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Ertrunkene Flüchtlinge im ÄrmelkanalIm Bann von Nigel Farage

Die jüngst ertrunkenen Migranten im Ärmelkanal zeigen, wie nötig ein Kurswechsel in der britische Asylpolitik ist. Doch Regierung wie Opposition fehlt der Mut dazu.

Dungeness, 24. November: Diese Familie hat die Flucht über den Ärmelkanal überlebt Foto: Henry Nicholls/reuters

D ie Tragödie vor der Küste von Calais muss einen Kurswechsels in der britischen Flüchtlingspolitik einleiten. Doch sowohl die konservative Regierungspartei als auch die Opposition sind dazu nicht in der Lage.

Die Forderungen britischer und internationaler Hilfsorganisationen, legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen, werden ignoriert. Trotz millionenschwerer Maßnahmen, die Überquerungen und die damit verbundenen Gefahren verhindern sollen, kommen Menschen auf eigene Faust nach Großbritannien, um dort Asyl zu beantragen. Früher kamen sie in LKWs und Frachtcontainern versteckt, doch der Brexit und verschärfte Kontrollen machten Bootsüberquerungen attraktiver.

Insgesamt ist die Zahl der Flüchtlinge, die ins Vereinigte Königreich gelangten, gesunken. Doch die Sichtbarkeit der Boote entfachte alte englische Ängste vor einer Invasion, selbst durch harmlose Flüchtlinge. 2013 gewann Nigel Farage von der UKIP-Partei mit xenophoben Argumenten Regionalsitze. 2016 hieß es dann auch zum Brexit Take Back Control.

Der Bann der damaligen Argumente besteht noch heute. Innenministerin Priti Patel, selbst Tochter von Flüchtlingen, denkt an Überführungen in Drittländer und ein neues Einwanderungsgesetz mit Zweiklassensystem, bei dem Flüchtlinge, die nicht direkt aus Krisengebieten aufgenommen werden, benachteiligt werden sollen. Dies soll das Geschäftsmodell der Schleu­se­r:inn­nen zerstören und Asyl nicht nur für junge Männer möglich machen. Unter den Opfern am Mittwoch befanden sich aber auch sieben Frauen, zwei Jungen und ein Mädchen.

Auch Labours Schatteninnenminister schafft es nur, von besseren Maßnahmen gegen kriminelle Gangs zu sprechen, oder Patel anzufauchen. Hatte sich nicht Parteiführer Keir Starmer einst einer verantwortlicheren Politik gebrüstet? Vergessen ist auch, dass selbst Boris Johnson einst Amnestie für nicht dokumentierte Ein­wan­de­r:in­nen wollte. De­mons­tran­t:in­nen in London fordern jetzt einen Kurswechsel der Asylpolitik. Wo bleibt die Courage, den Bann Farages endlich zu brechen?ff

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Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
Auslandskorrespondent Großbritannien
Seit 2012 für die taz im ständigen Einsatz. In München geboren und aufgewachsen, machte er sein Abitur in Israel. Seit 1991 lebt er im Herzen Londons, wo er zunächst drei Hochschulabschlüsse absolvierte, unter anderem an der SOAS, wo er Politik und Geschichte studierte. Nach einer Rundfunkausbildung war er zunächst für DW im Einsatz. Neben dem Journalistischen war er unter anderem als qualifizierter Pilateslehrer, Universitätsassistent und für das britische Büro des jüdisch-palästinensischen Friedensdorfes Wahat al-Salam ~ Neve Shalom tätig. Für die taz bereist er nicht nur die abgelegensten Ecken Großbritanniens, sondern auch die Karibik und die Kanalinseln. Sein Buch über die Schoa "Soll sein Schulem. Verluste, Hass, Mord, Fragen der Identität aus autobiografischer Sicht," soll Ende 2024 oder Anfang 2025 erscheinen.
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3 Kommentare

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  • Dominic Johnson schrieb für taz in Juli

    "Boris Johnsons politische Agenda ist progressiv. Es würde Großbritannien gut tun, wenn er sie umsetzt. Und solange er damit Wahlen gewinnt, wird er ihr treu bleiben müssen."

    Wahnsinn...

  • Man kann sich wirklich fragen, warum überall in der Welt in Bezug auf Migration nur "Menschenfeinde" in den Regierungen sind. Es gibt zeitweise andere Beispiele, die dann aber auch schnell wieder umkippen. Wie kann das sein? Liegt es in GB nur an Farage? Wie kann der so eine Macht haben, dass er selbst Migranten wie Patel beeinflusst?

    Mir scheint es eher so zu sein, dass legale Migration an der Problematik nichts ändern würde. Solange es auf der Welt Länder ohne wirtschaftliche Perspektiven für die Menschen gibt, und davon gibt es reichlich, scheint mir eher zu erwarten, dass eine legale Migration noch mehr illegale Migration anheizt.

    Zur wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit haben wir in Europa, zumindest in den offiziellen medialen Äußerungen, nur anzubieten, dass wir Europäer Schuld sind. Wir fühlen uns damit irgendwie besser, mehr haben wir nicht zu bieten und an den Menschen dort haben wir sowieso kein Interesse - sonst würden wir uns vielleicht mehr mit ihnen auseinandersetzen und sie auch kritisieren. Zumindest ihnen nicht vorgaukeln, dass alles nur an uns läge und man die Energie darauf konzentrieren muss, dass Europa sich ändert.