FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Wir brauchen klare Kante“
Am Wochenende trifft sich die FDP zum Parteitag. Wolfgang Kubicki spricht über seine Kandidaturen, die FDP, Armut und Sozialstaat.
taz: Herr Kubicki, Sie sind gerade 65 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Was hat Ihnen denn Ihre Partei geschenkt?
Zunächst mal einen großen Empfang. Und dann ihre ganze Hinwendung und Zuneigung. Ich habe alle gebeten, mir keine Geschenke mitzubringen, sondern für meine Partei zu spenden, damit wir ausreichend Mittel haben, um unsere politische Botschaft unters Volk zu bringen.
Und, wie viel ist zusammengekommen?
Reichlich, ein fünfstelliger Betrag.
Mit 65 könnten Sie kürzertreten und noch ein bisschen Geld als Anwalt machen. Stattdessen treten Sie jetzt bei gleich zwei Wahlen an. In Kiel für die Landes-FDP und in Berlin für die Bundespartei. Warum?
Weil ich von meiner Partei darum gebeten und dafür gewählt worden bin.
Das war die offizielle Antwort. Was treibt Sie wirklich an?
Der Wille zum Erfolg. Ich bin da ganz preußisch. Ich gehöre dieser Partei 46 Jahre an, und ich will nicht damit aufhören, Politik zu betreiben, bis die FDP wieder mit einem ausreichenden Angebot im Deutschen Bundestag vertreten ist.
Der 65-Jährige ist FDP-Fraktionschef im Kieler Landtag und Vizevorsitzender der Bundespartei. Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag 2013 übernahm er zusammen mit Christian Lindner die Aufgabe, die Liberalen wieder aufzubauen.
Ende dieser Woche findet Ihr Bundesparteitag statt. Welche Note dürften die Delegierten ihrem stellvertretenden Parteivorsitzenden geben?
Ich bin mit mir einigermaßen zufrieden. Letztlich aber werden die Delegierten darüber entscheiden. Ich rechne nicht mit einem schlechteren Ergebnis als vor zwei Jahren, da waren es über 90 Prozent.
Vermutlich wird es noch einen Landtagswahlbonus obendrauf geben.
Wenn es den gäbe, dann wäre ich bei einem Ergebnis nahe dem von Martin Schulz. Und das halte ich für unwahrscheinlich. Ich bin ja nach wie vor ein unbequemer Typ.
Nach dem Türkei-Referendum könnte beim Parteitag die Debatte über das Ende des Doppelpasses geführt werden. Wie stehen Sie dazu?
Den Doppelpass abzuschaffen ist eine mittelprächtige Idee, denn sie hilft im Zweifel nicht weiter. Loyalität ist keine Frage des Passes, sondern der inneren Einstellung. Die spannende Frage, die wir klären müssen, ist diese: Die Bundesregierung lässt ja Deutschtürken hier über türkische Politik abstimmen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es zulassen wird, dass in Deutschland zum Beispiel über die Einführung der Todesstrafe abgestimmt wird.
Erstaunlich, ich hielt für möglich, dass Sie für Wählerstimmen von Ihrem eigenen Grundsatzprogramm abrücken.
Für mich ist der Doppelpass weder ein Schreckgespenst noch eine Heilslösung, den haben wir schließlich auch mit anderen Ländern als der Türkei. Und ich rücke von Positionen, die ich einmal eingenommen habe, nicht deshalb ab, weil Erdoğan diese Abstimmung mit Schummelei gewonnen hat.
Nach dem Parteitag wird in Schleswig-Holstein gewählt. Wie ist Ihr Verhältnis zu dem Grünen Robert Habeck?
Wir mögen uns. Ich halte ihn für eine herausragende Erscheinung in der schleswig-holsteinischen Politik. Davon haben wir nicht so viele.
Haben Sie sich gefreut, dass er nicht antritt?
Das verstehe ich bis heute nicht. Das Problem, das die Grünen jetzt haben, tragen sie ja offen vor: Wer will, dass Robert Habeck Minister bleibt, muss Grün wählen. Das wird die Menschen nicht erreichen, im Gegenteil. Das Kriterium ist doch die politische Gestaltungsoption.
Wäre Habeck der bessere Spitzenkandidat im Bund gewesen?
Auf jeden Fall. Die Grünen hätten mit ihm deutlich mehr Chancen und wären jetzt nicht so im Sinkflug. Anders als mit Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Ich fände es schade, wenn Habeck aus der Politik ausscheiden würde. Aber auch da ist mein Schmerz begrenzt, er gehört ja bedauerlicherweise nicht meiner Partei an.
Kommen wir zur Bundestagswahl. Seit Martin Schulz Spitzenkandidat ist, geht es endlich wieder um etwas: um die Frage Union oder SPD. Warum sollten die Leute Ihnen jetzt noch ihre Stimme geben? Es hat in den letzten Jahren auch ohne FDP geklappt.
Das sieht eine Reihe von Menschen offensichtlich anders. Wir sind in den Umfragen bei sechs Prozent, das ist doch schon mal erfreulich. Die Menschen merken, dass sie keine Erziehungsberechtigten brauchen, sondern politische Kräfte, die ihnen was zutrauen. Außerdem ist der Schulz-Hype ja schon wieder zu Ende. Und dass sie Angela Merkel noch eine weitere Wahlperiode ertragen müssen, das nehmen die Leute mittlerweile auch wieder in Kauf.
Die Verheißung der SPD lautet momentan, dass Koch und Kellner wechseln. Die SPD würde führen, Merkel wäre weg. Wo also würde da die FDP gebraucht?
In Berlin scheint sich Tristesse breitzumachen. Deshalb wäre es vielleicht ganz schön, Typen wie Lindner und Kubicki zu haben, die den Laden ein bisschen aufmischen. Und die darüber nachdenken, wie man etwas erwirtschaftet, bevor man es verteilt. Entscheidend ist, wir brauchen eine funktionsfähige Wirtschaft, eine vernünftige Außenpolitik, die auf Ausgleich bedacht ist. Wir brauchen vor allem klare Kante, was Rechtsstaat und Demokratie angeht.
In welcher Rolle sähen Sie die FDP denn gern nach der Bundestagswahl – als Sperrminorität oder als kleinen Regierungspartner?
Weder noch. Ich sehe die FDP in der Rolle jener Kraft im Deutschen Bundestag, die Politik betreibt, ohne danach zu schielen, wem das gerade gefällt. Was die Menschen am wenigsten mögen, ist, wenn Politiker nur nach bestimmten Positionen gieren. So was wird, jedenfalls unter meiner Beteiligung, nicht wieder stattfinden.
Haben Sie auch Inhalte?
Selbstverständlich. Ich wünsche mir zunächst eine vernünftige Außen- und Europapolitik. Wir müssen sehr schnell eine neue europäische Euphorie entfachen, damit Europa nicht auseinanderfällt. Wir müssen unsere rechtsstaatlichen Standards verteidigen. Leute, die mir dauernd erklären, man könne Sicherheit nur gegen Freiheitsrechte eintauschen, haben einfach nicht recht. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass junge Menschen optimal ausgebildet werden. Es treibt mich fast zum Wahnsinn, wenn ich sehe, dass viele Schulen nicht einmal über WLAN verfügen. Das sind so einfache Sachen, dass ich mich wundere, warum wir dauernd über Gerechtigkeit reden, wenn es doch nur darum geht, das Aufstiegsversprechen zu erneuern.
Aktuell ist es aber so, dass laut dem Armutsbericht vierzig Prozent der Bürger weniger in der Tasche haben als noch in den neunziger Jahren.
Ich bestreite das. Wenn derjenige als arm definiert wird, der weniger als sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens hat, dann haben Sie immer Arme. Es ging in diesem Land noch nie so vielen Menschen so gut wie gegenwärtig. Ich habe keinen Respekt mehr vor der Drohung vor Altersarmut und Verelendung. Das gibt es alles, ja. Aber wir haben unser Sozialsystem so ausgestaltet, dass für diese Fälle der Staat einspringt. Und wenn er einspringt, können wir doch nicht sagen: „Was für eine Sauerei, dass das nötig ist.“
Aber Sie sind ja Bürger dieses Landes. Sehen Sie nicht an den Bahnhöfen die Elenden und Obdachlosen? Armut nimmt sichtbar zu.
Wenn Sie das meinen, dann wären die Sozialdemokraten schuld. Die regieren seit 1998 dieses Land, bis auf die Ausnahme von vier Jahren. In Schleswig-Holstein regieren die sogar seit 1988 mit Ausnahme von zweieinhalb Jahren. Selbstverständlich gab es Armut früher auch, aber wir haben mittlerweile ausreichend starke Systeme implementiert, um genau dagegen vorzugehen. Ich wundere mich übrigens über Folgendes: Wir haben jedem Flüchtling eine Gesundheitskarte gegeben, was ich vernünftig finde. Aber offenbar hat sich niemand mit der Frage beschäftigt, warum die Obdachlosen keine haben. Wenn ein Staat das nicht gewährleistet, dann muss man die Mehrheiten verändern. Und das sage ich nicht, weil Sie von der taz sind.
Das habe ich auch nicht angenommen.
Ehrlich, ich krieg da so einen Hals. Die Leistungen von alleinerziehenden Müttern, die können Sie auch nicht hoch genug anrechnen. Dass wir uns über die Frage unterhalten, ob sie fünf oder zehn Euro Hartz IV mehr bekommen, das macht mich wütend.
Möglicherweise könnten Sie bald all dies wieder politisch beeinflussen. Aber im Fall einer Ampel- oder Jamaika-Koalition müsste die FDP im Bund mit den Grünen regieren. Und das, obwohl Ihre Mitglieder die so hassen. Warum ist das so?
Das liegt an der moralischen Attitüde, die viele Grünen gegenüber den Freien Demokraten aufbringen. Für die sind wir die bösen, egoistischen, neoliberalen Menschen, die zur Verelendung der Massen beitragen, damit es einigen Wenigen gut geht. Wenn Sie auf diese Weise bombardiert werden, haben Sie keine Lust, mit denen auch noch ihre Zeit zu verbringen. Aber klar, Politik besteht nicht allein aus der Frage, wen ich mag oder nicht mag. In der Politik geht es um gemeinsame Arbeit an einer vernünftigen Zukunftsperspektive. Wenn das gewährleistet ist, müssen persönliche Animositäten zurückstehen.
Wenn der Wiedereinzug in den Bundestag schiefgeht, bedeutet das das Ende der FDP als bundesrepublikanische Instanz, oder?
Sagen wir mal so. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es noch mal gelingen würde, einen solchen Kraftaufwand zu betreiben wie in den letzten dreieinhalb Jahren. Das war ja nicht nur terminlich, sondern auch physisch eine echte Herausforderung. Es wäre auf jeden Fall das Ende meiner politischen Tätigkeit auf Bundesebene.
Wenn es doch klappt …
… da machen Sie sich mal keine Sorgen. Wenn wir in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zweistellige Ergebnisse holen, werden wir darüber gar nicht mehr diskutieren. Selbst Gregor Gysi hat mir gerade gesagt, dass die FDP im Bundestag gebraucht wird.
2013 haben Sie den Rauswurf auch nicht kommen sehen.
Im Gegensatz zu Ihnen hatte ich das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag 2013 erwartet. Wer in der letzten Woche vor der Wahl um Stimmen bettelt, kann nicht überbordendes Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit erwarten. Es gilt die alte Weisheit: Wer sich klein macht, wird auch klein gewählt.
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