Erkrankungsrate in Deutschland: Wie zur schweren Grippewelle
Jede*r Zehnte ist krank, und für die Kleinsten gibt es kaum noch Klinikbetten. Die Lage in den Kliniken ist Symptom jahrzehntelanger Sparpolitik.

Damals gab es die letzte große Grippewelle in Deutschland mit mutmaßlich rund 25.000 Toten. Nur unter den älteren Menschen über 59 Jahren, die sich vor allem mit Corona infizierten, sei die Erkrankungsrate stabil geblieben. Besonders stark zugenommen habe sie unter jungen Erwachsenen und Schulkindern. Bei Letzteren grassieren vor allem Influenzaviren. Weiter am höchsten ist die Infektionsrate bei Kleinkindern unter vier Jahren, bei denen sich vor allem das RS-Virus breitmacht. In Mecklenburg-Vorpommern war in der vergangenen Woche fast jedes fünfte Kleinkind wegen einer Atemwegserkrankung in ärztlicher Behandlung.
Die aktuelle Krankheitswelle bringt sowohl die niedergelassenen Kinderärzt:innen als auch die Kliniken an ihre Grenzen. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hat 110 Kinderkliniken in ganz Deutschland nach ihren Kapazitäten befragt. Zum Stichtag 24. November hatten 43 kein Bett mehr auf der Normalstation frei. Auf den Kinderintensivstationen gab es nur noch 83 freie Betten – nicht einmal ein Bett pro Klinik.
Auch in vergleichsweise gut ausgestatteten Kliniken wie der Berliner Charité erfolgten aktuell Absagen von verschiebbaren Behandlungen, Kinder müssten in andere Kliniken verlegt werden, so ein Sprecher. Man wolle in den kommenden Tagen gemeinsam mit allen Berliner Kliniken ein Netzwerk einrichten, das vergleichbar ist mit dem Save-Netzwerk in der Hochphase der Coronapandemie. Damals steuerte die Charité berlinweit die Belegung der Intensivbetten und versorgte zudem die schwersten Fälle.
Bundestag will Entlastung von Kinderkliniken beschließen
Doch was tun, wenn, wie jetzt schon oft, in der ganzen Stadt und auch im Umland kein einziges Bett mehr frei ist? Die Divi-Umfrage hat ergeben, dass jede zweite Klinik bundesweit Patient*innen ablehnen musste. In Berlin werden Kinder inzwischen bis nach Niedersachsen verlegt. Und auch dieser Transport kommt an seine Grenzen.
„Da zunehmend viele Kinder zum Teil über weite Entfernung transportiert werden müssen, benötigen wir jetzt die Etablierung spezialisierter Kinderintensivtransport-Systeme, um die Kinder sicher und von Kinderexperten begleitet in ihre Zielklinik zu bekommen“, fordert Divi-Generalsekretär Florian Hoffmann. Außerdem müssten die Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken sofort verbessert und telemedizinische Netzwerke aufgebaut werden.
Die aktuelle Situation in den Kinderkliniken ist ein Symptom jahrzehntelanger Sparpolitik. Am Freitag soll im Bundestag im Rahmen des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes auch eine Entlastung der Kinderkliniken beschlossen werden. Deren Leistungen sollen aus dem umstrittenen Fallpauschalensystem herausgelöst und stattdessen mit einem Festbetrag vergütet werden. Der orientierte sich an den Erlösen im Vorpandemiejahr 2019 und soll zusätzlich für die kommenden zwei Jahre um jeweils 300 Millionen Euro aufgestockt werden.
Kurzfristig empfiehlt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Krankenhäusern und Krankenkassen, Personal in die Kinderstationen zu verlagern und Personaluntergrenzen nicht mehr einzuhalten. Die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung werde fortgesetzt, Eltern sollten Vorsorgeuntersuchungen verschieben, um Kinderarztpraxen zu entlasten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links