Entscheidung des Bundesgerichtshofs: K.-o.-Tropfen sind kein „gefährliches Werkzeug“
Der Bundesgerichtshof sieht K.-o.-Tropfen nicht als gefährliches Werkzeug. Hohe Strafen drohen dennoch: Da der Einsatz eine Todesgefahr verursache.
Im konkreten Fall hatten der Angeklagte und seine Verlobte zwei Freundinnen zum Abendessen eingeladen. Der Mann tropfte mit einer Pipette K.-o.-Tropfen in das Glas einer der eingeladenen Frauen und seiner ahnungslosen Verlobten. Er wollte die Frauen „dadurch sexuell enthemmen, um dann mit und an ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich durch gegenseitige sexuelle Handlungen der Frauen sexuell zu erregen“, wie der BGH schrieb.
Tatsächlich begannen die beiden Frauen ausgelassen zu tanzen, sich auszuziehen und sich zu küssen. Der Täter fasste der eingeladenen Frau über der Unterwäsche an Brust und Vulva. Danach verschwand die Frau und wurde erst später im Garten gefunden, sie schlief unterkühlt und durchnässt im Garten. Das Landgericht Dresden verurteilte den Mann wegen eines sexuellen Übergriffs zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.
Der BGH hob die Verurteilung nun aber auf, weil das Landgericht zu Unrecht strafschärfend den Einsatz eines „gefährlichen Werkzeugs“ angenommen habe. K.-o.-Tropfen seien nämlich kein gefährliches Werkzeug, stellte das oberste deutsche Strafgericht fest. Ein Werkzeug sei ein „Gegenstand“ und ein Gegenstand habe einen „festen Körper“. Eine Flüssigkeit oder ein Gas sei also kein Gegenstand und könne daher kein gefährliches Werkzeug sein, so der 5. BGH-Strafsenat unter der Vorsitzenden Richterin Gabriele Cirener.
Ein Freispruch ist ausgeschlossen
Zwar könne der Einsatz von K.-o.-Tropfen die gleiche Wirkung haben wie der Schlag mit einem Holzknüppel. Solche Gerechtigkeitserwägungen dürften aber nicht dazu führen, dass der Wortlaut der Strafnorm ignoriert wird, so der BGH. Im Strafrecht sei der Wortlaut vielmehr besonders streng zu beachten. Die BGH-Entscheidung wäre freilich überzeugender, wenn nicht in der gleichen Entscheidung der Einsatz von Säure als gefährliches Werkzeug akzeptiert würde.
Der BGH verwies den Fall zu neuer Entscheidung an das Landgericht Dresden zurück. Dabei wird es in keinem Fall zu einem Freispruch kommen. Auf jeden Fall wird der Mann wegen sexuellen Übergriffs verurteilt. Strafschärfend ist laut BGH zu berücksichtigen, dass der Täter ein „Mittel“ nutzte, um den Widerstand des Opfers zu verhindern. Laut Strafgesetzbuch besteht hier eine Mindeststrafe von drei Jahren (Paragraf 177 Absatz 7 Nr. 2).
Beim Einsatz eines „gefährlichen Werkzeugs“ läge die Mindeststrafe zwar bei fünf Jahren (§ 177 Abs. 8 Nr. 1). Allerdings kommt beim Einsatz von K.-o.-Tropfen die fünfjährige Mindeststrafe auch in Betracht, wenn eine konkrete Lebensgefahr verursacht wurde (§ 177 Abs. 8 Nr. 2b). Im konkreten Fall hätte das Opfer wegen der „starken Bewusstseinstrübung“ an Erbrochenem oder an der eigenen Zunge ersticken können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen