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Fahrradpolitik im neuen JahrMehr Radfahren!

Knapp die Hälfte der Deutschen will 2024 häufiger Rad fahren – aber die Politik hat zumindest im vergangenen Jahr alles dafür getan, das zu verhindern.

Radfahrer in Berlin: Mehr Radfahren, das wollen laut Fahrradmonitor knapp die Hälfte aller Menschen hierzulande Foto: Jens Kalaene/dpa

D ieses Jahr dürfte super werden: Ich habe mir die guten Vorsätze der Deutschen für 2024 angeschaut. Ganz oben steht „Mehr Geld sparen“, dicht gefolgt von „Mehr Sport treiben“, „Abnehmen“ und „Mehr für die Umwelt tun“. In meinen Ohren klingt das alles nach „Ich will mehr Radfahren“. Das wollen laut Fahrradmonitor knapp die Hälfte aller Menschen hierzulande. Wenn auf der Fahrbahn ein Trecker steht und die S-Bahn streikend im Depot bleibt, ist Radfahren derzeit sogar Empowerment pur: Einfach selbstbestimmt losfahren und ankommen!

Nur: Ein Fahrradweg oder irgendetwas, das sich wie passende Infrastruktur lesen lässt, ist gar nicht so leicht zu finden. Deshalb hatte die Bundesregierung 2023 den guten Vorsatz, Straßenverkehrsgesetz und -ordnung zu ändern. Schließlich gibt es inzwischen mehr als 1.000 Kommunen in Deutschland, die in Bewegung kommen wollen, aber nicht können. Leider beschloss der Bundesrat, die StVG-Novelle zu stoppen.

Beeindruckt war ich von der Begründung: Die Sicherheit des Verkehrs sei sonst gefährdet. Ich stelle mir Bäume und Poller vor, die sich arglosen Kraftfahrzeugen aus dem Nichts entgegenwerfen. Denke an durch Tempo 30 innerorts in psychische Ausnahmezustände genötigte Autofahrer. An durch mangelnden Verkehrslärm in Pandemieschrecken getriggerte Stadtbewohner. Diese Gefahren hat der Bundesrat gebannt. Nichts getan hat er gegen Verkehrstote. Dabei nehmen Anzahl und Schwere von Verkehrsunfällen ab, wo die Geschwindigkeit gemindert ist. Und wo es geschützte Infrastruktur für Rad- und Fußverkehr gibt – da bewegen sich mehr Menschen per Fuß und Rad, sicher dazu.

Ich kann mir vorstellen, dass Politiker, die sich mit ihren Entscheidungen derart dezidiert gegen die Sicherheit von Rad- und Fußverkehr einsetzen, selbst nie Rad fahren und sich nur bis zu ihrem Auto zu Fuß bewegen. Für sie muss die körperliche Unversehrtheit anderer halt gegenüber der eigenen Bequemlichkeit zurückstehen.

Graus und Tod durch falsche Verkehrspolitik

Aber kennen sie tatsächlich niemanden, der bei anderer Infrastruktur noch bei guter Gesundheit oder am Leben wäre? In meiner Familie verlor vor vierzig Jahren ein Mensch durch einen Autofahrer sein Leben. Seine Mutter weint heute noch, wenn das Gespräch auf ihren Sohn kommt. Seither sind etwa 260.000 Menschen auf deutschen Straßen getötet worden.

Volkswirtschaftlich ist das auch ein Graus: Ein Leichtverletzter kostet gut 5.000 Euro, ein Schwerverletzter 100.000 Euro, ein Getöteter entspricht laut Statistik einem volkswirtschaftlichen Schaden von 1.219.396 Euro. Insgesamt kosten Personenschäden jährlich zwölf Milliarden Euro. Viel davon könnte die Politik vermeiden.

Einer meiner Pläne für 2024 war übrigens, nicht mehr so leidenschaftlich auf Pro-Auto-Politik zu reagieren. Mehr Bequemlichkeit zu wagen. Aber in der dritten Woche des Jahres werfen ja die meisten ihre Vorsätze über Bord.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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8 Kommentare

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  • Elephant in the room.

    Es gibt seit ca 40 Jahren eine massive Kampagne gegen Radwege insb aus dem ADFC.



    Radwege sind bei Sportradlern unbeliebt, denn sie hemmen das Tempo. Dass sie viel Radverkehr induzieren heisst gleichzeitig: viel erzwungene Rücksicht auf Kinder, Senioren etc. Da rückt der 30er-Schnitt in weite Ferne.

    Von der Kfz-Lobby aufgegriffen und institutionalisiert wurde die Anti-Radweg-Kampagne des ADFC 1997 mit der sog. "Fahrradnovelle" des damaligen CDU-Verkehrsministers (und späteren Vorsitzenden des Verbands der deutschen Automobilindustrie, VDA), Matthias 'Green Diesel' Wissmann.

    Diese "Fahrradnovelle" besteht in der Änderung des §2 StVO, Radverkehr muss jetzt regelhaft die Fahrbahn benutzen sowie im §45/9 StVO , benutzungspflichtige Radwege (zumeist baulich abgetrennt) sind nur noch dann zulässig, wenn eine Gefahrenlage besteht, die das normale Risiko erheblich übersteigt ('there must be blood').



    Dies unter dem Jubel des ADFC, der sich damit einmal mehr als Interessenvertretung der sportlich ausgerichteten & männlich dominierten Radfahrer erwiesen hat.

    Mit dieser Novelle war die Baupflicht für getrennte Radinfra dahin.



    Auch wenn eine Gemeinde Radwege bauen (nicht malen) will: Sie darf meist nicht. Das Haushaltsrecht, insb. der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, verbietet das.



    Denn: Radfahren SOLL auf der Fahrbahn stattfinden. NUR bei (durch Unfälle, d.h. a posteriori nachgewiesener besonderer Gefahr) ist Radwegebau zulässig.



    Kinder, Senioren und viele Frauen & auch Männer (risikointolerante Radfahrer:innen) sind damit vom Radverkehr ausgeschlossen.



    Auch Verkehrsberuhigungen, bis zur 'Fahrradnovelle 1997 vielerorts üblich und rechtens, werden jetzt mittels §45/9 standardmässig weggeklagt.

    Die Kampagne zur Änderung des StVG ändert daran nichts. Es war grösstenteils eine Strohmannkampagne zur Sicherung der §§ 2 & 45/9 StVO -man kann aus ADFC-Sicht auch sagen: Zur Sicherung der Privilegien der männlichen sportlichen Radfahrer.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      Ui, die Autolobby spricht.

      Das lustigste an deinem Beitrag ist die Bezeichnung des ADFC als Sportfahrer-Intressenvertretung.



      Das kann man auch anders sehen, bei uns ist der ADFC mehr so betreutes Radln.

      Es läuft schon seit ewigen Zeiten eine Kampagne für Radwege in diesem Land.



      StVO §45 (9) hindert niemanden daran Radwege zu bauen, sondern nur, diese dann benutzungspfichtig zu machen ohne ausreichende Begründung. Und das ist sehr gut so. Gerade der ADFC versucht schon seit geraumer Zeit dieses zu torpedieren.

      Die Änderung der StVO mit der Radnovelle kam hauptsächlich deswegen, weil Radwege, vor allem Hochboard, sehr viel unsicherer sind als auf der Fahrbahn radeln. Und auch weil ein paar CSUler nicht wirklich überrissen haben was die Änderung bedeutet.



      Trotzdem wird die Änderung seit über 25 Jahren von den StVB weitestgehend ignoriert und jeder beschissenen Gehweg mit VZ237 beschildert.

  • Die verfügbare Zeit zum Zurücklegen von Alltagswegen hat maßgeblichen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, denn von den jeweils verfügbaren Mobilitätsoptionen sind letztlich – ausschließlich oder in Kombination(en) – nur jene nutzbar, mit denen sich alle(!) notwendigen Wege eines Tages zuverlässig innerhalb der dafür verfügbaren Zeit bewältigen lassen.

    Wer seine Pendelwege bislang mit dem Auto zurücklegt (und das sind mehr als 70 % aller Pendler) und trotzdem bereits auf tägliche Unterwegszeiten zwischen 80 und 100 Minuten kommt, der hat in der Regel überhaupt nicht die Möglichkeit, noch mehr Zeit dafür aufzuwenden und damit auch nicht die Wahl, einen größeren Anteil seiner Wege mit (vielleicht) kostengünstigeren aber (meistens) langsameren öffentlichen Verkehrsmitteln oder gar dem Fahrrad zurückzulegen. Er/sie kann in den meisten Fällen auch nicht umziehen, um Wege zu verkürzen, weil kein bezahlbarer Wohnraum verfügbar ist.

    Eine "Welt" ohne motorisierten Individualverkehr kann bei der gegenwärtigen Gesamt-Infrastruktur überhaupt nicht funktionieren. Und die Gesamt-Infrastruktur kann man, sofern es überhaupt möglich ist, allenfalls in Jahrzehnten bis Jahrhunderten umbauen.

    Die gesamte Verkehrsdiskussion ist ziemlich sinnfrei, wenn man dabei die realen Wegezeiten der Menschen (nicht für Einzelwege, sondern für alle Wege des Tages zusammen) ignoriert und sich über im Alltag noch zumutbare Wegezeiten keine Gedanken macht.

    • @Al Dente:

      Innerhalb von Städten pendelt man schnell mal eine halbe Stunde mit dem Auto, ohne mit dem Fahrrad langsamer unterwegs zu sein.



      Das stimmt nicht bei jedem Arbeitsweg, aber wer quer durch eine Innenstadt muss und dabei wegen festgelegter Arbeitszeiten den Berufsverkehr nicht abwarten kann, braucht mit dem Fahrrad definitiv nicht länger.



      Vorausgesetzt, die Fahrradabstellmöglichkeiten sind mindestens so attraktiv wie die Autoabstellmöglichkeiten.



      Zudem hat man seinen täglichen Sport bereits erledigt und spart sich die Fahrt zum Fitnessstudio, um dort auf dem Ergometer zu strampeln.



      Und diejenigen, die zwischen verschiedenen Kommunen pendeln und tatsächlich nicht so einfach aufs Fahrrad umsteigen können, freuen sich über jeden, der den täglichen Stau nicht unnötig verlängert.



      Nur weil nicht alle umsteigen können, ist das noch lange kein Grund, niemanden umsteigen zu lassen.

    • @Al Dente:

      Bitte lesen: Virus Auto 4.0

      Das Buch des österreichischen Verkehrsexperten Hermann Knoflacher analysiert und beschreibt die Fehlentwicklungen unserer vom »Virus Auto« befallenen Gesellschaft und zeigt eindrucksvoll auf, wie die autogerechte Planung zur Zerstörung sozialer, urbaner und ländlicher Strukturen geführt hat. Trotz der enormen Umweltschäden und hohen Unfallzahlen wachsen Jahr für Jahr die Autobahnlandschaften, steigen die Belastungen durch Abgase und Lärm, sodass sich die Frage stellt, warum der Mensch sein Verhalten nicht ändert. Hermann Knoflacher gibt praxiserprobte Antworten und zeigt Wege aus der Misere auf. Hermann Knoflacher, der sich seit mehr als 50 Jahren theoretisch und praktisch mit Stadt- und Verkehrsplanung beschäftigt, legt mit VIRUS AUTO 4.0 die aktualisierte Neuausgabe seines Buchs VIRUS AUTO von 2009 vor.

    • @Al Dente:

      Laber Rhabarber.

      Über 75% der Bevölkerung in diesem Land lebt in städtischen Gebiet, könnte also komplett ohne MIV auskommen.

      Deutschland ist kein Entwicklungsland.

      Was nicht alles erzählt wird, damit man nicht mal 2km zu Fuß gehen muss.

      • @Oliver Lange:

        Ich wohne außerhalb einer Großstadt (Stadtrand 1km entfernt). Entfernung zum Arbeitsplatz 25km. Wegezeit mit dem Auto 40 - 45 Minuten). Wegezeit mit dem ÖPNV (Fussweg oder Radfahrt, Regionalbahn, Stadtbahn, Fussweg) mindestens 90 Minuten. Realistisch nicht mehr zu verbessern. Die Regionalbahn ist gerade erst merklich beschleunigt worden. Wegezeit mit dem Rad (real) eher 2 Stunden.

        Ob man hin und zurück 1,5 oder 3 oder gar 4 Stunden aufwenden muss (allein für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz) hat einen gravierenden Einfluss auf die Lebensmöglichkeiten.

        Verstehen beginnt damit, die Realitäten (auch anderer Menschen) überhaupt wahrzunehmen, möglichst objektiv und ungefiltert von eigenen Interessen/Visionen.

        • @Al Dente:

          Wo ist das Problem? Es geht nicht darum, Ihnen das Auto wegzunehmen, sondern jedem Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit zu geben, sein Verkehrsmittel frei zu wählen. Natürlich wird es weiterhin Fälle geben, wo das Auto die erste Wahl ist. (Es gibt auch zahlreiche Fälle, wo das Auto die letzte Wahl ist (z.B. bei mir), es wäre aber nicht zielführend, wenn wir uns jetzt gegenseitig Fallbeispiele für die eine oder andere Seite an den Kopf werfen).



          Eine Stärkung des Verkehrsverbundes soll dazu führen dass mehr (vielleicht nicht alle) auf Fahrrad oder Öffis umsteigen, oder zu Fuß gehen können. Profitieren würden davon insbes. auch Autofahrer, denn die Folge wären weniger Autos, also schnelleres Vorankommen, mehr Parkplätze etc. Sie sollten das also befürworten.