Erinnerungskultur in Hamburg: Weniger Schmidt wagen
In Hamburg hängt eine weitere Plakette für Helmut Schmidt. Dabei gäbe es genügend Leute, an die dringender erinnert werden sollte. Ein Gegenvorschlag.
J etzt noch eine Gedenkplakette in Hamburg-Eilbek zur Erinnerung an Helmut Schmidt. Bislang gibt es: eine Helmut-Schmidt-Straße, eine Helmut-Schmidt-Brücke, ein Helmut-Schmidt-Gymnasium, einen Helmut-Schmidt-Flughafen und ein Studierendenhaus. Es ist viel Helmut-Schmidt-Erinnerung in Hamburg – und das passt ganz gut, denn Schmidt war ja gegen Visionen und wenn etwas nicht visionär ist, dann ist es die Schmidt-Verehrung. Das bayerische Pendant ist der Franz-Josef-Strauß-Flughafen und das Grundprinzip kommt mit gerade mal zwei Merkmalen aus: erstens Hochrangiger Berufspolitiker und zweitens Mann.
Das ist nicht besonders viel. Die Frage ist übrigens nicht, ob Schmidt ein schlechter oder guter Kanzler war oder er die Hochwasserkatastrophe gut gemeistert hat. Es war allerdings auch sein Job und daher müsste die Latte, ihn dafür auszuzeichnen, eher hoch hängen. Tatsächlich scheint zumindest eine Straße für jeden Kanzler, der es nicht völlig verbockt hat, vorgesehen zu sein, sowie ein paar Ehrendoktorwürden und vielleicht eine Primel, die nach einem benannt wird.
In Hamburg scheint die Auswahl an erinnerungswürdigen Söhnen und Töchtern der Stadt gering, zumindest fiel die Wahl kürzlich auf Karl Lagerfeld und damit auf einen weiteren Mann, dessen Gestus panzerfester Selbstherrlichkeit eigentlich aus der Mode gekommen ist. So viele Straßen hat nicht mal Hamburg, dass man sie nach Leuten benennen müsste, die eines nicht sind: inspirierend für die Zukunft.
Dabei gibt es solche Menschen und dies ist der Aufruf, die Hamburger Psychiatrie-Rebellin Dorothea Buck mit zwei Schulen, vier Tafeln und einer Hauptstraße zu ehren, statt sie mit einer Grünfläche und einer Straße an der Peripherie abzuspeisen. Buck wurde als junges Mädchen in der Psychiatrie von den Nazis zwangssterilisiert. Später wurde sie Bildhauerin und begann, eine Psychiatrie zu hinterfragen, die ihre Patient:innen noch immer entmündigte.
Erinnerung als Promitrophäensammlung
Gemeinsam mit einem Psychologen entwickelte sie ein Psychoseseminar, in dem Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende der Psychiatrie sich auf Augenhöhe austauschen. Außerdem gründete sie gemeinsam mit anderen Betroffenen einen Verband Psychiatrie-Erfahrener. Und nein, es gibt nicht nur Dorothea Buck, man kann gleich ein Straßenschild für Rolf Laute in Auftrag geben, der mit den Schlumpern einer der ersten war, der einen Raum für Künstler mit und ohne Behinderung geschaffen hat.
Natürlich kann man öffentliche Erinnerung als Promitrophäensammlung betreiben, die sich selbst genügt – eine Art Wachsfigurenkabinett, wobei man damit in Hamburg auch nur mäßig gute Erfahrungen macht. Dann ehrt man Leute um ihrer Macht willen, die mit Politik oder Mode ihr Geld verdient haben und das System in etwa dem maroden Zustand an ihre Nachfolger weitergegeben haben, in dem sie es vorfanden – und deutet ihre unangenehme Breitbeinigkeit als Originalität.
Sollte sich Oliver Pocher irgendwann in Hamburg niederlassen, hätte er gute Chancen auf eine Nebenstraße in der Hafencity, wahlweise auch Til Schweiger für seine Tatort-Verdienste, wenn er aus dem Umfragetief wieder aufsteigen sollte.
Hamburg betont gerne, dass es nichts auf (Adels-)Titel gibt, aber bisher ist ihm als Alternative nichts als Status und Promibonus eingefallen. Das ist schrecklich langweilig. Denk' doch mal nach, Du Stadt, und play it big, und dann ist noch mehr drin als ein Straßenschild. Vielleicht schenkst Du den Schlumpern dann den Benko-Turm oder der Buck-Stiftung einen Haufen Geld. Aber jetzt erst mal eine Straße, mitten im Herzen der Stadt.
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