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Nach Verfassungsreferendum in ItalienMatteo Renzi tritt zurück

Nur etwa 40 Prozent stimmten für die Reformpläne des Ministerpräsidenten. Für Italien und die EU bedeutet das Instablität. Fünf Sterne wollen Neuwahlen.

Karriereende mit 41? Vorläufig endet Matteo Renzis Weg. Seine Frau geht mit ihm Foto: dpa

Rom rtr | Nach der deutlichen Niederlage im Verfassungsreferendum hat Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi seinen Rücktritt angekündigt. Er übernehme die volle Verantwortung für den Misserfolg, sagte Renzi in der Nacht in einer TV-Ansprache. Noch am Montag werde er Präsident Sergio Mattarella sein Abschiedsgesuch überreichen.

Bei der Abstimmung am Sonntag erlitt Renzi eine herbe Schlappe. Nur etwa rund 40 Prozent der Wähler stimmten den Hochrechnungen zufolge für seine Reformpläne, die das Regieren erleichtern sollten. Der Anführer der euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, forderte rasche Neuwahlen.

Die Sorgen vor einer Regierungskrise in dem hoch verschuldeten Land setzten den Euro unter Druck. Es wird befürchtet, dass die Euro-Krise wiederaufflammen und sich die Probleme der EU nach dem Brexit-Votum verschärfen könnten.

Renzi sprach von einem außergewöhnlich klaren Ergebnis. Jetzt sei das Nein-Lager an der Reihe, Vorschläge vorzulegen. „Die Zeit meiner Regierung endet hier“, sagte der 41-Jährige in einer TV-Ansprache. Er kündigte an, er werde im Laufe des Nachmittags sein Kabinett zusammenrufen und anschließend seinen Rücktritt einreichen.

Die Fünf-Sterne-Bewegung wittert ihre Chance

Präsident Mattarella wird dann zunächst mit den Chefs der führenden Parteien beraten, bevor er einen neuen Ministerpräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt. Der neue Regierungschef wird die Unterstützung von Renzis Demokratischer Partei benötigen und zunächst das Wahlgesetz erneuen müssen.

Die Fünf-Sterne-Bewegung des Euro-Gegners Grillo forderte umgehend Neuwahlen. Seine Partei werde sofort mit der Arbeit an dem Programm und der Zusammenstellung eines Teams für eine künftige Regierung beginnen, erklärte Luigi Di Maio, der als designierter Spitzenkandidat gilt. In Umfragen liegen Renzis Partei und die Grillo-Bewegung Kopf an Kopf.

Die Niederlage Renzis ist auch ein schwerer Schlag für die Europäische Union. Sie setzte auf die Reformpolitik des Ministerpräsidenten in der hoch verschuldeten drittgrößten EU-Volkswirtschaft. Renzi hatte 2014 das Amt des Regierungschefs übernommen. Er versprach, die verkrusteten Strukturen in Italien aufzubrechen und präsentierte sich als Politiker, der gegen das Establishment vorgeht.

Doch die Reformen zeigten wenig Wirkung. Die neue Fünf-Sterne-Bewegung übernahm immer mehr die Rolle als Kämpferin gegen das Establishment. Grillo hatte dazu aufgerufen, das Referendum zur Abrechnung mit der Regierung zu nutzen.

Tiefster Euro-Stand seit eineinhalb Jahren

Renzi wollte mit den geplanten Verfassungsreformen das Regieren vereinfachen. Der Staatshaushalt und die meisten Gesetze sollten ohne Zustimmung des Senats verabschiedet werden können. Den Senatoren sollte auch die Möglichkeit genommen werden, eine Regierung per Misstrauenserklärung abzusetzen. Die Kritiker lehnten das Vorhaben als undemokratisch ab. Außerdem sollte das Wahlrecht geändert werden, um das Regieren zu erleichtern. Kommt eine Partei auf mehr als 40 Prozent der Stimmen, erhält sie einen Bonus, der ihr 55 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus sichert.

Durch Renzis Niederlage geriet der Euro weiter unter Druck. Er fiel zeitweise um etwa 1,5 Prozent auf 1,0505 Dollar und damit den tiefsten Stand seit mehr als eineinhalb Jahren. Im Verlauf pendelte er sich mit einem Abschlag von rund einem Prozent bei etwa 1,0550 Dollar ein. Die Verunsicherung belastete auch die Börsen in Asien. Der Tokioter Nikkei-Index verlor bis zum frühen Nachmittag 0,9 Prozent.

Die Nervositäten an den Finanzmärkten konzentrierten sich im Vorfeld der Abstimmung auf den Bankensektor. Die italienischen Geldhäuser sitzen auf faulen Krediten im Volumen von insgesamt 360 Milliarden Euro. Besonders betroffen ist die landesweit drittgrößte Bank Monte Dei Paschi di Siena. Sie muss bis zum Jahresende fünf Milliarden Euro zur Deckung einer Kapitallücke aufbringen. Nun wird befürchtet, dass sich potenzielle Geldgeber angesichts der drohenden politischen Instabilität zurückhalten könnten.

Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan versuchte bereits am Freitag, die Nervosität an den Märkten zu beruhigen. Er sehe „das Risiko eines finanziellen Erdbebens“ im Falle eines Neins nicht. Allerdings sei es denkbar, dass es 48 Stunden lang zu Turbulenzen kommen, sagte Padoan. Früheren Informationen von Notenbank-Insidern zufolge steht die Europäische Zentralbank (EZB) für den Fall heftiger Marktreaktionen Gewehr bei Fuß, um einen steilen Anstieg der italienischen Anleihen-Renditen einzudämmen – ähnlich wie beim Brexit-Votum für einen britischen EU-Austritt im Juni.

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4 Kommentare

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  • Bisschen geflunkert, der Artikel.

     

    Dass die Monte Dei Paschi pleite ist – und die Unicredit auch – pfeifen die Spatzen von den Dächern. Allerdings braucht man keine Verfassungsänderung, um “Stabilität für die Märkte” zu erzeugen. Worum geht es also?

     

    Renzi wollte die gegen die Faschisten eingeführten “Checks & Balances” in der italienischen Verfassung aufheben, um “durchregieren” zu können. Das Ziel: Enteignung vieler Italiener zum Wohle der Bankbesitzer, denen ihre Zockerbuden so nicht um die Ohren fliegen würden.

     

    Das läuft nun nicht. Also wirds wohl ein herkömmliches “Bankenretten” werden, man kauft die Zocker mit Staatsknete raus, und lässt wieder einmal den Steuerzahler dafür bluten.

     

    Das kommt aber in der Öffentlichkeit stark an. Und da die Demokratie in Italien nun nach wie vor besteht, wird das um so schwieriger werden.

     

    Dass das M5S dieses Spiel ganz beenden will, ist dann noch das Sahnehäubchen. Wie können diese “Populisten” es wagen, für die Interessen des Populi einzutreten? ;-)

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Juncker, Schulz, Schäuble, Gabriel machen alles, um die EU-Verdrossenheit weiter zu befördern. Anstatt ihre Politik zugunsten der Bevölkerung zu ändern, bleiben sie allesamt allein bei der Ausrichtung auf Unternehmensgewinne. Steuerschlupflöcher werden gestopft - für kleine Leute, für Großkonzerne ändert sich gar nichts. Oder kann jemand plausibel erklären, wieso diese Konzerne weiterhin ihre Gewinne transferieren, während jeder Giro-Konto Inhaber grenzüberschreitend gemeldet wird und dann - zur Kasse gebeten??

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Ist doch klar: wie soll man sonst die Masse für die Spielschulden der Oberschicht melken?

       

      Am besten, man schafft das Bargeld ganz ab (wie in Indien), dann kann sich keiner mehr dem Frondienst für die Oberzocker entziehen.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      "....während jeder Giro-Konto Inhaber grenzüberschreitend gemeldet wird und dann - zur Kasse gebeten??" Verstehe ich nicht. Sie können Konten in jedem Land der Welt eröffnen und sie brauchen Konten auch nicht zu verknüpfen. Wo ist dann das Problem?

      Was Politik zugunsten der Bevölkerung angeht. Die Euro-Südländer haben sich von den Euro-Nordländer 800 Milliarden Euro geliehen ohne jede vernünftige Sicherheit, siehe Target 2 -Saldo. Und bei solchen Unsummen von Hilfsmaßnahmen (plus Euro-Schutzschirm, plus Ankauf von Staatsanleihen der EZB) schreiben Sie, Juncker, Schulz, Schäuble, Gabriel machen nichts für die Bevölkerung dort und die notleidenden Staaten?