gegend aufgewachsen.



    Aber in einem Punkt geb ich den Eltern von Heute recht: ich würde kleine bis mittelalte Kinder nicht in einer Stadt radfahren lassen

    • @Oliver Wagner:

      Es kommt ganz drauf an wie und wo man wohnt.

      Wir wohnen im Pott in einer Stadt, die regelmässig die letzten Plätze beim ADFC -Städtetest gewinnt.

      Hier am Rand dennoch okay. Ich bin nah dran am Kind. Der Kleine fährt mit seinen 4,5 inzwischen recht gut im Verkehr, hält immer an an Einfahrten von Mehrfamilienhäusern und Straßen. So weit es in dem Alter eben geht. Übung ist Alles. Immer wieder fahren, immer wieder auf Gefahren hinweisen und das richtige Verhalten. Wir als Eltern haben uns für die Stadt entschieden. Damit müssen wir auch mit den Konsequenzen leben, dass die Kinder eben nicht Feld/Wald zum üben vor der Nase haben. Es kann nicht sein, dass die Kinder die Konsequenzen für unsere tragen, weil mir das Beibringen und Suchen eines geeigneten Ortes zu anstrengend ist. ( und Parks / Schulhöfe etc lassen sich finden)

    • @Oliver Wagner:

      Fahrrad fahren konnten meine Kinder mit 3, aber das alleine sagt nichts über die Fähigkeit aus sich mit dem heutigen Autoverkehr zu arrangieren. Mein Schwiegervater mit 75 fährt heute mein Fahrrad mehr in der Stadt aus denselben Gründen. Vielleicht bauen wir einfach eine gute Rad Infrastruktur auf, dann brauchst auch weniger Autos.

    • @Oliver Wagner:

      Kinder alleine in der Stadt fahren zu lassen, ist sicher für viele mit Bauchschmerzen verbunden, da schließe ich mit ein

      Mein Sohn ist ab und zu alleine zur Schule gefahren (ca. 6km), aber diesen Weg waren wir vorher mehrmals gemeinsam unterwegs. Aber den ursprünglichen Weg fährt er schon lange nicht mehr gerne, weil er sich dort unsicher fühlte (markierter Radweg zwischen parkenden und fahrenden Kfz). Er hat sich eine Alternative gesucht, die fast ausschließlich aus 30er Zonen besteht.

    • @Oliver Wagner:

      Ich bin Jahrgang 62. Zu meiner Zeit (DDR) war ich viel mit den Rad unterwegs, erst nur rund ums Haus und die Nachbarhäuser, denn da gab es nur Zufahrtswege zu den Häusern, wo kaum jemand entlang fuhr. Später, ab dem Alter von 10 Jahren, fuhr ich zu meinen Kumpels auch in die Nachbarviertel. Allerdings war der Verkehr bei weitem nicht vergleichbar mit dem jetzigen. Von meinen Eltern bekam ich keine Tips weiter, fand aber das Fahrschullehrbuch meiner Mutter total interessant, vor allem die Vorfahrtsregeln. Das lag zum größten Teil an den leicht verständlichen Bildern. Geübt habe ich es vor allem in der Einfgamilienhaussiedlung gleich bei meiner Schule, weil es dort nur gleichrangige Straßen gab. Hat prima funktioniert.

      Heutzutage sind bei uns im Kiez (Gründerzeitviertel mit gleichrangigen Straßen) aber kaum Kinder auf Fahrrädern unterwegs, und wenn dann hauptsächlich früh und nachmittags auf dem Weg von und zur Grundschule im Viertel. Es liegt aber auch am veränderten Freizeitverhalten unserer Kinder, meinen Sohn bis vor ein paar Jahren mit eingeschlossen. Auch jetzt steigt er eher selten auf's Rad, hat allerdings die Fahrradprüfung damals in der Schule problemlos bestanden.

  • Die Schule kann nicht alles richten.



    Und die Politik kann nur ein gewisses Umfeld schaffen.

    Aber was bringt das perfekte Umfeld, wenn das Kind nie auf einem Rad gesessen hat und einfache Grundregeln des Straßenverkehrs nicht kennt? In der 4. Klasse?

    Eltern sind immer noch Eltern und haben eine Verpflichtung gegenüber den Kindern. Dazu gehört eben auch , Fahrradfahrer zu lernen und das auch sich im Straßenverkehr zurechtzufinden. Als Eltern hat man Verantwortung für ein Leben und eine Zukunft.

  • Ich denke durchgefallen ist die Schule, wenn sie es nicht fertigbringen vorher zu üben. Die Eltern und die Politik ohnehin, da sie die meisten Probleme verursachen und ihren Kindern beibringen auf dem Bürgersteig zu fahren und Fußgänger zu gefährden. Und ausserdem zeigen sie ja allen, das Verkehrsregeln nur freundliche Ratschläge sind. Und damit bewegen sich dann viele so als gäbe es keine Regeln und keine Rücksicht.