Erstes Album von Ozan Ata Canani: „Ich sollte mehr Türke sein“
Ozan Ata Canani war das erste Gastarbeiterkind, das deutsche Lieder schrieb. Nun erscheint sein Debütalbum „Warte mein Land, warte“.
„Warte mein Land, warte, bis ich wiederkomm. Denn auch in der Fremde bleib ich dein Sohn. Abends wenn ich schlafe, seh ich dich im Traum. Denn die Sehnsucht schlug im Herzen Wurzeln wie ein Baum.“ Das Land, auf das sich in Ozan Ata Cananis Lied der Blick im Schlaf richtet, ist die Türkei. Aber es könnte auch ein anderes sein.
„Warte mein Land, warte“ ist das zweite Stücke auf dem ersten Album Ozan Ata Cananis, und es hat ihm auch seinen Namen geben. Am heutigen Freitag erscheint es beim Berliner Label Fun in the Church – mit gut vierzig Jahren Verspätung. Denn so lange schon komponiert Ata eigene Lieder. Eines davon, sein wichtigstes, „Deutsche Freunde“, hat er vor langer Zeit mit seiner Band bei „Bios Bahnhof“ im deutschen Fernsehen vorgestellt.
Dieser Auftritt hätte ihm in einer besseren Welt einen Plattenvertrag eingebracht. Doch türkische Musik mit einem deutschen Text passte im Jahr 1982 weder zum Sound der Neuen Deutschen Welle, noch hatten besonders viele Gastarbeiter und ihre Kinder ein Ohr dafür.
„Die Leute aus der ersten Generation haben mich ausgelacht“, hat Ata erzählt, als wir ihn vor zwei Jahren in die taz eingeladen hatten. „Die wussten gar nicht, worum es geht. Die zweite Generation hat mich so halb-halb gehört.“ Die Gastarbeiter flüchteten sich in ihre Träume und schwiegen. Ihre „zwischen zwei Welten“ lebenden Kinder, die Ata in seinem Lied besang, mussten vom Rand hereinrufen, wenn sie sich Gehör verschaffen wollten: „Ich bin Ata und frage euch, wo wir jetzt hingehören?“
Dritte Generation
Die deutschen Enkel der Gastarbeiter sprechen heute selbstverständlich aus der Mitte der Gesellschaft. Über sie sagt Ata: „Die dritte Generation hört mich sehr gut. Sie verstehen mich. Sie wollen wissen, wie ihre Omas und Opas in Deutschland gelebt haben, welche Schwierigkeiten sie erlebt haben. Sie sind auf der Suche. Die vierte Generation wird mich noch mehr hören, da bin ich mir sicher.“
Das dürfe nur nicht weitere Jahrzehnte dauern, sagt Ata, denn das würde er nicht mehr schaffen. Er ist ein herzlicher Mensch voller Tatendrang und Humor. Aber diesen Satz meint er ernst, und es ist ihm und uns zu wünschen, dass er jetzt die Anerkennung bekommt, die er verdient.
Ozan Ata Canani: „Warte mein Land, warte“ (Fun in the Church/Bertus/Zebralution)
Das Album beginnt mit dem Sound, der für Atas Musik charakteristisch ist. Es ist der elektrisch verstärkte und durch Effektgeräte verzerrte Klang der Bağlama, der türkischen Langhalslaute. Hier klingt sie noch härter als je zuvor, dabei gibt dieses Lied der humanistischen Philosophie Atas Ausdruck. Er ist dem Leben und den Menschen zugewandt: „Alle Menschen dieser Erde, alle Menschen groß und klein. Alle Menschen dieser Erde, alle wollen glücklich sein.“
Fünf der Lieder seines Albums singt Ata auf Deutsch, fünf auf Türkisch. „Özlemim Var“, „Bırakmaz“ und „Tez Gel“ handeln von der Sehnsucht nach der fernen Geliebten. In „Şerefsiz“ wird ein ominöser „Ehrloser“ besungen, der sich in den Träumen des Erzählers eingenistet hat und sich an dessen Scheitern weidet. „Adaletsiz Mahkeme“, Gericht ohne Gerechtigkeit, ist ein dezidiert politisches Lied, in dem der Sänger die türkische Justiz anklagt. Er hat es Deniz Yücel gewidmet.
In einem fremden Land
In „Stell Dir einmal vor“ kehrt der Erzähler in die Vergangenheit der Gastarbeiter zurück: „Stell Dir einmal vor, du wärst in einem fremden Land zu Gast. Stell Dir einmal vor, du fühltest, dass Du keine Freunde hast.“ Bei „Import/Export“, das sich gegen die Rüstungsindustrie richtet, wird gar ein alter Demoslogan der deutschen Linken vertont: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt.“
Eines der neuen Lieder hat zwar türkische Lyrics, aber sie werden nicht gesungen: „Maraşlım“ heißt es. In der südostanatolischen Stadt Maraş wurde Ata 1963 geboren. Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1961, hatte die Bundesrepublik mit der Türkei ein Anwerbeabkommen geschlossen. Atas Vater gehörte zu den Gastarbeitern, die von der Türkei entsandt wurden. So wurden sie genannt, weil sie nur zwei Jahre bleiben und dann durch neue Arbeitskräfte ersetzt werden sollen.
Das Rotationsprinzip wurde bald aufgrund des Drucks westdeutscher Unternehmen gekippt und die Gastarbeiter blieben länger, als sie geplant hatten. Erst nimmt Atas Vater seine Frau mit. Sie wollen noch eine Weile zusammen in Deutschland arbeiten, bevor sie zurückkehren. Nachdem ihr Sohn aber in der Türkei die Grundschule beendet hat, holen sie auch ihn zu sich. Es ist eine typische deutsche Geschichte, die Geschichte von Einwanderern, die noch nicht wissen, dass sie welche sind.
Ata kommt 1975 nach Deutschland. Als ihn sein Vater fragt, was er sich als Willkommensgeschenk wünscht, muss er nicht lange nachdenken. Eine Bağlama will er haben. „Mein Vater sagte: Aber das kannst du doch nicht spielen. Ich sagte: Egal, ich lerne“, erzählt Ata. „Nach sechs Monaten konnte ich schon auf der Bühne spielen. Ich habe in Bremerhaven, Oldenburg, Delmenhorst, Hamburg Konzerte gegeben.“ Denn der Dreizehnjährige darf mit seinem großem Vorbild, dem alevitischen Aşık Mahzuni Şerif, auf Tour gehen.
Sich in die Verhältnisse einmischen
Doch Atas Vater ist ein frommer, konservativer Mann. Er will, dass sein Sohn Hodscha wird, nicht Sänger. Später sagt ihm der Vater, er solle sich nicht so sehr in die deutschen Verhältnisse einmischen: „Ich sollte mehr Türke sein“, erzählt Ata. „Ja, ich bin Türke. Die Türkei und die türkische Kultur hab ich nicht vergessen. Das liegt mir am Herzen. Aber ich bin der Meinung, man soll sich ein bisschen anpassen an das Land, in dem man lebt.“ Die Geschichte der Einwanderung ist auch eine Geschichte der Konflikte zwischen Eltern und ihren Kindern.
Doch Ata setzt sich durch und hat bald seine eigene Band. Er spielt auf türkischen Hochzeitsfeiern, Verlobungsfeiern, Beschneidungsfesten und nimmt einige türkischsprachige Kassetten auf, die in Musikshops, in Gemüse- und Elektroläden in Deutschland verkauft werden, aber auch ihren Weg in die Türkei finden. Vor allem in seiner Heimatstadt Maraş hat er bald einige Fans.
1978, als Punk langsam in Deutschland Fuß fasst und junge Deutsche nicht mehr auf Englisch, sondern auf Deutsch singen, komponierte Ata „Deutsche Freunde“, das nun den Höhepunkt von Atas Album bildet. Es ist sein erstes Lied in seiner neuen Sprache.
Er hat sie in der Schule und auf der Straße gelernt, unter freundlicher Mithilfe deutscher Rentner, die er anspricht, wenn er etwas wissen will. „Wenn man Türkisch denkt und Deutsch aufschreibt, dann kommt Unsinn raus“, sagt Ata über das Texten. „Wenn man auf Deutsch überlegt und auf Türkisch aufschreibt, dann kommt was völlig anderes raus. Das ist wie Google-Übersetzer.“
Lyrische Sprechweise
Da aber unterschätzt er seine eigenen lyrischen Fähigkeiten, denn sowohl „Deutsche Freunde“ als auch „Warte mein Land, warte“ gelingt es, das Türkische im Deutschen zu bewahren, im Schema der Reime und als lyrische Sprechweise.
15 Jahre alt ist Ata, als er „Deutsche Freunde“ schreibt, eben von Bremerhaven nach Köln umgezogen, wo er zum ersten Mal Sprüche wie „Ausländer raus“ auf Häuserwänden liest. Das kennt er aus Bremerhaven nicht. Auf dem Titel einer Zeitschrift der IG Metall entdeckt Ata den Satz von Max Frisch.
Und so beginnt „Deutsche Freunde“ mit den Zeilen: „Arbeitskräfte wurden gerufen. Unsere deutsche Freunde. Aber Menschen sind gekommen. Unsere deutsche Freunde. Nicht Maschinen, sondern Menschen. Aber Menschen sind gekommen. Unsere deutsche Freunde, Freunde, Freunde. Sie haben am Leben Freude.“
„Gemeint war: ‚Ihr habt am Leben Freude, aber ihr wisst ganz und gar nicht, wie die Leute am Arbeitsplatz arbeiten‘“, erklärt Ata. „Ich war selbst Arbeiter, ich hab auch jede Menge Drecksarbeit gemacht.“ Die Lebensfreude der „deutschen Freunde“, hiermit wollte Ata die Politiker in Bonn ansprechen, findet in Atas Song paradoxerweise ihren Ausdruck in einer Musik, die traditionell auf anatolischen Hochzeitsfeiern gespielt wird. Es ist Musik zum Tanzen und Feiern. Die einen haben es schön, die anderen müssen arbeiten, „als Schweißer, als Hilfsarbeiter, als Drecks- und Müllarbeiter, Stahlbau- und Bandarbeiter“.
Das ist Almanya
Die Sehnsucht eines Gastarbeiters nach dem Land seiner Träume, der Ata nun in „Warte mein Land, warte“ mit klagendem, traurigen Gesang Ausdruck verleiht, bleibt ungestillt: „Warte mein Land, warte. Ich komm ganz gewiss. Du bist fern und ahnst ja nicht, wie ich dich vermiss. Auch wenn man im Sarg ist – ich komm ganz gewiss.“ So schlägt Ata einen Bogen von der Liebe ins Politische, von der Gegenwart in die Vergangenheit, vom Leben zum Tod. So spiegelt sich in der Geschichte von Ata und seiner Musik die Geschichte des Einwanderungslands Almanya wider.
Bevor uns Ata vor zwei Jahren beim taz Lab „Warte mein Land, warte“ vorspielte, erzählte er uns, auch er habe seinen Vater vor einigen Jahren verloren, auch er habe den Vater „im Sarg nach Hause gebracht“. Sein Lied sei allen Gastarbeitern gewidmet, „die ihr Leben hier in Deutschland und in Europa verloren haben“.
Auf die Frage, wo er selbst denn einmal ruhen möchte, antwortet er: „Ich möchte in Deutschland beerdigt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste