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Europäische LieferkettenrichtlinieUmweltstandards als Wettbewerbsvorteil

Die EU-Kommission will die Lieferkettenrichtlinie abschwächen, um Unternehmen zu entlasten. Laut Öko­no­m*in­nen würde dies mehr schaden als helfen.

Eine Näherin in Dhaka Foto: Abir Abdullah/epa

Berlin taz | In einer gemeinsamen Erklärung haben am Montag über 90 Öko­no­m*in­nen aus Europa für „eine zügige und ambitionierte Umsetzung“ der europäischen Lieferkettenrichtlinie plädiert. Sie kritisierten Abschwächungen, die die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Diese würden „die Wirksamkeit der Richtlinie erheblich einschränken“.

EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hatte im Februar das Omnibus-Paket zur Entlastung von Unternehmen vorgestellt. Darin enthalten ist unter anderem die Verschiebung der Richtlinie und die Aufkündigung zentraler Elemente wie dem zivilen Klagerecht. Nach diesen Plänen müssten Unternehmen nicht mehr die ganze Lieferkette, sondern nur noch direkte Lieferanten auf Menschenrechtsverletzungen überprüfen – und das nur alle fünf Jahre.

Von der Leyen begründete die Maßnahmen mit Bürokratieabbau und gleichen Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen auf dem Weltmarkt. Das Europaparlament stimmte der Verschiebung der Richtlinie um ein Jahr zu. Über die inhaltlichen Aspekte wird nun verhandelt. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat zuletzt jedoch Druck auf Brüssel gemacht, die Richtlinie komplett zu kippen.

Verschiebung der Lasten

Die Öko­no­m*in­nen schreiben, sie „lehnen ein Wettbewerbskonzept ab, das die Externalisierung von Sozial- und Umweltkosten auf Kosten der Natur, des Klimas, der Arbeitnehmer und anderer Betroffener entlang globaler Lieferketten akzeptiert“. Es sei nicht akzeptabel, dass die Allgemeinheit und künftige Generationen die ökologischen und sozialen Kosten unverantwortlicher Unternehmenspraktiken tragen müssen.

Die Un­ter­zei­chnen­de­n bestreiten außerdem, dass die Vorgaben zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten die europäische Wettbewerbsfähigkeit behinderten. Hierbei spielten andere Faktoren eine wichtigere Rolle – wie hohe Energiepreise, die US-Zollpolitik, eine schwache Nachfrage in Europa, die auch von geringen Löhnen herrühre, Fachkräftemangel und restriktive Migrationspolitik sowie Versäumnisse, in öffentliche Infrastruktur und Erneuerbare zu investieren.

„Auf Grundlage zahlreicher Forschungsarbeiten erwarten wir in Europa wie auch im Globalen Süden positive wirtschaftliche Effekte bei der Durchsetzung von Menschenrechten und Umweltstandards“, erklärt Johannes Jäger in einer Mitteilung der zivilgesellschaftlichen Initiative Lieferkettengesetz. Jäger lehrt Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule des BFI Wien und ist Mitinitiator der Erklärung.

Sechs Beschwerden an die Bafa

Ebenfalls am Montag veröffentlichen die Menschenrechtsorganisationen ECCHR, Brot für die Welt und Misereor eine Bilanz aus ihren Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz. Die Organisationen haben in dreizehn Fällen von unternehmensinternen Beschwerdemechanismen Gebrauch gemacht und sechs Beschwerden an die zuständige Kontrollbehörde des Lieferkettengesetzes Bafa eingereicht.

Die Organisationen betonen, dass das Lieferkettengesetz bereits Wirkung zeige, es aber auch Nachbesserung brauche. Wenn die EU-Lieferkettenrichtlinie abgeschwächt werde, sei dies nicht mehr möglich.

Die Organisationen heben positiv hervor, dass Betroffene in den Lieferketten das Gesetz nutzen, „um ihren Rechten und Anliegen in den Unternehmenszentralen und der Öffentlichkeit in Deutschland endlich Gehör zu verschaffen“. Außerdem würden Unternehmen menschenrechtliche und ökologische Risiken in ihren Lieferketten ernster nehmen. Einige Unternehmen gingen dabei mit Gewerkschaften und NGOs in den Dialog, um Maßnahmen auszuhandeln, zum Beispiel zum Schutz der Beschäftigten.

Die NGOs kritisieren jedoch, dass keines der Unternehmen bereit war, seine Einkaufspraktiken zu hinterfragen, also mehr Geld in die Hand zu nehmen, um etwa angemessene Löhne zu ermöglichen.

In der Analyse kritisieren die Organisationen auch, dass die Lieferbeziehungen der Unternehmen noch nicht transparenter geworden seien. Das erschwere Betroffenen, ihre Rechte durchzusetzen. In vielen Fällen blieb auch die Reaktion der Unternehmen auf Beschwerden „wenig transparent, unvollständig oder unverbindlich“, heißt es in der Analyse.

Auch das Beschwerdeverfahren der Kontrollbehörde Bafa sei den Stakeholdern, also etwa Arbeitnehmenden oder Gewerkschaften in den Unternehmen, nicht ausreichend bekannt. Die Organisationen bemängeln, dass es bisher nur einen Fall gab, als LKW-Fahrer in Deutschland über ausstehende Löhne streikten, in dem das Bafa Verbesserung erreicht habe. „Das reicht nicht“, schreiben die Organisationen in der Analyse.

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2 Kommentare

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  • Man kann die Abschwächung der Lieferkettenrichtlinie auf jeden Fall im Hinblick auf "Natur, des Klimas, der Arbeitnehmer" ablehnen. Nur wo ist der Wettbewerbsvorteil? Die vage Argumentation, andere Faktoren wären noch schlimmer für die Wettbewerbsfähigkeit, reicht nicht.



    Weil mit der Richtlinie eventuell höhere Löhne im Globalen Süden gezahlt werden? Es dürfte genug Fabriken und Länder geben, in denen das unterlaufen wird. Ansonsten hätten diese Länder längst versuchen können, selber nur noch höhere Standards zuzulassen.



    Wenn die Regelungen aus der EU zu tief gehen, hat es auch immer den touch von postcolonial nudging. Trotzdem, grundsätzlich sollte man daran festhalten.

    • @fly:

      Wenn man die hohen EU-Standards konsequent durchsetzt und von allen einfordert, hält man zwielichtige globale Billigstanbieter leicht auf Distanz. Das wirkt besser als Zölle.



      DAS ist der Wettbewerbsvorteil.