Ende der Querdenker-Bewegung: Urlaub von der Wirklichkeit

Die Querdenken-Bewegung ist am Ende. Doch die mediale Infrastruktur, die sie aufgebaut hat, ist für Fake News jederzeit wieder reaktivierbar.

Querdenken Papier-Fahne

Der Querdenker-Spuk ist erst mal vorbei, aber die Infrastruktur bleibt Foto: Christian Spicker/imago

Es werden Ausweise ausgegeben, die ihre Besitzer als Einwohner eines autonomen Landes ausweisen. Es gibt eigene Anwälte, die pro bono für die Rechte der Demonstranten eintreten, und Barden, die auf der Wandergitarre Protestlieder vortragen. Weil „die Presse“ nicht unvoreingenommen berichtet, hat man sich „alternative Medien“ geschaffen. Man demons­triert in ausgefallenen Kostümen, meditiert gegen den Feind, fordert Basisdemokratie statt „Parteiendiktatur“.

Das ist nicht die Beschreibung einer Coronaleugner-Demo zu ihren Hochzeiten. So ging es 1980 in der Republik Freies Wendland zu. Viele der Methoden derer, die im letzten Jahr gegen die Coronapolitik der Bundesregierung protestierten, lassen sich auf den Modus Operandi der „Neuen Sozialen Bewegungen“ der 1970er und 1980er Jahre zurückführen: Die Umwelt- und Friedensbewegung, die Gegner von Atomkraftwerken und Startbahn West verwendeten Methoden des zivilen Ungehorsams, schufen eine eigene Infrastruktur von Rechtsbeiständen, Medizinern und – besonders wichtig – eigenen Medien.

Es gibt freilich einen entscheidenden Unterschied: Anders als die Querdenker verfolgten die Neuen Sozialen Bewegungen republikanische Ziele. Sie leisteten Widerstand gegen objektives Unrecht und fragwürdige politische Entscheidungen, die sie aus guten Gründen ablehnten. Viele dieser Ziele sind heute mehrheitsfähig oder gar durchgesetzt. Die Truppe, die sich unter dem Banner des Querdenkertums zusammenfand, trieb teils ganz andere Ziele um. Diese reichten von legitimer Kritik an den Coronamaßnahmen bis zu wilden Staatsstreichsfantasien.

Dass diese kuriose Allianz nicht von Dauer sein würde, war vorherzusehen. Dass in Deutschland altvordere Ökos und aktenkundige Nazis, AfD-Abgeordnete, abgedriftete DDR-Bürgerrechtler und Ausdruckstänzer einen gemeinsamen Nenner haben, bedauerlicherweise auch. Ihre Gemeinsamkeit war letztlich, dass man sich nichts vorschreiben lassen wollte und dass alles immer so bleiben soll, wie es ist. Jede noch so absurde Forderung wurde im Namen des „Volkes“ vorgetragen. Dabei waren die Querdenker letztlich nur der Aufstand ein paar grantiger Boomer.

Sozialen Medien als Propagandainstrument

Doch der Abenteuerurlaub von der Wirklichkeit ist vorbei, der Niedergang der Querdenker unübersehbar: Zu den Veranstaltungen kommen kaum noch Leute. Viele Wortführer sind abgetaucht. Andere müssen nun die strafrechtlichen Folgen ihres verantwortungslosen Tuns gewärtigen.

Einige Protagonisten versuchen noch, diese Tatsachen zu verdrängen, manchen ist die Verbitterung inzwischen deutlich anzusehen. All das kann man live verfolgen. Denn die Querdenker haben in kurzer Zeit eine autonome, parallele mediale Infrastruktur aufgebaut, die zeitweise eine erstaunliche Mobilisierungskraft hatte. Nun zeigen diese Kanäle, wie sich die Szene zerlegt.

Trotzdem bleibt festzuhalten: Querdenken und Co. haben zeitweise einen virtuosen Einsatz der sozialen Medien und von Videostreaming als Propagandainstrument betrieben, der in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Bei Streamingdiensten wie DLive, Twitch oder YouTube, bei denen man Livesendungen per Webcam oder Smartphone verbreiten kann, sind nach wie vor täglich Übertragungen von den Demos und Kundgebungen der Szene zu sehen – auch wenn kaum noch wer kommt. Oder es werden faktenfreie Diskussionsrunden veranstaltet, in denen von „Merkill-Diktatur“, „Giftspritzen“, der „New World Order“ oder dem „Great Reset“ gefaselt wird.

Diese Sendungen, die teilweise Zehntausende Zuschauer verfolgen, haben oft fast den Charakter von Live-TV-Sendungen, bei denen zwischen verschiedenen Schauplätzen hin und her geschnitten wird oder Kommentatoren zugeschaltet werden. Dank Streamingtechnologie schufen ein paar Leute mit Smartphones und unlimitiertem Datenvolumen ein dezentrales Medienimperium, das seinen Zuschauern den Eindruck einer riesigen Unterstützerschaft suggeriert, auch wenn die tatsächliche Beteiligung vernachlässigbar war: Als Corona-Oberprofiteur Michael Ballweg in Stuttgart als Bürgermeisterkandidat antrat, erhielt er gerade einmal 1 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig konnten seine Fans den Wahlkampf in den sozialen Medien so dominieren, dass man meinen konnte, sie seien ein nennenswerter Teil der Wähler.

Es ist wohl auf solche antidemokratischen Methoden zurückzuführen, dass etwa der sächsische Ministerpräsident Kretschmer zu Jahresbeginn von „Öffnungswünschen der Bevölkerung“ redete, während laut Umfragen ein Drittel der Deutschen die geltenden Coronaregeln unterstützte und ein weiteres Drittel härtere Maßnahmen forderte. Ähnliches konnte man schon bei Pegida oder den sogenannten Montagsdemonstrationen 2015 beobachten: Einer kleinen Gruppe von Querulanten gelangt es damals, den öffentlichen Diskurs nachhaltig zu beeinflussen.

Auch wenn der Querdenker-Spuk jetzt erst mal vorbei ist, ist die mediale Infrastruktur robust, die für derartige Desinformationskampagnen eingesetzt werden kann. Sie wird bei der nächsten gesellschaftlichen Verwerfung oder politischen Großlage wieder dazu genutzt werden, Fake News zu verbreiten, Spenden oder „Schenkungen“ zu sammeln. Und die nächste Kohorte schlichter Gemüter auf die Idee bringen, dass sie in einer schlimmeren Diktatur als der DDR oder dem Dritten Reich leben. Für eine Demokratie ist das nicht gesund.

Solange man bei Streamingdiensten erzählen kann, was man will, und diese Unternehmen sogar noch eigene Kryptowährungen anbieten, mit denen man Hetzer für ihre Tiraden belohnen kann, wird dieses Geschäftsmodell attraktiv bleiben. Der mediale Schoß, aus dem die Querdenker krochen, bleibt fruchtbar.

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Tilman Baumgärtel ist Professor für Medien­wissenschaft an der Hochschule Mainz. Zuletzt hat er im Reclam-Verlag das Buch „Texte zur Theorie des Internets“ heraus­gegeben.

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