Evangelikale Christen werben für Israel: Armageddon für Trump
Evangelikale lieben Israels Regierung – und sie gelten zugleich als wichtige Unterstützer der Wiederwahl des US-Präsidenten.
W eniger als zehn Minuten Autofahrt liegen zwischen der US-Botschaft, die Donald Trump 2018 feierlich von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen ließ, und Bethlehem, dem Geburtsort Jesu im Westjordanland. Die Coronapandemie hat in der Stadt ihre Spuren hinterlassen: Wo früher Massen von christlichen Pilgern Schlange standen, um die Geburtskirche zu betreten, breitet sich triste Leere aus. Die aufdringlichen Taxifahrer und Tourguides sind verschwunden, Reisebüros und Hotels haben ihre Mitarbeiter*innen entlassen. Die Kirchentore schließen schon am frühen Nachmittag.
2019 war ein Rekordjahr für Bethlehem. Beinahe zwei Millionen Besucher*innen hatte die Geburtskirche. Doch für die meisten Pilger ist der Aufenthalt in Bethlehem nur kurz. Der Führung durch die Kirche folgt ein Mittagssnack mit Hummus oder Falafel, und schon eilt man zurück zum Reisebus. Eine klassische Pilgerreise im Heiligen Land spielt sich nicht im Westjordanland ab, sondern in Israel. Dass sich die Geburtskirche auf palästinensischem Territorium befindet, ist ein unbequemer Zufall.
1. Mose 12,3
„Wer Israel flucht, der wird verflucht! – Wer Israel segnet, wird gesegnet!“ Auf diesen Satz im 1. Buch Mose 12,3 gründen viele evangelikale Christen ihre politischen Vorstellungen. Sie fordern eine bedingungslose Unterstützung der israelischen Regierung einschließlich deren Siedlungspolitik im Westjordanland.
Bis zum Ausbruch der Coronapandemie brachte die US-Lobbyorganisation Christians United For Israel (CUFI) jedes Jahr Hunderte amerikanische Pastoren nach Israel. Als größtes proisraelisches Bündnis in den USA zählt CUFI über 8 Millionen Mitglieder. Der robuste 80-Jährige Fernsehprediger John Hagee aus Texas ist stolz auf sein Lebenswerk. Als die USA 2018 als erster Staat der Welt Jerusalem als offizielle Hauptstadt Israels anerkannten und den neuen Botschaftsstandort in Jerusalem einweihten, war Hagee als Prediger eingeladen.
„Sie haben die politische Unsterblichkeit erreicht“, so hatte der TV-Prediger noch vor der Eröffnung Donald Trump gelobt, „denn Sie hatten den Mut, das zu tun, was sich andere Präsidenten nicht getraut haben.“ In der Vergangenheit hat Hagee immer wieder bizarre Thesen verbreitet, etwa dass Hitler ein Erfüllungsgehilfe Gottes gewesen sei. Alle Juden hätten dem Ruf des Zionismus folgen und nach Palästina auswandern sollen.
Seiner Karriere geschadet hat das nicht: Bei den jährlichen CUFI-Konferenzen sind hochkarätige Politiker*innen und Diplomaten aus den USA und Israel vertreten. Als Hagee Anfang des Monats an Covid-19 erkrankte, wünschte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ihm auf Twitter eine schnelle Genesung, denn Israel habe „keinen besseren Freund“.
Rund ein Fünftel der US-Amerikaner*innen verstehen sich als evangelikale Christen. 2016 stimmten sehr viele von ihnen für Donald Trump und verhalfen ihm somit zum Wahlsieg. Eine ähnliche Unterstützung benötigt Trump auch für seine angestrebte Wiederwahl am 3. November, schätzen Wahlkampfanalysen.
Unterstützung für den göttlichen Heilsplan
Was Evangelikale vereint, ist, dass sie die Bibel nahe am Text auslegen, sozial konservativ eingestellt sind und bedingungslos hinter dem Staat Israel stehen. Eine Untergruppe der Evangelikalen, die mit großer Treue zu Trump hält, bezeichnet sich als christliche Zionist*innen, so wie John Hagee. US-Vizepräsident Mike Pence und Außenminister Mike Pompeo gehören zu ihnen, aber auch Robert Jeffress, Leiter einer Megakirche in Texas und einer der engsten Berater*innen des Präsidenten.
Der christliche Zionismus wird als Sammelbegriff für eine Reihe von proisraelischen Einstellungen verstanden. Eine davon läuft darauf hinaus, dass Trumps Israelpolitik die Erfüllung eines göttlichen Heilsplans bedeute. Demnach sind Politik und Religion untrennbar verwoben.
Die Protestanten In den USA spielt die Religionszugehörigkeit bei der Wahlentscheidung eine gewichtige Rolle – so auch vor vier Jahren, als Donald Trump gegen Hillary Clinton gewann. Etwa die Hälfte der 138 Millionen amerikanischen Wähler*innen waren laut Nachwahlbefragungen Protestant*innen. Sie unterstützten Donald Trump zu 56 Prozent. Bei der Hälfte dieser Wähler wiederum handelte es sich um weiße evangelikale Christen. Beinahe 80 Prozent gaben Trump ihre Stimme. Dagegen wählten nur 3 Prozent der schwarzen Protestant*innen Trump.
Die Katholiken Bei Katholik*innen, die 20 Prozent der Wähler*innen ausmachten, war das Wahlverhalten ausgewogener: 52 Prozent von ihnen gaben an, Trump zu unterstützen. 60 Prozent davon waren weiße Amerikaner*innen. Von den hispanischen Amerikaner*innen unter den Katholik*innen entschieden sich dagegen nur 24 Prozent für die Wahl von Trump.
Konfessionslose Von den 26 Prozent der Konfessionslosen und Atheist*innen stimmten nur 24 Prozent für Trump, während sich 65 Prozent für Hillary Clinton entschieden.
Juden Jüdische Wähler*innen, die nur etwa 2 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, wählten zu 71 Prozent die Kandidatin der Demokraten. Nur 24 Prozent stimmten für Trump. (taz)
Wie kein anderer US-Präsident hofiert Trump diese Wählergruppe: Im August machte er Schlagzeilen, als er bei einem Wahlkampfauftritt erstmals öffentlich zugab, die US-Botschaft in Israel seiner evangelikalen Wähler*innen wegen verlegt zu haben. Diese hätten ihm mehr Dankbarkeit gezeigt als das jüdische Volk.
2018 kündigte Trump den Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran an, den Evangelikale als permanente Existenzbedrohung für Israel fürchten. 2019 erkannte seine Administration Israels Annexion der Golanhöhen an. Wenige später erklärte die US-Regierung, die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten seien nicht mehr völkerrechtswidrig. In seinem „Friedensplan“ im Januar dieses Jahres gab Trump zumindest vorübergehend grünes Licht für eine Annexion aller Siedlungen im Westjordanland. Und auch mit seinem Coup, den Normalisierungsabkommen der Emirate und Bahrains mit Israel im September, wollte Trump offenbar vor allem bei seinen evangelikalen Wähler*innen im eigenen Land punkten. Das scheint ihm auch bei dem jüngst geschlossenen Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und dem Sudan gelungen zu sein.
„Die Wahrheit über Israel erzählen“
In einer der israelischen Siedlungen lebt Moshe Rothchild. Von seiner Terrasse in Efrat aus blickt der amerikanischisraelische Rabbiner und Tourguide auf Bethlehem. Dort war er allerdings noch nie, denn aus Sicherheitsgründen ist es Israelis nicht gestattet, in palästinensische Städte zu reisen. Dabei würde er Weihnachten gern einmal mit seinen Freund*innen aus den USA in Bethlehem verbringen.
Für Rothchild ist die politische Allianz zwischen evangelikalen Christ*innen und jüdischen Israelis unentbehrlich. Während früher amerikanische Juden die wichtigsten Verbündeten Israels waren, sind mittlerweile evangelikale Christen die bedeutendste Interessengruppe, die sich finanziell und politisch nicht nur für den Staat Israel, sondern auch für die rechtsnationale Siedlerbewegung starkmacht.
Rotchild begrüßt diese Entwicklung: „Wir sind zu sehr damit beschäftigt, was Christen und Juden historisch trennt.“ Das sei ein Fehler, sagt er. Mit seiner eigenen Organisation, Global Israel Alliance, versucht er, Brücken zu bauen. Dafür bringt er Pastoren auf Reisen ins Heilige Land – und zwar kostenlos. „Die Wahrheit über Israel zu erzählen ist der wirksamste Weg, es zu verteidigen“, verspricht Global Israel Alliance auf ihrer Internetseite. Darunter ist ein Bild von israelischen Soldaten an der Klagemauer zu sehen. Im Wind flattert die blau-weiße israelische Fahne.
Laut einer Recherche der israelischen Zeitung Haaretz zahlten christliche Organisationen und Geldgeber*innen aus den USA, oft nach einer emotionalen Pilgerreise, von 2008 bis 2018 bis zu 65 Millionen US-Dollar an israelische Siedlungen.
Einst stellten Christ*innen die Mehrheit in Bethlehem. Heute gehören sie einer schrumpfenden Minderheit an. Als Grund für den Exodus führen sie fast ausnahmslos die unerträgliche politische Lage an. Eingekesselt von 22 jüdischen Siedlungen, hat die dicht besiedelte Stadt kaum Platz für Wachstum. Die israelische Sperranlage, eine acht Meter hohe Betonmauer, umkreist weite Teile der Stadt. Während Tourist*innen vor Ausbruch der Pandemie problemlos ein- und ausreisen konnten, müssen Palästinenser*innen oft lange am Checkpoint warten, bis israelische Soldat*innen sie aus ihrer Heimatstadt herauslassen.
Von den amerikanischen Pilgern in der Geburtskirche hat kaum einer von palästinensischen Christen gehört. „Wir sind für christliche Zionisten keine echten, koscheren Christen, deshalb unterhalten sie mit uns auch keine Beziehungen“, lacht Mitri Raheb bitter. Wegen seiner Kritik an Israel wurde der prominente lutherische Pastor und Hochschulpräsident in Bethlehem wiederholt attackiert und des Antisemitismus bezichtigt. „Für Menschen wie John Hagee ist Gott ein Business. Netanjahu hat kein Problem damit, mit denen ein Bett zu teilen, solange sie Israel moralisch und finanziell unterstützen“, kommentiert er die Allianz zwischen Israel und den Evangelikalen.
Mitri Raheb, palästinensischer lutherischer Pastor in Bethlehem
Für Raheb liegt der eigentliche Antisemitismus in den theologischen Wurzeln des christlichen Zionismus: „Es ist ja nicht so, dass Juden von Evangelikalen geliebt werden. Sie wollen die Rückkehr der Juden hierher, weil sie glauben, dass dann Armageddon stattfinden kann.“
Raheb spricht von der politischen Ideologie der christlichen Zionist*innen und deren theologischer Grundlage, dem sogenannten Dispensationalismus. In der Praxis bedeutet das: Die Heilsgeschichte wird als Abfolge verschiedener Zeitalter – „Dispensationen“ – verstanden. Gott hat unterschiedliche Heilspläne für Israel und die Kirche. Erst wenn Jerusalem wieder in jüdischer Hand ist und der jüdische Tempel wiedererbaut werden kann, wird Jesus zurückkehren. Gläubige Christen würden während dieser Endzeit im Himmel eine Armee für Armageddon – die letzte Schlacht vor dem Jüngsten Gericht – bilden. Auch einige Juden würden Jesus dann als Messias erkennen, zum wahren Glauben konvertieren und sich retten, die übrigen aber würden untergehen.
Diese Erlösungslehre erlebte Mitte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien einen Aufschwung und erhielt später auch in den USA Unterstützung. Als um die Jahrhundertwende der Zionismus als politische Bewegung an Einfluss gewann, fielen die Interessen von jüdischen Zionist*innen und Anhängern des Dispensationalismus zusammen: Der britische Politiker und Sozialreformer Earl of Shaftesbury berief sich 1853 in einem Brief an Premierminister Aberdeen auf „ein Land ohne Nation“, das „eine Nation ohne Land“ brauche – ein Mantra, das häufig mit dem frühen Zionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht wird. Auch der britische Außenminister Arthur Balfour, der 1917 in seiner berühmten Balfour-Deklaration dem jüdischen Volk eine nationale Heimstätte in Palästina versprach, war vom Dispensationalismus geprägt.
Die Staatsgründung Israels 1948 und der Sechstagekrieg 1967, in dem Israel sein Territorium erweiterte, werden als wichtigste Vorzeichen des nahenden Millenniums gesehen. Allerdings glaubt heute nur ein Bruchteil der evangelikalen Christ*innen in den USA wortwörtlich an diese Prophezeiungen.
Dennoch sind Palästinenser*innen wie Raheb die Leidtragenden der vom christlichen Zionismus getriebenen US-Politik. „Gott wird hier gegen die Menschen ausgespielt. Menschenrechte werden im Namen Gottes verletzt. Für uns in Bethlehem geht das nicht, denn Gott ist hier als Mensch geboren“, sagt Raheb.
Lisa Jernigan wendet sich von den Thesen ab
Die Unterstützung im Heiligen Land für Trumps US-Politik bröckelt aber auch bei Evangelikalen zunehmend. Zum Beispiel bei Lisa Jernigan. Aufgewachsen in einer konservativen evangelikalen Kirchengemeinde in Arizona, galt es ihr lange Zeit als selbstverständlich, Israel bedingungslos zu unterstützen. Die Juden seien Gottes auserwähltes Volk, so lautete ihr Credo. „Als Israel 1967 Territorium eroberte“, erzählt Jernigan, „habe ich das gefeiert.“ Doch seit sie mehr über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser*innen und die Rolle von Christ*innen darin versteht, hinterfragt sie ihre frühere Haltung.
Mittlerweile war Jernigan auf zwanzig Pilgerreisen im Heiligen Land, zuerst nur in Israel. Später bereiste sie aber auch die palästinensischen Gebiete. „Es bricht mir das Herz, dass ich dieses Jahr wegen Corona nicht dort sein kann“, klagt sie via Zoom aus ihrem Wohnzimmer in Phoenix, Arizona. Statt Wasserpfeife in Jerusalem zu rauchen, verbringt sie dieses Jahr mehr Zeit mit ihren Kindern und Enkeln.
Jernigans Mann ist Pastor der protestantischen Megakirche Central Church, die wöchentlich bis zu 15.000 Besucher*innen anzieht. Dass sie Israels Rolle im Nahostkonflikt heute kritischer sehen als früher, hatte einen Preis für die Jernigans: Sie verloren Freunde, viele ihrer Kirchgänger*innen kamen nicht mehr. Das sei in Ordnung, sagt Jernigan, denn jeder müsse seine eigenen Entscheidungen treffen, „auch wenn diese Entscheidungen manchmal alles infrage stellten, womit wir aufgewachsen sind“.
Einer der wichtigsten Orte im Heiligen Land ist für Jernigan der Jakobsbrunnen. Nur selten verirren sich Pilger*innen dorthin, denn seine Lage am Rande der konservativen Stadt Nablus im Westjordanland schreckt viele Besucher ab. Dass Jernigan ins palästinensische Nablus kommt, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Dabei ist es das hier entspringende kristallklare Wasser, von dem laut Johannesevangelium schon Jesus und die samaritanische Frau am Fuße des Berges Garizim tranken.
Auf seiner Reise von Jerusalem nach Galiläa machte Jesus einen Umweg durch das biblische Samarien. Dort setzte er sich müde an den Brunnen und bat eine Frau um einen Trunk. Mit dieser Geste brach Jesus ein kulturelles Tabu, sowohl in Hinblick auf ihr Geschlecht als auch auf ihre Religion. Den Juden galten die Samaritaner als unrein. Im Gespräch mit der Frau gab er sich zum ersten Mal als Messias zu erkennen. Seine Botschaft sollte für alle gelten, einschließlich der „Ausgestoßenen“.
Für Jernigan ist Jesu Begegnung am Brunnen ein Schlüsselmoment. „Er hat keinen Umweg gescheut, um diese ausgestoßene Frau aufzufinden“, sagt sie, „das ist auf heute übertragbar.“ Überquert man heutzutage vom Jakobsbrunnen und der über ihm gelegenen griechisch-orthodoxen Kirche aus die Straßenseite, steht man vor dem Eingang des palästinensischen Flüchtlingslagers Balata. Auf einem Viertelkilometer leben hier zusammengepfercht 27.000 Palästinenser*innen, deren Familien 1948 im Krieg zu Flüchtlingen wurden. Während der zweiten Intifada im Jahr 2000 brachte Balata mehr Selbstmordattentäter hervor als jeder andere Ort im Westjordanland.
„Wenn Jesus heute leben würde, wo wäre er unterwegs? In Balata?“, fragt sich Jernigan. „Für die meisten Menschen ist Nablus unsichtbar. Das Flüchtlingslager, die Einschusslöcher am Eingang der Kirche, gerade deshalb ist es so wichtig hierherzukommen. Ich spüre hier den Schmerz und den Krieg. Aber die Schönheit dieser Kirche und die Klarheit dieses Wassers geben mir Hoffnung.“ Wenn CUFI, die einflussreiche Lobbyorganisation des evangelikalen US-Predigers John Hagee, Pastoren ins Heilige Land bringt, steht der Jakobsbrunnen im palästinensischen Nablus nicht auf dem Programm.
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