piwik no script img

Entlassung von Häftlingen gestopptNetanjahu hat kein Herz

Kommentar von Susanne Knaul

Dass Israels Regierungschef, die Freilassung der Häftlinge stoppte, ist fatal. Die Hoffnung der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln schwindet.

Die israelische Geisel Omer Schem-Tov winkt zwischen bewaffneten Mitgliedern der Terrororganisation Hamas vor der Freilassung Foto: Jehad Alshrafi/ap/dpa

W er bis heute nicht sieht, dass die Hamas eine blutrünstige, monströse Bande ist, der wird es wohl nie verstehen. Dass aber auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mit grausamer Kaltblütigkeit gegenüber seinen eigenen Landsleuten bestens mithalten kann, zeigt spätestens seine Entscheidung, die vereinbarte Freilassung palästinensischer Häftlinge zu stoppen.

Es ist ein klarer Vertragsbruch, der weitere Abkommen und die Freilassung der noch im Gazastreifen verharrenden Geiseln deutlich erschweren wird. Die Inszenierungen der Geiselübergaben im Gazastreifen sind gruselig und widerwärtig. Und es ist blanker Terror, wenn die Hamas zwei Geiseln, die nicht zum Austausch stehen, das Schauspiel live miterleben lässt. Vor laufenden Kameras richten die zwei Männer ihren Appell an die Entführer, sie endlich zu entlassen, vor allem aber an Netanjahu:

„Du hast uns fertiggemacht“, sagt einer von ihnen. 500 Tage in Geiselhaft, „es reicht“. Den beiden verzweifelten Männern zuzusehen, ist herzzerreißend. Es ist absurd, dass Netanjahu das Aussetzen der Entlassung von rund 600 PalästinenserInnen, die schon in Bussen saßen, um nach Ramallah zu fahren, mit dem Spektakel im Gaza­streifen rechtfertigt. Er erklärte, erst wenn weitere Geiseln „ohne demütigende Zeremonien“ freikommen, werde Israel seinen Verpflichtungen nachkommen.

Für die vorerst im Gazastreifen verbleibenden Geiseln dürften die Inszenierungen kaum schwerer zu ertragen sein als jeder einzelne weitere Tag in Gefangenschaft der Islamisten. Netanjahus Vertragsbruch hingegen kann ihr Todesurteil sein. Niemand soll glauben, dass die Islamisten auf die Bedingungen des israelischen Regierungschefs eingehen werden. Die Hamas lässt sich nicht erpressen.

Fromme Politiker ignorieren jüdisches Gebot

Ein Leben zu retten, heißt auf Hebräisch pikuah nefesh und ist laut Halacha, dem Buch der jüdischen Ge- und Verbote, die höchste Pflicht. Um sie zu erfüllen, dürfen alle anderen Gesetze gebrochen werden, auch das Fahrverbot am Schabbat oder sogar am heiligen Jom Kippur. Das Leben der letzten Geiseln zu retten, wäre sogar ohne jede Verletzung der jüdischen Regeln möglich.

Wo also sind die Abgeordneten und die Minister, die sich als fromme Juden bezeichnen? Wie kann es sein, dass sie ihre Glaubensbrüder islamistischen Terroristen ausliefern? Israel wird von verlogenen Männern regiert, die schwarze Hüte tragen, von einem Haufen völlig offen agierender Rassisten, an deren Spitze ein herzloser Machtpolitiker steht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • "Dass Hamas die Freilassung der Häftlinge verhindert" zeigt, dass sie kein Herz haben.

  • Religion, egal welche, hier als Argument zu benutzen ist allerdings zynisch, selbst wenn die richtigen dabei angesprochen werden.

  • Treffend formuliert. Warum werden eigentlich Netanyahu und seine Regierung so selten bei uns für ihre Verbrechen kritisiert? Sie schaden Israel und seinen Menschen doch so offensichtlich. Und der Schaden wird vermutlich noch lange in der Zukunft fortwirken.

    • @Langu:

      Ich beobachte das völlig anders, Langu.

      Viele Artikel hier in der taz kritisieren Nethanjahu, und bevorzugen Palästina. Einige Artikel sprechen offen über den Genozid an den Palästinern, wie wenn das schlimmer zu bewerten sei, als die Schande des 7. Oktobers, dem zweitgrößten Massenmord an Juden nach dem Holocaust.

      Und auch viele Kommentare hier gehen in diese Tendenz. Während Kommentare von vielen Palästina-Befürwortern, wie dein Kommentar, veröffentlicht sind, müssen User wie ich oder Jim Hawkins beten, dass israel- und somit judensolidarische Kommentare sichtbar sind.

    • @Langu:

      Ich schätz aus Angst.



      In Deutschland Kritik zu äußern kann schnell nach hinten los gehen und man wird direkt in Schubladen gesteckt. Eine Kritik an Netanjahu kann schnell als Kritik an Israel ansich verklärt werden, und wenn "die anderen" dann mehr TV Zeit haben als man selbst, kommt man aus dieser Schublade auch nie wieder raus.

      Wer bei uns gesellschaftlich hoch steht bzw geachtet wird oder in der Politik weit nach oben kommt, der ist da meist nicht weil er besonders gut Leiten könnte oder besonders clevere Ideen an den Tag legt, sondern eher weil er besonders wenig angeeckt ist. Es kommt da derjenige hin, der nicht vorher schon zerfleischt wird weil er mal zu ehrlich war. Also nicht unbedingt die aufrichtigsten charakterstärksten Personen...

    • @Langu:

      ???



      Netanjahu wird doch kritisiert, was das Zeug hält.

  • Interessant dass Israel die Demütigungen beklagt. Auf der anderen Seite sind Demütigungen für Palästinenser an der Tagesordnung. Ganz besonders in den Haftanstalten. Ganz egal ob verurteilte Straftäter oder willkürlich inhaftierte in "Verwaltungshaft".

    Und nebenbei geht - ignoriert von der westlichen Welt - die Vetreibung im WJL weiter inkl. Zerstörung der dortigen Infrastruktur.

    • @Barnie:

      Wie sehen denn diese Demütigungen aus? Werden Palästinenser gefoltert in israelischen Gefängnissen? Laufen diese humpelnd raus mit amputierten Gliedmaßen, gezogenen Zähnen, schwere Blessuren oder Brandspuren? Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat wie Deutschland, also sind die Gefängnisse mit denen unserer vergleichbar.

    • @Barnie:

      Das ist für Sie interessant? Neu?

      Demütigungen, Bedrohungen, Attacken sind auch für Israelis an der Tagesordnung.

      Es lohnt sich, sich die Sichtweise der verschiedenen Seiten anzuhören.

      Übrigens beklagt im Artikel nicht "Israel ", sondern Netanjahu.

    • @Barnie:

      Sehe ich auch so, ebenso dass die Situation im Westjordanland kaum Beachtung findet. Auch die Details über das Waffenstillstandsabkommen haben teilweise vollständig gefehlt und die Verstöße scheinen mir doch eher selektiv gemeldet zu werden. Denn wenn ich mir die Liste anschaue ist das doch wesentlich umfangreicher als man denken könnte: en.wikipedia.org/w...asefire#Violations

  • Noch ein Kapitel in einem ausweglos erscheinendem Konflikt. Fürchterlich.