piwik no script img

Energieexperte Halver über Gasstopp„Politisch lange sehr blauäugig“

Der Energieexperte Robert Halver warnt vor langfristigen Schäden für die Industrie. Es könne zum Exodus deutscher Firmen kommen.

Zuerst werden Luxusartikelhersteller den Betrieb einstellen müssen, erwartet Robert Halver Foto: Imago
Jonas Waack
Interview von Jonas Waack

taz: Herr Halver, wem dreht die Bundesnetzagentur zuerst den Gashahn zu?

Robert Halver: Es gibt ja schon einen groben Plan: Die Haushalte bekommen zuerst Gas, die sozialen Einrichtungen auch, und die Industrie weniger. Wenn man sich vor Augen führt, wie viel Gas gerade die Chemieunternehmen in Deutschland als Vorprodukt brauchen, auch im landwirtschaftlichen Bereich – Dünger basiert ja de facto auf Erdgas –, ist das natürlich ein herber Schlag. Wir haben zwar eine warme Bude, müssen uns aber fürchten, dass einige Arbeitsplätze nicht zu halten sind.

Lässt sich absehen, um wie viele Arbeitsplätze es geht?

Das kann man nicht sagen. Wenn es hart auf hart kommt, wird Kurzarbeitergeld eingeführt. Aber klar, längerfristig wäre das ein Problem. Jetzt zeigt sich eben, dass wir politisch lange sehr blauäugig gesagt haben, „das wird schon gut gehen“.

Welche Industrieunternehmen werden zuerst kein Gas mehr bekommen?

Unternehmen, die keine Grundbedürfnisse erfüllen, zum Beispiel die Luxusindus­trie. Aber alles, wo es sehr hohe Beschäftigungszahlen gibt, wird zunächst noch Gas bekommen. Die Autoindustrie ist ein großer Arbeitgeber. Das stützt man natürlich. Die wichtigen Indus­trie­zweige in Deutschland, Automobil, Maschinenbau, Elektro, Chemie, sollen möglichst lange an der Gasversorgung gelassen werden, andere Güter auch, zum Beispiel im Bereich Lebensmittelproduktion. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man die Fleischproduktion einschränkt. Einfach, weil es weniger Energie, Fläche und Dünger braucht, Weizen hochzuziehen und damit zu backen, als wenn man den Weizen ziehen muss, um damit Schweine zu füttern.

Im Interview: Energieexperte Robert Halver

Jahrgang 1963, ist Energieexperte und Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank in Frankfurt.

Der Chemiekonzern BASF stellt Vorprodukte für die Medizin- und Lebensmittelprodukte her, aber eben auch für vielleicht weniger wichtige Bereiche. Lässt sich denn BASF nur in Teilen das Gas abdrehen?

Große Konzerne wie BASF haben verschiedene Standorte, die diverse Schwerpunkte haben. Da kann man sicher differenzieren. Bei kleineren Unternehmen, wo es nicht so festgestellt werden kann, wird es schwieriger.

Gibt es irgendwo einen echten Gashahn, der dann geschlossen wird?

Da wird die Produktion einfach heruntergefahren. Das ordnet der Staat an. Er fährt aber nicht eine Firma komplett herunter, sondern erst die unwichtigeren Bereiche, auf die man verzichten kann.

Einige Industrien, besonders in der Chemie, lassen sich nicht schnell wieder hochfahren, wenn sie einmal abgeschaltet sind.

Das ist wie beim Sport. Wenn Sie nur rumsitzen, erschlaffen Ihre Muskeln. Man fährt eine Firma nur dann herunter, wenn man nachhaltig keine Renditemöglichkeit sieht. Und wenn man die Produktion einstellt, ist man gedanklich schon im Ausland. Man wird das möglichst lange herauszögern, auch von der Politik aus. Aber es ist doch klar: Wenn eine Firma komplett runtergefahren ist, ist sie weg. Gleichzeitig ist das Abwandern ein längerer Prozess. Längerfristig wäre es ein Problem, wenn wir keine Versorgungssicherheit mit Energie haben. Wenn die nicht verfügbar ist, ist der Exodus der deutschen Firmen ins Ausland eingeleitet.

Geht es dabei um alle Unternehmen, die Erdgas als Rohstoff benötigen?

Wenn ab morgen in Rubel gezahlt werden müsste, ist es nicht so, dass ab übermorgen kein Gas mehr da ist. Ich könnte mir vorstellen, dass wir relativ mühelos bis Herbst kommen. Aber „mühelos bis Herbst“ ist für Unternehmen nicht ausreichend. Sie brauchen langfristige Perspektiven, denn die weltweite Standortkonkurrenz ist hart.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Jetzt scheint es mit zunehmender Klarheit, wer die wahren Gewinner und wer die wahren Verlierer dieser Tragödie sind.



    Die Gewinner sind die USA und Verlierer sind die Länder des "alten" Europas (mehr oder weniger die EU-Länder), nicht nur Deutschland. Tatsächlich ist nicht nur Deutschland eine "Export Nation". Andere Länder, z.B. Italien oder Frankreich, exportieren ebenfalls Industrieprodukte.



    Der Fehler bestand nicht so sehr in der "Abhängigkeit" von Russlands Energieressourcen.



    Der Fehler bestand darin, zu behaupten, friedliche Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu unterhalten und gleichzeitig "politische" Feindseligkeit gegenüber Russland selbst demonstrieren: NATO-Erweiterung an Russlands Grenzen, obwohl das Gegenteil versprochen wurde, Aufrechterhaltung der NATO selbst in antirussischer Funktion, Weigerung, eine Form der Beteiligung Russlands am "europäischen Projekt" einzuleiten. Die Idee, Russland "von der Tür" Europas fernzuhalten und es als "feindliches" Land zu betrachten, verursacht, wie wir sehen, sehr schweren Schaden für ganz Europa. Dies ist eine "Politik", die den Interessen ganz Europas zuwiderläuft.

    • @Ugo Pioletti:

      Ab dem 4. Absatz haben Sie nur noch russische Propaganda wiederholt. Schade.

  • " Welche Industrieunternehmen werden zuerst kein Gas mehr bekommen?



    Unternehmen, die keine Grundbedürfnisse erfüllen, zum Beispiel die Luxusindus­trie. Aber alles, wo es sehr hohe Beschäftigungszahlen gibt, wird zunächst noch Gas bekommen. Die Autoindustrie ist ein großer Arbeitgeber."



    Somit ist der Ausweg klar für die "Luxusindustrie". Wenn genug Arbeitsplätze dranhängen, dann gibt es auch weiterhin Gas, egal welchen Schrott die herstellen?

    • @Sonnenhaus:

      Genau. Nennt man Wirtschaft. Genau der Zweig der Gesellschaft die am Ende so schnöde Sachen wie Kultur, Bildung oder Verwaltung finanziert.

  • Wieviele Milliarden hat man mittlerweile ausgegeben, um die Kernfusion zu bewerkstelligen? Ergebnis liegt in weiter Ferne.

    AKW-Laufzeiten verlängern. Schnapsidee. Schönes Ziel für Putins Schergen.

    Kohlekraftwerke? Klas sind das Drecksschleudern, aber mit CCS wäre es eine Übergangslösung. Greenpeace hat hier Politik für ganz Europa gemacht, obwohl die gar kein politisches Mandat haben. Alles mit Hilfe der naiven, jungen Generation und mit Angstmache.

    Solarenergie - man denkt darüber nach....

    Die Suche nach fossilen Rohstoffen wie Gas und Öl (igitt) hat man den privaten Konzernen überlassen. Wird schon gutgehen mit den Russen.

    Windkraft - super aber irre lange Genehmigungsverfahren - not in my backyard.

    Geothermie - super - aber irgendwie kommt man nur lokal/regional in die Gänge.

    Und dann wären da noch die schönen, neuen Elektroautos. Einfach an die Steckdose anschließen und gut ist.



    Leider nicht.



    Ein massiver erhöhter Energiebedarf zeichnet sich ab. Auch die neuen Technologien - Internet, Handy benötigen zunehmend Strom.

    Was wir brauchen ist eine kalte Dusche, ansonsten wird weitergepennt.

    • @cuba libre:

      Die Kernfusionsforschung ist chronisch unterfinanziert, deswegen wirds auch immer teurer.



      Klingt komisch-is aba so.



      Denen fehlen so ca. 20 Mrd. zeitnah, dann wüsste mensch wenigstens, obs nen (wirtschaftlichen) Sinn hat oder leider "nur" als Labor funktioniert...

      • @Hugo:

        Das ist ein viel zu riskanter Weg. Weil es halt wieder 20 Jahre dauern kann.

        Die Zukunft liegt hier:



        www.geothermie.de/...s/nachrichten.html

        Ständig verfügbar, wenig Platz, einfache Technik und vielerorts anwendbar.



        Daneben noch Windkraft und Fotovolataik und alles ist gut.

  • Seit jetzt mindestens vierzig Jahren werden alle, die auf Versorgungssicherheit und Autarkie für den Krisenfall hinweisen, von den Mehrheitsparteien und deren Wählern konsequent ausgelacht. Warum sich selbst um etwas bemühen, wenn man es billiger aus dem Ausland importieren kann? Das alles unter dem Vorwand des angeblichen Subventionsabbaus -- die wahren, rein künstlich gepäppelten Subventionsbranchen sind ganz andere.



    Ich bin so situiert, daß ich wohl halbwegs über die Runden kommen werde. Mein Mitleid mit denen, die genau das genau so seit Jahren gewählt haben (oder gar nicht) ist recht begrenzt. Wer das Arbeiterparadies ohne fossile Energie unbedingt haben wollte, der soll nicht jammern, wenn er es bekommt.

    • @Axel Berger:

      Wenn alle im Sie herum, nichts mehr haben, werden Sie auch nichts mehr haben. Autark im Berg lebt es sich in Deutschland nicht. Die Prepperszene geht dummerweise von der falschen Vorstellung eines unabhängigen Lebens im Chaos drumherum aus. Nein, auch alle, die „vorsorgen“, werden keine Freude haben, wenn die gewohnte Welt untergeht.

      • @Hans Wurst:

        Natürlich sind Vorräte nur etwas für Wochen zum Überbrücken des größten Chaos. Autarkie ist etwas anderes. Da geht es um Landwirtschaft, Lebensmittel und um eigene Kohlegruben. Natürlich deckt man bei weitem nicht alles im Land ab, aber mit einfachem Essen satt werden, der Kohlrübenwinter 1916/17 und fast gar nichts mehr, wie heute, sind drei große Stufen -- und ich weiß, wo ich lieber stünde.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Da frgae ich mich immer wieder, und das schon seit Jahrzehnten, wofür arbeiten wir denn nun? Für unsere Lebensgrundlage oder für maximalen Profit? Unser derzeitiges Wirtschaftssystem ist auf maximalen Profit getrimmt, der Staat hat bitteschön nicht dazwischenzuquatschen. Es wird gerne Rosinenpickerei betrieben, Fördermittel abgefasst, und in Krisenzeiten sind die Unterhemer dann von der Bildfläche verschwunden? Gewinne privatisieren und Verluste vergesellschaften? Das passt zwar in's Bild des so viel gepriesenen neoliberalen Zeitgeistes, aber nicht zu einer solidarischen Gemeinschaft.

    • @68514 (Profil gelöscht):

      Auch wenn Gewinne privatisiert wurden, so ist dieses Vergnügen doch steuerpflichtig. Das ist für den Staat besser als gewinnfreie oder verlustreiche staatliche Unternehmen. Schließlich wollen wir alle die durch Steuergeld finanzierte Dinge nicht missen, oder?

      • 6G
        68514 (Profil gelöscht)
        @Hans Wurst:

        Mir ging es nicht primär um die Privatisierung der Gewinne, auf die natürlich Steuern gezahlt werden - oft viel zu wenig aufgrund der vielen Steuerschlupflöcher. Mein Hauptaugenmerk lag auf der Vergesellschaftung der Verluste, die gerne betrieben wird, hab ich leider nicht speziell drauf hingewiesen. Wenn ich kleiner Bürger mich mal verzocke, rettet mich kein Staat. Wenn Konzerne sich verzocken, werden sie gerne mit Staatsgeldern gerettet, meistens dazu noch ohne entsprechende Gegenleistungen einzufordern. Danach läuft alles weiter wie gehabt.