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Extremisten auf dem Vormarsch„Beunruhigende Netzwerkbildung“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt vor immer erfolgreicheren Extremisten. Der neue Chef will auch Neurechte im Auge behalten.

„Neue Dynamik“: In Chemnitz demonstrierten bereits Rechtsextreme Hand in Hand mit Bürgern Foto: dpa

BERLIN taz | Die Warnung von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang ist ernst. Es gebe eine „neue Dynamik“ im Rechtsextremismus, eine „beunruhigende Netzwerkbildung“. Auch auf linksextremer Seite weichten Grenzen zu bürgerlichem Protest auf, falle das Gewalt-Tabu gegen Personen. Und im Internet florierten Falschmeldungen. All dies sei ein „handfestes Problem“.

Haldenwang spricht seine Warnung am Montag auf dem alljährlichen Symposium seines Bundesamts in Berlin aus. Ging es dort in den letzten Jahren, unter Hans-Georg Maaßen, zumeist um den Islamismus, setzt Haldenwang – seit Herbst 2018 im Amt – diesmal einen anderen Schwerpunkt: die „Entgrenzung“ des Extremismus.

Demokratische Spielregeln würden zunehmend infrage gestellt, warnt Haldenwang. Extremisten würden Unzufriedenheiten in der Mitte der Gesellschaft aufgreifen, den Staat verächtlich machen, sein Gewaltmonopol infrage stellen und mit Fake News „Verwirrung und Zwietracht“ stiften. Gerade in sozialen Onlinemedien nehme sein Amt ein „massives Einprasseln von Falschmeldungen“ wahr.

Und die Extremisten seien damit erfolgreich, so Haldenwang: Lange lehnte die Gesellschaftsmitte ein Zusammentun mit Radikalen ab – diese Schranke sei gefallen. In Chemnitz habe man dies auf rechtsextremer Seite gesehen, im Hambacher Forst auf der linksextremen. Und das habe Folgen: Gewalt werde wieder enthemmter. Am Ende stünden „ganz konkrete Opfer“ – angegriffene Migranten, Politiker, Polizisten, Journalisten.

Kurswechsel unter Haldenwang

Die „Entgrenzung“ des Extremismus ist der Begriff der Stunde in den Sicherheitsbehörden. Und einer der ersten Schwerpunkte von Haldenwang. Bereits mit Amtsantritt stockte er seine Rechtsextremismusabteilung um 50 Prozent auf. Zu Jahresbeginn stufte er die AfD als extremistischen Prüffall ein.

Über die AfD redet Haldenwang an diesem Tag nicht. Aber er erwähnt deren neurechte Mitstreiter. Auch in dieser Szene – Haldenwang nennt das Institut für Staatspolitik um Götz Kubitschek, dessen Antaios-Verlag und das Compact-Magazin – werde „systematisch die Grenze des Sagbaren erweitert“, würden „Tabuzonen im politischen Diskurs abgebaut“. Dort würde subtiler statt von Rasse von Kultur und Ethnien gesprochen, so Haldenwang. Aber auch das sei „nicht zu unterschätzen“.

In den Landesämtern wurde diese ­Warnung schon länger ausgesprochen und das Bundesamt zum Handeln gedrängt. Haldenwang bewegt sich hier nun.

Verfassungsschutz will mehr Online-Überwachung

Seine Mission ist aber noch eine andere: Er will mehr Befugnisse zur Online-Überwachung. Hier legte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bereits einen Gesetzentwurf vor, der dem Verfassungsschutz das Mitlesen verschlüsselter Messengerdienste und das Durchsuchen privater PCs erlaubt, auch das Überwachen von Kindern. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) aber blockiert bisher komplett: Zu weitgehend sei der Vorstoß.

Das Ziel des Geheimdiensts: Er will mehr online überwachen – aber das Justiz-ministerium blockt

Haldenwang warnt nun: Für Extremisten sei der Austausch über Onlineplattformen und Messengerdienste zentral, beides dürfe „keine Schwachstelle der Sicherheitsbehörden sein“. Seehofer hatte dem Symposium abgesagt, nun erklärt sein Staatssekretär Günter Krings, das Vorhaben werde „weiter mit allem Nachdruck verfolgt“. Es sei ein einmaliger Vorgang, dass hier ein Gesetz ohne inhaltliche Befassung „in Bausch und Bogen verworfen“ werde.

Eine Sprecherin Barleys verweist auf den Koalitionsvertrag: Dort sei eine „maßvolle Kompetenzerweiterung“ des Verfassungsschutzes vereinbart, aber auch eine Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle. „Letzteres vermissen wir völlig.“

Haldenwang appelliert schließlich auch an die Gesellschaft: Diese müsse „genau hinschauen“, mit wem sie zusammenarbeite – und sich posi­tionieren. Derzeit aber seien die extremistischen Stimmen lauter als die demokratischen.

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9 Kommentare

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  • Es ist ja ganz nett, dass der neue Verfassungsschutzpräsident einen höheren Wert auf den Kampf gegen Rechtsextremimus setzt, aber dass er dabei auch gleich wieder Linke einwerfen muss um die Hufeisentheorie zu bedienen macht mich wütend.



    Ich bin im Laufe der letzten Jahre zu der Überzeugung gelangt, dass der Verfassungsschutz mehr schadet als hilft und aufgelöst werden sollte.



    Wenn Herr Haldenwang mehr Vertrauen in den Staat möchte, dann sollte er damit anfangen über Extremismus und Entgrenzung in den Sicherheitsbehörden zu reden.

  • 0G
    05654 (Profil gelöscht)

    *Räusper* ... Betreffend (Zit.) : "Auch auf linksextremer Seite weichten Grenzen zu bürgerlichem Protest auf " ... Die Polizei hat im vergangenen Jahr einem Bericht zufolge deutlich weniger Straftaten von Tätern aus dem linksextremistischen Milieu gezählt als 2017. Berichtete der Berliner "Tagesspiegel" unter Berufung auf Sicherheitskreise. Einem Bericht zufolge hat es 2018 weit weniger linksextremistische Straftaten als im Vorjahr gegeben. Die Zahl rechter Angriffe habe etwas zugenommen , titelt die Zeit & DPA . Betreffend (Zit.) : "Auch auf linksextremer Seite falle das Gewalt-Tabu gegen Personen." ... § 32 StGB (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden ... Art. 20 GG (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

  • Toll!



    Das sind ja mal brandneue Erkenntnisse. Und Erweiterung von kontrollbefugnissen ist mal wieder das Allheilmittel für alles.



    mich langweilt das alles...

  • die barrieren zum bürgertum würden immer duchlässiger, hab ich als zitat irgendwo gelesen.



    soso. wo kann man das denn beobachten? bei FFF und den seebrückedemos wahrscheinlich.



    viel mehr sorgen mich ja die fehlenden barrieren zwischen vs/polizeibehörden/bundeswehr und nazischattennetzwerken.

  • Dieser Satz wird hier unkommentiert weitergegeben:



    "In Chemnitz habe man dies auf rechtsextremer Seite gesehen, im Hambacher Forst auf der linksextremen."



    Im Hambacher Forst haben wir den größten Polizeieinsatz in NRW gegen Klimaaktivisten gesehen, die gewaltsame Räumung des Waldes im September 2018, Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten, während gleichzeitig Nazihorden in deutschen Städten ungehindert auf Menschenjagd gingen, die Polizei kapitulierte vor der Übermacht und zog sich zurück. Diese Ungeheuerlichkeit, die hier auf unsägliche Weise relativiert wird, hat man zum Glück auf der ganzen Welt gesehen. Danke nochmal an die New York Times für diesen Artikel:



    www.nytimes.com/20...38;pgtype=Homepage

    • @Renate:

      Irgendwie muss der VS ja die "Hufeisentheorie" der bürgerlichen Parteien verteidigen.

      Ich hab mir in der Kindheit die DDR-Krankheit ("Was hier gesagt wird erzählt ihr ned woanders.") eingefangen und da gings um nix staatsumstürzlerisches.



      Das wollten auch ned die Leute in Wackersdorf (nicht gebaut dank Tschernobyl und eben dem Mittragen des Protestes durch die "normalen" Leute), Gorleben etc. heute halt bei der Braunkohle.



      Aber was soll mensch in einem Land erwarten wo der Juso-Chef quasi im gleichen Atemzug mit Mao genannt wird weil er sich mal sein Parteiprogramm durchgelesen hat...

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Renate:

      So ist es, wie Sie schreiben. Danke.

    • @Renate:

      danke für das nochmal verlinken hier!

      • @nelly_m:

        Ja, es ist natürlich sehr gut, dass wir hier nicht alleine sind. Auch dass Greta Thunberg ihren Preis den Aktivisten im Hambacher Forst gewidmet hat, war super.



        www1.wdr.de/nachri...her-forst-100.html

        Natürlich nervt es die ohne Ende, dass Greta Thunberg und die Schüleraktivist*innen sich so schlecht dafür eignen, kriminalisiert zu werden. Also versuchen sie den Spagat: Kriminalisierung der bösen linksextremen Klimaaktivist*innen auf der einen Seite, Versuch der Vereinnahmung der "niedlichen Kinder" auf der anderen. Alles leicht durchschaubar, man würde nur darüber lachen, wenn da nicht so viel Macht und Gewalt wäre und die Repressionen nicht immer schlimmer würden.