Es gibt zu wenige öffentliche Toiletten: Ziemlich angepisst
Flinta* müssen fürs Pinkeln bezahlen. Das ist ungerecht, findet das Buschfunk Bündnis. Das Thema findet in der Politik aber wenig Gehör.
Es ist also tatsächlich kein Gerücht, dass die meisten Frauen öfter auf die Toilette müssen als die Mehrzahl der Männer. Deshalb könnte man davon ausgehen, dass es mehr öffentliche Toiletten für Frauen als für Männer in Berlin gibt – doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Toilettenbündnis setzt sich deshalb seit 2020 dafür ein, dass sich das ändert – doch von der Politik fühlt man sich zunehmend nicht ernst genommen.
„Wie kann es sein, dass es immer noch öffentliche Toiletten gibt, in den meisten Fällen sogar kostenpflichtige, auf die man sich als Flinta* (umfasst alle nicht Cis-männlichen Identitätsgruppen; Anm. d. Red.) nicht hinsetzen kann, weil sie total verdreckt sind?“, fragt etwa Sophie Menzel vom Buschfunk Bündnis. Der Berliner Verein setzt sich seit seiner Gründung im Mai 2020 für die gerechte Verteilung und Konzipierung von Toiletten in der Stadt ein.
Aus einer Grafik des im Jahr 2017 entstandenen Berliner Toilettenkonzepts ist zu entnehmen, dass gerade einmal 29 Prozent von den 295 öffentlichen Toiletten in Berlin für Frauen vorgesehen sind. Der Anteil der Toiletten für Männer liegt hingegen bei 46 Prozent. Die restlichen 25 Prozent sind Unisextoiletten.
Ziel verfehlt
Von dem Überhang der Männertoiletten einmal abgesehen, sind das für eine Stadt mit rund 3,7 Millionen Einwohnern plus Tourist*innen, schlichtweg zu wenig. Zudem stehen viele der öffentlichen Toiletten auch eher an touristischen Hotspots – was sicher sinnvoll ist, was aber ihr Fehlen an anderen Orten nicht aufwiegt.
„Das Ziel ist es, ein attraktives Angebot an öffentlich nutzbaren Toilettenanlagen für alle Anwohner*innen und Besucher*innen Berlins bereitzustellen“, heißt es im Toilettenkonzept, „welches „den Bedürfnissen diverser Nutzergruppen gerecht wird.“
Ein Ziel, das die Stadt Berlin bisher verfehlt hat. Auch wenn sich seit 2017 etwas an der Anzahl der öffentlichen Toiletten getan hat, sind viele Toiletten schlicht nicht nutzbar. Denn neben der fehlenden Sauberkeit kostet Pinkeln in Berlin immer noch Geld, und zwar vor allem für Flinta*.
Den Großteil der öffentlichen Toiletten in Berlin betreibt die Wall GmbH. Bei diesen „City Toiletten“ befindet sich hinter der mit 50 Cent kostenpflichtigen Sitztoilette oft noch frei zugängliches und damit kostenfreies Pissoir für die Männer. Die 50 Cent sind Teil des Geschäftsmodells, erläutert ein Sprecher der Wall AG: „Das Nutzungsentgeld von 50 Cent und die Ausstattung von Toilettenanlagen mit Pissoirs ist vertraglich durch das Land Berlin festgelegt.“ Die Einnahmen fließen dem Land Berlin als Eigentümerin zu.
„Phänomen des Wildpinkelns“
Auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg zum Thema „Umsonst pinkeln für alle!“ nimmt die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Februar 2021 dazu Stellung: Kostenlose Pissoirs wurden „als effektive Maßnahme identifiziert, um gegen das Problem des sogenannten Wildpinkelns vorzugehen“. Und mit der Erhebung einer Gebühr würden „Fehlnutzung und Missbrauch entgegengewirkt“.
Dass die Nutzung der Pissoirs hingegen entgeltfrei ist, begründet die Senatsverwaltung damit, dass das „Phänomen des Wildpinkelns“ nur von Männern ausginge. Eine Begründung, die hinkt, denn was die Stadt Berlin anscheinend nicht weiß: Auch Frauen pinkeln wild und werden auch nicht grundsätzlich reich geboren: Wird man in Deutschland beim Wildpinkeln erwischt, begeht man eine Straftat, die mit einem Bußgeld von 35 bis 5.000 Euro geahndet oder in „besonders schweren Fällen“ sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann.
Dabei gibt es bereits geschlechtergerechte Toilettenmodelle, und diese wurden auch schon in Berlin getestet. Wie das von Lena Olvedi entwickelte Missoir, ein wasserloses Hockurinal für Flinta*. Bereits auf mehreren Festivals erprobt, stand das Missoir von Juli 2021 bis zum Januar dieses Jahres in der Hasenheide. Doch nach Auslaufen des Mietvertrags musste es abgebaut werden, „da im aktuellen Haushaltsjahr keine Mittel zur Verfügung stehen“, so das Bezirksamt Neukölln auf Nachfrage der taz.
Dabei kam das Hockurinal bei den Nutzer*innen gut an, „es gab einen QR-Code, wo man eine Bewertung da lassen konnte, und die waren alle durchweg positiv“, sagt Olvedi der taz.
Eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen und den bereits dagegen vorgehenden Akteur*innen findet nicht statt, beklagt denn auch das Buschfunk Bündnis. Die Frage, ob sie sich von der Politik ernst genommen fühlen, beantworten sowohl das Bündnis als auch Lena Olvedi mit einem klaren Nein. Sie kritisieren, dass es keinen festen Ansprechpartner beim Senat gebe, was eine Zusammenarbeit erschwert.
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