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Ukraine-Krieg und EU-AgrarpolitikFalsche Baustelle

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Die Pläne der EU-Kommission, den Pestizideinsatz nicht zu bremsen, sind fatal. Denn das Artensterben geht trotz des Ukraine-Krieges weiter.

Pflanzenschutzmittel wird auf einem Feld in Niedersachsen ausgebracht Foto: Countrypixel/imago

D er Bauernverband ist ein echter Kriegsgewinner. Er war schon immer gegen Pläne der EU-Kommission, den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren. Jetzt hat die Brüsseler Behörde dieses Vorhaben verschoben – aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Die Begründung: Weil infolge des Ukraine-Kriegs Getreidelieferungen aus dem Land auszufallen drohen, könne es sich die EU nicht mehr leisten, weniger zu spritzen und deshalb auch weniger zu produzieren. Sonst würden die Lebensmittelpreise zu stark steigen, und die Versorgung von Entwicklungsländern wäre gefährdet.

Genauso hatte die Agrarlobby aus Deutschland und anderen EU-Staaten argumentiert. Zu befürchten ist, dass die Kommission jetzt auch noch weitere Umweltschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft aufgibt. Dieser Weg ist falsch. Denn trotz des Kriegs sterben immer noch viele Pflanzen- und Tierarten aus. Davon sind auch die für die Nahrungsmittelproduktion wichtigen Bestäuberinsekten betroffen. Pestizide tragen erheblich zum Artensterben bei.

Und sie machen die Landwirtschaft der EU abhängig von Erdölimporten. Denn die Chemikalien basieren auf diesem Rohstoff, dessen Preise und Verfügbarkeit maßgeblich Russland oder andere autokratisch regierten Staaten bestimmen.

Statt auf notwendigen Natur- und Klimaschutz zu verzichten, sollte die EU das geerntete Getreide sinnvoller nutzen. 2019 wurden 57 Prozent der deutschen Produktion laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung nicht gegessen, sondern verfüttert. An Tiere, die daraus Fleisch und Milch erzeugen, wobei viele Kalorien verlorengehen. 12 Prozent des Getreides werden zu Kraftstoff oder Biogas verarbeitet.

Die Ernte für Agrosprit ließe sich kurzfristig als Nahrungsmittel nutzen. Die Zahl der gehaltenen Tiere zu senken, dauert etwas länger, aber nicht ewig. Statt über weniger Umweltschutz sollte man über Prämien für Bauern diskutieren, die ihre Viehbestände reduzieren.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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9 Kommentare

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  • Ich warte seit Ende meines Landschaftsökologie - Studiums in den 90er Jahren darauf, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse durchsetzen, wonach wir ohne Artenvielfalt nicht überleben können. Vor kurzem dachte ich noch, dass der Zeitpunkt für Änderungen endlich erreicht sei. Wie doof war ich eigentlich, nach all den Jahren und all den Enttäuschungen noch daran zu glauben, dass sich die Wissenschaft Gehör verschaffen könnte, im vielstimmigen Geheule der Interessenvertreter.

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    D.h. also, wir sprühen immer weiter, wahrscheinlich auch immer mehr, und bald wächst aber trotzdem nichts mehr weil die Bestäuberinsekten ausgestorben sind. Den Ast, auf dem man sitzt, sollte man aber nicht absägen, oder irre ich mich da?

    • @68514 (Profil gelöscht):

      Weizen, Gerste, Hafer, Reis, Erbsen und Bohnen sind Selbstbestäuber, Mais gehört zu den Windbestäubern. Also haben Insekten NULL Einfluss ob wir Getreide haben oder nicht.

      • @Günter Witte:

        Mehr Abwechslung als "Weizen, Gerste, Hafer, Reis, Erbsen und Bohnen" auf dem Teller braucht es ja ebenso wenig wie die Nahrungsketten die an den Insekten dran hängen. Kein Grund also zur Zurückhaltung an der Giftspritze und weg mit Allem was die Monokultur trüben könnte.

        • @Ingo Bernable:

          Entschuldigung, ich wusste nicht das man in der TAZ nicht fachlich Argumentieren darf. Wenn nur Polemik und Ideologische Ansichten zählen ist es traurig um jede Diskussion !

          • @Günter Witte:

            Meine Polemik zielte darauf ab ihnen deutlich zu machen, dass sie fachlich zielgenau am Problem vorbei argumentieren. Aber vielleicht stellt es für sie ja auch einfach kein Problem dar wenn sie in nicht allzu ferner Zukunft selbst mit dem Pinsel über ihre Felder ziehen müssen, falls neben Weizen zB auch mal Äpfel geerntet werden sollen.



            www.dw.com/de/bl%C...bienen/av-43465364

            • @Ingo Bernable:

              Ich bin mir sicher das ich von der Natur mehr mitbekomme als Sie und viele der " Fachleute ", mitten aus der Stadt, die hier so " klug " über die Landwirtschaft schreiben.



              Ich ( wir ) wohne in Alleinlage inmitten von Konventionell bewirtschafteten Feldern und trotzdem haben wir ALLE Arten von Insekten in unserem großen, alten Obstgarten. Es ist immer wieder schön wenn jetzt im Frühjahr enorme Mengen von Bienen und Schmetterlingen um die ersten Blüten schwirren.



              Artikel, wie die von Herrn Maurin, dienen nur dazu die Landwirtschaft anzuprangern ohne sich mit dieser auseinander zu setzten. Warum werden nur polemische Schlagwörter, wie Pestizide, benutzt und nicht ins Detail gegangen was an Pflanzenschutzmittel schädlich sein soll ?? Es wird hier mit der Unwissenheit der Menschen gespielt um die Landwirtschaft als Verbrecher darzustellen.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Volle Zstimmung! Den Status Quo zu erhalten ist sinnlos! Neue Ideen braucht das Land.