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Essay Martin SchulzEin überzeugter Deutscher

Warum bloß gilt der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz als „großer Europäer“? Für die EU-Krise ist er mitverantwortlich.

Das SPD-Konzept: Wenn es den eigenen Wählern gut gehen soll, muss es den europäischen Nachbarn schlecht gehen Foto: reuters

Der Witz, es habe sich eine „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten in der SPD“ gegründet, stammt noch aus Agenda-2010-Zeiten und hat ein bisschen Patina angesetzt. Aber er illus­triert das Problem der SPD noch immer genau: Dass jemand eine soziale Politik macht, weil er sich als Sozialdemokrat bezeichnet, gilt nicht mehr als selbstverständlich.

Warum aber glaubt die Öffentlichkeit von Martin Schulz, er sei ein „Vollblut-Europäer“ (FAZ), „überzeugter Europäer“ („Tagesschau“), „leidenschaftlicher Europäer“ (Wirtschaftswoche), nur weil ihn führende SPDler als „großen Europäer“ (Frank-Walter Steinmeier) verkaufen?

Warum, mögen Sie fragen, sollte er das nicht sein?

Für die Beantwortung dieser Frage hilft es, ein wenig in der Geschichte zu wühlen. 1998 – Kohl ist noch Kanzler, Lafontaine SPD-Chef – hält Ingrid Matthäus-Maier im Bundestag die Mutter aller SPD-Reden zum Euro. Sie ist damals finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, antwortet an jenem April­tag in der Debatte zur Euro­einführung als wichtigste Oppositionsrednerin auf Finanzminister Theo Waigel (CSU).

Man müsse den Euro bürgernäher erklären, sagt sie: „Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Vorgang in meinem Wahlkreis 1994. Dort besuchte ich zehn Tage nach Abwertung der Lira das Stahlwerk Klöckner-Mann­staedt. Dort war die Stimmung miserabel. Wir müssen Leute entlassen, hieß es. Die Lira ist in den Keller gegangen. Schon nach fünf Tagen hatten Italiener Aufträge an dieses deutsche Stahlwerk storniert, weil sie durch die Abwertung der Lira die deutsche Rechnung in Mark mit sehr viel mehr Lire bezahlen mussten als vorher. Dann haben sie die Aufträge in andere Länder vergeben. Solche konkreten Beispiele zeigen, dass Währungsturbulenzen gerade für unser Land verheerend waren und sind. Deswegen ist der Euro gerade auch für uns gut.“

Nationaler Egoismus

Matthäus-Maier begründet also ein europäisches Projekt mit nationalem Egoismus, übergeht stillschweigend, dass andere Länder Pro­ble­me bekommen werden, wenn Deutschland sie nicht mehr hat – und fordert zum Schluss eine Koordinierung der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik nach der Bundestagswahl 1998, die niemals kommen wird: „Es ist doch kein Zustand, dass es in Europa Steueroasen und Steuerdumping in großem Umfang gibt.“

Stattdessen beginnt Rot-Grün mit der Agenda 2010 einen Angriff auf die Wirtschaftsmodelle der Nachbarländer. Spätestens mit der Eurokrise kommt es so wie von Matthäus-Maier gewünscht: Weil Italien, Frankreich oder Griechenland ihre Währung nicht mehr abwerten können, profitiert Deutschland. Der Süden kommt dagegen aus seiner Krise nicht mehr heraus.

Die Versatzstücke von Matthäus-Maiers Rede finden sich heute mit nur kleinen Variationen bei führenden Sozialdemokraten wieder. Kanzlerkandidat Schulz etwa argumentiert nicht mit der Stahl-, sondern der Autoindustrie, warum Europa unbedingt am Euro festhalten müsse: Bei einer Wiedereinführung der D-Mark, so Schulz in einem Interview von 2012, müsste die „deutsche Automobilindustrie dann keine Angst mehr vor China haben, sondern vor Frankreich und Italien, vor Peugeot, Citroën und Fiat“. Der Euro scheint für ihn ein Mittel, um SPD-wählende Facharbeiter vor Konkurrenz aus dem europäischen Ausland zu bewahren.

Im Bundestagswahlkampf 2017 will er Matthäus-Meiers Versprechen einer europäischen Steuerharmonisierung neu beleben: „Wenn der kleine Bäckerladen anständig seine Steuern zahlt, der globale Kaffeekonzern aber sein Geld in Steueroasen parkt, geht es nicht gerecht zu. Die Bekämpfung der Steuerflucht wird deshalb ein zentrales Wahlkampfthema werden“, sagte Schulz in seiner Berliner Antrittsrede.

„Blame you neighbour“-Populismus

Die SPD ist die Partei des Status quo in der Europapolitik. Jedes Weniger an Vergemeinschaftung innerhalb der EU (ein Ende des Euros) würde ebenso die Interessen ihrer Wählerschaft treffen wie fast jedes Mehr (eine gemeinsame Sozialversicherung, Schuldenvergemeinschaftung oder Strafen für einen zu großen Handelsbilanzüberschuss). Einzige Ausnahme ist eine Steuerharmonisierung: Während Deutschland vom Euro profitiert, profitieren Länder wie die Niederlande oder Irland von niedrigen Steuersätzen.

Würde also Europa den Euro beibehalten und die Steuern vereinheitlichen, hätte Deutschland einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil. Schulz, der wie Matthäus-Maier niemals darüber redet, was die deutschen Exporte im Ausland anrichten, betreibt mit seiner Steuerkampagne blame your neighbour-Populismus.

Politische Veränderungen gehen nur selten von denen aus, die vom Status quo profitieren. Die Sozialdemokraten haben die Reform- und Austeritätspolitik von Merkel und Schäuble daher weitgehend mitgetragen. Die Forderung nach Eurobonds, also einer Vergemeinschaftung der Schulden, erhob Schulz zwar zeitweilig. Sie war für ihn aber letztlich ebenso nachrangig wie die nach einem großen Wachstumsprogramm für Europa. Schulz hat für beides, anders als für den ­Euroerhalt, nicht nachhaltig gekämpft.

Drei Phasen der Europapolitik

In der sozialdemokratischen Europapolitik lassen sich drei Phasen grob unterscheiden: In der ersten lässt die SPD ihre europäischen Schwesterparteien in Frankreich, Italien und Griechenland vor die Wand laufen. Als die SPD 2013 eine erneute Große Koalition aushandelt, gehörte eine andere Europapolitik nicht zu ihren Bedingungen. Politisch isoliert, schwenkt François Hollande auf ein wirtschaftsfreundliches Programm um, das seine erneute Kandidatur aussichtslos erscheinen lässt. Die griechische Pasok ist heute abgemeldet. Matteo Renzi trat in Italien 2016 zurück.

Wenn die politische Mitte den politischen Raum frei macht, obwohl die Zustände unerträglich erscheinen, finden sich andere Kräfte. In der zweiten Phase gewinnen Parteien links der Sozialdemokratie. In Griechenland kommt Syriza 2015 an die Macht. Ihr Versuch, die Austeritätspolitik zu beenden, endet in einer langen Verhandlungsnacht in Brüssel. Gegenüber Christdemokraten wie Juncker war Schulz stets freundlich, die Tsipras-Regierung aber bekommt früh seinen gesammelten Zorn zu spüren: „Ich habe die Faxen dicke“, verkündet er. Ein linker Ausweg aus der Eurokrise scheint nach Syrizas Kotau unwahrscheinlich.

2016 beginnt die dritte Phase – die Rechtspopulisten gewinnen Oberwasser: In Großbritannien gewinnen die Brexit-Befürworter. In Nordengland stimmen wegen der Arbeitsmigration aus Osteuropa Teile der Arbeiterschaft mit Ja. Schulz bezeichnet danach die Arbeiternehmerfreizügigkeit als nicht verhandelbar, wenn die Briten einen besonderen Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten möchten. Da dies den Sinn des Brexit-Referendums auf den Kopf stellen würde, kündigt Theresa May von sich aus einen harten Brexit an. Sie verspricht Firmen niedrigere Steuern als in der EU und geht ein Bündnis mit Donald Trump ein.

Nationaler Schulterschluss mit Merkel

Das ist die Bilanz der Eurokrisenpolitik der SPD: kein Bündnis europäischer Sozialdemokraten, stattdessen nationaler Schulterschluss mit Merkel. Als Konsequenz das Ende sozialdemokratischer Regierungschefs in Frankreich und Italien. Die Desavouierung von Parteien links davon. Schließlich: die Briten mit in einen harten Brexit getrieben, damit einen Steuerwettlauf in Europa und ein Bündnis mit Trump gegen die EU befördert.

taz.am wochenende

Ein Coach fürs Liebesleben, einer für den Erfolg, einer für schwere Entscheidungen – unsere Gesellschaft ist gecoachter denn je. Arno Frank prüft das Selbstoptimierungswesen in der taz.am wochenende vom 11./12. Februar. Außerdem: Permakultur hat es in die Supermärkte geschafft. Neue Hoffnung für die Bio-Landwirtschaft? Und: Am Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Mit dabei: Erika Maier, die lange in der SED war und die DDR mit aufgebaut hat. Sie ist die Mutter von taz-Autorin Anja Maier. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über Marxismus, Mut und das Jetzt und Hier. Das alles am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Aber Vormachtstellungen halten nicht ewig, auch nicht die deutsche Sonderkonjunktur. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss kommt jetzt in Bedrängnis. Erstens durch eine Abschottungspolitik wie in den USA und Großbritannien. Zweitens durch Reformen ähnlich der Agenda 2010 in anderen Staaten – etwa, falls in Frankreich Emmanuel Macron die Wahlen gewinnt. Und drittens durch den Ausstieg von Staaten aus dem Euro, falls Marine Le Pen siegt.

Wie würde die SPD unter Martin Schulz darauf reagieren? Nimmt man die Vergangenheit zum Maßstab: im Falle eines Euroaustritts Frankreichs oder Italiens mit einem harten Hinauswurf. Und innenpolitisch? Schulz sagt heute über die Agenda 2010, sie sei „die richtige Antwort auf eine Phase der Stagnation“ gewesen. Heißt das: Geht der deutsche Exportboom zu Ende, sind Sozialkürzungen wieder erstes Mittel der Wahl?

Das SPD-Konzept heißt: Wenn es den eigenen Wählern gut gehen soll, muss es den europäischen Nachbarn schlecht gehen. Wäre die SPD proeuropäisch, hätte sie sich frühzeitig mit ihren Schwesterparteien in der EU über ein gemeinsames Vorgehen verständigt: über Mindestlöhne, Investitionen, Sozialversicherungen, Steuern, Sanktionen auf Defizite und Exportüberschüsse. Sie würde ihren Wählern vermitteln, dass es VW ein bisschen schlechter gehen muss, damit es Fiat und Peugeot besser geht.

Stattdessen hat Deutschland mit der Agenda 2010 seine Wirtschaftskrise ins Ausland exportiert. Donald Trump, Theresa May, Emmanuel ­Macron und Marine Le Pen arbeiten jetzt daran, sie wieder nach Deutschland zurückzutragen.

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26 Kommentare

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  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    Es muss die SPD wirklich schlecht gehen, wenn diese man als die Rettung gesehen wird. Die ganze Hype um die Umfagen wo er so gut da steht sind so was von unseriös. Der hat noch gar nichts geleistet - werde in der Europa Parlament noch in Deutschland.

    Meine Gute, was für eine Lachnummer.

  • An einem Punkt bin ich mit Reeh nicht einverstanden: Man kann ja wohl kaum für die Freiheit von Waren, aber geschlossene Grenzen für Arbeiter plädieren. Die prekäre Lage im englischen Norden u. in Wales hat innenpolitische Gründe. Der vollkommen erstarrte britische Zweiparteienstaat war abgesehen von der Gründung des Nationalen Gesundheitswesens nach dem Krieg nie in der Lage, auf gesellschaftliche Krisen adäquat zu reagieren. Thatcher selber hat die Deindustrialisierung initiiert, der zu dem aufgeblasenem Banken-und Immobiliensektor geführt hat.

    Dass die große Mehrheit der Abgeordneten trotz besseren Wissens den Brexit abgesegnet hat, sagt alles.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Ataraxia:

      In der tat. Gut zusammengefasst.

  • Martin Reeh weist auf viele wichtige Punkte hin. Gerade in der Eurokrise auf die "Alternativlosigkeit" von Schäubele hereinzufallen, anstatt eine intelligente Version von Eurobonds einzuführen, die uns sämtliche Krisengipfel und die damit verbundene Erosion des Vertrauens in die Eurozone erspart hätte, war eine Dummheit sondergleichen.

  • Herr Reeh, Ihre Analyse greift zu kurz.

     

    Die Welt besteht nicht nur aus Europa, wir konkurrieren weltweit.

     

    Wenn wir wollen, dass ärmere Länder auf der Welt Wohlstand erlangen - auf deren Kosten wir aktuell leben - dann werden wir und die anderen Europäer noch mehr abgeben müssen, es wird nicht anders gehen. Das will keiner hören, ich weiß.

     

    Was man kritisieren kann ist die Verteilungsgerechtigkeit innerhalb Deutschlands oder generell auf der Welt, die Schere zwischen Arm und reich, die immer weiter aufgeht.

     

    Wenn beispielsweise Griechenland auf die Beine kommen soll, müssen die endlich Ihre Reichen korrekt besteuern, und die Einkommen/Renten der Wirtschaftsleistung anpassen. Geht wohl auch einfacher ohne Euro, also besser austreten. Mit Herrn Schulz hat das wenig zu tun, wenn wir Almosen geben ändert sich dort nichts.

     

    Schulz dabei speziell herauszugreifen ist unfair - wenn überhaupt haben Schäuble und Merkel da was verbockt.

     

    Im Übrigen helfen Schuldzuweisungen an Deutsche Politiker nicht weiter. Ändern muss sich immer nur der, der Schuld hat. Dabei müsste sich endlich in Griechenland, selbst was ändern.

    • @Grisch:

      Ich versteh nur nicht ganz, dass Sie die aktuelle Politik verteidigen mit dem Argument, dass es global mehr Verteilungsgerechtigkeit braucht, und "wir", also die wohlhabenden Industriestaaten, auf Dauer werden abgeben müssen. Sehe ich eigentlich nicht anders. Nur - ist das ja schließlich nicht das, was die herrschende Politik gerade macht (und auch die SPD mit Schulz nicht vertritt). Da wird Vermögen immer schön nach oben verteilt, die Armen zusehends entrechtet - hier wie in der Dritten Welt. Also Ihr Argument ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen.

  • Es kommt noch schlimmer. Laut Spiegel wird die Sunday Times heute veröffentlichen, dass M. Schulz seine Mitarbeiter großzügig mit Posten und Geld versorgt hat. "Wenn es um die eigenen Parteimitglieder ging, kannte seine Großzügigkeit keine Grenzen". O-Ton der Präsidentin des europäischen Haushaltsausschusses.

  • Soll das heißen, dass die SPD keine (demokratische) Alternative zu Merkel und Schäuble sein wird ?

    Bleibt das "Germany first" jetzt weiterhin Deutschlands Export-Credo ,selbst wenn ein "überzeugter Europäer" an der Regierung sein sollte ?

     

    Wird der Anwalt der "hart arbeitenden Menschen" nicht wenigstes dafür sorgen, dass das unbestrittene deutsche Lohndumping zugunsten völlig arbeitsloser Menschen im Süden Europas abgebaut wird ?

    Dazu müssten die Arbeitgeber allerdings bereit sein, höhere Löhne in Deutschland zu bezahlen..

     

    Den Nationalisten in Europa stünde damit das bei uns kaum thematisierte Argument einer deutschen Eurokratie nicht mehr Verfügung.

     

    Wenn ein Schulz dies nur erkennt, sondern den notwendigen Klartext spricht und umsetzt, ist der Euro und die EU viel leicht gerade noch zu retten.

    • @unSinn:

      Ich denke, Schulz will den Euro und die EU gar nicht retten, sondern max. Deutschland. Juncker dankt ja jetzt ob der Probleme in der EU auch ab - die haben es die letzten Jahre zusammen verbockt und hauen jetzt ab. Für Schulz kam die "Ausrede" Bundeskanzler zu werden ganz recht.

       

      Was will ich von dem bitte erwarten?

  • Eine Partei, die einen Neoliberalen, welcher bereits durch

    eine Art “Hintertürenpolitik” i.d. EU nicht nur positiv in Erscheinung

    getreten ist, ist und bleibt unwählbar.

    Solche Typen brauchen wir absolut nicht, denn die wahren und echten Sozialdemokraten befinden sich i.d. LINKEN.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich erinnere mich noch gut an das "Sommermärchen", gekauft mit deutschen Bestechungsgeldern.

    Was gab es da nicht alles für nationalistische Kampagnen.

    "Du bist Deutschland!" und "Die Deutschen" bei Terra X. Jede "Doku" nur nationale Identitätsbildung.

    Unser Leben und unsere Kultur hat viel mehr zu tun mit römischer Bürokratie, mosaischer Religion und griechischer Antike als mit der Lebensweise der sog. Germanenstämme zu tun.

     

    Selbst in den Holocaust-Dokus des Guido Knopp wird ständig das "Böse" beschwört, aber wirklich kritische Fragestellungen über die Nation, die Bürokratie, den Kapitalismus und den Totalitarismus gibt es nicht.

    Da waren die Filme über Hannah Arendt und die Totalitarismustheorie, die jetzt auf Arte liefen, eine Ausnahme. Aber Arte ist eben auch kein "deutscher" Fernsehsender.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      "Unser Leben und unsere Kultur hat viel mehr zu tun mit römischer Bürokratie, mosaischer Religion und griechischer Antike..."

       

      Die Nazis fanden das antike Rom, v.a. aber das antike Griechenland einfach nur toll. V.a. bei den antiken Griechen fanden sie sich selber - die Suche nach heldenhafter Vergangenheit (Homer) als identitässtiftende Maßnahme.

      Wie die die "mosaische Religion" überhaupt vertragen konnten, ist mir bis heute schleierhaft.

  • Eine beeindruckende Analyse europäischer Geschichte. Die aufgezeigten Zusammenhänge erscheinen plausibel. Einige maßgebliche SPD-Funktionäre sollten sich das gut durch den Kopf gehen lassen – oder den Jüngeren das Feld räumen: Die Bundes-CDU ist ein falscher Freund. Sie hat es nie gelernt und wird es stets boykottieren, vernünftige Wirtschafts- und Sozialpolitik nennenswerten Umfangs zu machen.

     

    „[E]ine (Anm.: kluge!) Koordinierung der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik“, wie von Anfang an von Vielen angemahnt, wird also nur mit linken Mehrheiten in Deutschland zu machen sein. Auch die SPD ist heute in weiten Teilen klug genug, ein solches Ansinnen zu teilen. Anders gesagt: Schulz wird kein Schröder II sein, die Zeiten waren andere.

     

    Steuerflucht ist in diesem Zusammenhang natürlich ein Thema: Denn wenn Konzerne nicht mehr auf Steueroasen ausweichen könnten, könnten alle EU-Staaten ihre Steuersätze wieder auf angemessene Höhen hochfahren. Alle generieren mehr Einnahmen und erhalten Handlungsspielraum, z.B. für ein „großes Wachstumsprogramm für Europa“.

     

    Auch deutliche Erhöhungen deutscher Tariflöhne – wie von Schulz gefordert – würden zu einer Angleichung der Standort-Voraussetzungen in ganz Europa beitragen.

     

    Mit „Phase der Stagnation“ meint Schulz nicht Rezession, sondern den Reform-Stau der Ära Kohl, welcher die Sozialversicherungen an den Rand des Ruins gefahren hat (neben einer Verdrei- oder sogar Vervierfachung (exakte Angaben schwer aufzutreiben) der Staatsverschuldung – auch unter Mitwirkung von Wolfgang „schwarze Null“ Schäuble).

  • In einem DLF-Beitrag vor ein paar Tagen wurde die Frage gestellt, ob D. nicht inzwischen „überschulzt“ sei.

    In der Tat kommt mir der gegenwärtige Rummel um M. Schulz vor, wie die Finanzblase vor ein paar Jahren, die sich zu irrealer Größe aufblähte, bevor sie in sich zusammenfiel. Der Rest war Krise.

    Die SPD sollte sich für den Fall der Fälle Gedanken um einen Plan „B“ OHNE Schulz machen.

     

    Als EU-Politiker hat M. Schulz sicher seine Verdienste. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er mit der speziellen Situation in der BRD genauso gut zurechtkäme. So dass die Schulz’schen Sympathiewerte faktisch nur auf Vorschusslorbeeren beruhen.

    Ach so, wir leben ja im post-faktischen Zeitalter…

  • Um die Krisen in Europa zu lösen ist Schulz völlig ungeeignet. Nur Merkel und Schäuble können diese lösen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @IL WU:

      Dafür hatten die aber schon alle Zeit der Welt.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Kommen ja auch immer neue hinzu.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Der durchaus kritische Artikel kann dem Martin Schulz im bevorstehenden Wahlkampf zumindest nicht schaden.

    Woher soll die SPD auch die fehlenden Stimmen hinzugewinnen? Na dann.

     

    Martin Schulz ist weder überzeugter Europäer noch überzeugter Deutscher. Martin Schulz ist von dem überzeugt, wo er sich gerade befindet.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      "Martin Schulz ist von dem überzeugt, wo er sich gerade befindet."

      Vermutlich in Würselen, liegt immer in D und in der EU...

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Weiß der Geier...

     

    Sollte sich das Prädikat "großer Europäer" am Karlspreis bemessen werden können, hatte Schulz ihn wohl eher "verdient" als sein Träger Schäuble, den Totengräber der europäischen Idee, Jahre zuvor.

  • Eine treffende Analyse, der Hype um Schulz als 'Heilsbringer der Sozialdemokratie' versucht die reale Politik der SPD zu verdecken. Anstatt aber dagegen öffentlich Position zu beziehen, kämpfen Grüne wie Kretsch für den Exportstandort Baden-Württemberg und Linke wie Lafontaine und Wagenknecht versuchen mit populistischen Parolen im faschistoiden Wählerpotential Stimmen abzufischen. Der ökonmische Rüstungswettlauf wird jetzt sichtbar - peinlich genug für unsere Demokratie und unsere Medien, dass es dazu eines Donald Trump bedurfte. Hieß es doch noch vor Monaten n den deutschen 'Leitmedien': 'Es gibt keine Alternative' zur wirtschaftlichen Hegemonie Deutschlands in Europa. Jetzt erkennt man plötzlich die Nachteile der rein exportorientierten Wirtschaftspolitil. Ich halte jede Wette, der VW-Skandal wird in Deutschland bald zum propagandistischen Vehikel des nationalistischen Mobs: "Die gönnen uns unseren Erfolg nicht" wird es bald tönen, früher hieß das: "Wir sind umringt von Feinden"....

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Der Autor hat offensichtlich zwei grundlegende Dinge nicht verstanden. Erstens: Es macht nie Sinn, wenn sich eine Gruppe insofern am schwächsten Glied orientiert, indem alle danach trachten, ebenso schwach zu werden.

    Wenn also eine Währung abwertet, wird die Wirtschaft des Landes von außen (z.B. von den Finanzmärkten) als schlecht, d.h. ineffizient organisiert betrachtet.

    Wenn nun die Lira abwertet, wird der Stahl teurer, Bauten (wg. Stahlbeton) werden teurer, LKW's werden teurer etc...letztlich werden selbst Nahrungsmittel teurer.

    Die Abwertung der eigenen Währung bedeutet für die betroffene Volkswirtschaft eben auch Inflation, d.h. eine Kostensteigerung für die inländischen Konsumenten (in Beispielfall für die Italiener). Das hat der Autor völlig übersehen. Eine Abwertung mag für einzelne insbesondere Unternehmen etwas Gutes bedeuten, aber nicht für die Volkswirtschaft im Ganzen.

    Wenn nun ein Produzent seine Aufträge nur deshalb erhält, weil seine nationalen Währung abwertet, dann produziert er oder sie im internationalen Vergleich offensichtlich ineffizent (sonst wäre er auch ohne Abwertung "im Rennen"). Btw.: Angesichts des hohen Energiebedarfs in der Stahlproduktion ist die Produktion unter ineffizienten Bedingungen auch umweltschädlich.

    Zweitens: Ein*e Abgeordnete*r im deutschen Bundestag bzw. im europäischen Parlament hat selbstverständlich zunächst die Interessen derjenigen zu vertreten, die ihn dahin geschickt haben. Außerdem bringt erst der Wettstreit von Ideen Europa weiter. Denn, Achtung, kleiner Hinweis: Europa ist keine einsame Insel und besonders die asiatischen Wettbewerber sind hellwach.

    Was also die Deutung der Intentionen von Sozis angeht: Lieber Herr Reeh, die Anwendung des "principle of parsimony" bedeutet nicht, die dümmste, sondern die wahrscheinlichste Erklärung als die richtige anzunehmen.

  • Diese ewige Schallplatte, dass Deutschland Schuld sein soll an den wirtschaftlichen Problemen anderer Länder, kann man nicht mehr hören. Niemand hat die Südländer gezwungen, dermaßen über ihre Verhältnisse zu leben, wie sie es getan haben. Und niemand hat sie davon abgehalten, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine der Agenda 2010 - vergleichbare Politik zu erhöhen. Wenn Schulz weiterhin für eine Vergemeinschaftung der Schulden eintreten sollte, macht ihn das unwählbar.

  • Vorab: Ich stimme mit dem Grundkonsens des Textes überein, aber er vermischt ein paar Dinge, was irgendwie irritiert.

     

    Wahrungsschwankungen sind doch nicht dasselbe wie Abwertungen. Problematisch beim ersten ist das ständige auf und ab und beim zweiten die langfristige Schwäche.

     

    "Sie würde ihren Wählern vermitteln, dass es VW ein bisschen schlechter gehen muss, damit es Fiat und Peugeot besser geht."

     

    Nur dass so Volkswirtschaften nicht funktionieren. Das war schon immer eine Lüge der Linken, dass Reichtum des einen immer die Armut des anderen bedeutet. Man kann das noch so oft wiederholen wir man will, es wird nicht wahrer.

  • Wenn Politmillionäre in fetten Limousinen und höchsten Gehältern (ohne jede persönliche Verantwortung) auf jedem Bürgerabend ihre auch so einfache Herkunft in den Mittelpunkt stellen ist das nicht nur anbiedernd sondern eine glatte Lüge gegenüber der eigenen Lebensführung.

    Wenn solche Typen gehypt und gewählt werden ist auch klar warum Trump gewählt wurde. Das Wahlvolk liebt Helden und Spiele. Das ist aber zu wenig um gut zu leben.

    • @Tom Farmer:

      Jeder, der dem Treiben des Karrieristen Schulz schon länger als 2-3 Jahre zugesehen hat, wird wissen, dass es sich um meinen Pragmatiker erster Güte handelt, nicht um einen Sozialdemokraten, der seinen Namen verdient hat. Dass die Medien ihn hypen ohne ihn wirklich zu beleuchten wirft ein schlechtes Licht auf jene.