Eklat beim PEN America um Masha Gessen: Wegen des Kriegs kein Podium
Die Autorin Masha Gessen ist als Vizepräsidentin des PEN America zurückgetreten. Sie wolle nicht an falschen Entscheidungen beteiligt sein.
Ein herber Verlust: Die US-Journalistin und Schriftstellerin Masha Gessen ist vom Amt als Vizepräsident*in des Schriftsteller*innenverbandes PEN America zurückgetreten. Sie glaube an die Mission des PEN, dennoch gebe sie den Leitungsposten auf, um nicht in eine Entscheidung involviert zu sein, die sie für falsch halte, zitiert die New York Times Gessen.
Bei der Entscheidung handelt es sich um die Absage einer Podiumsdiskussion mit russischen Teilnehmer*innen zum Thema „Schriftsteller*innen im Exil“ im Rahmen des „World Voices Festival“ in New York.
Diesem Schritt vorausgegangen war die Ankündigung der ukrainischen Literaten Artem Chapeye und Artem Tschech, auf ihren Auftritt beim Festival zu verzichten, sollte die andere Veranstaltung wie geplant über die Bühne gehen. Beide dienen derzeit in der ukrainischen Armee.
In der ersten Stellungnahme des PEN America war zunächst, unter Bezugnahme auf Chapeye und Tschech, von einem möglichen Verbot ihrer Rückkehr in die Ukraine die Rede. In einer veränderten Version hieß es dann, für beide hätte es zu einer Ausnahmesituation kommen können, die mit erheblichen politischen und rechtlichen Konsequenzen und Risiken verbunden sei.
Aus politischen und humanitären Gründen
Zudem versuchte sich die Geschäftsführerin des PEN America, Suzanne Nossel in Schadensbegrenzung. So habe die Organisation einen Fehler begangen, weil sie die Vorbehalte der Ukrainer dahingehend interpretiert habe, dass diese sich auf die Teilnahme an einem gemeinsamen Panel, nicht aber auf die Veranstaltung insgesamt bezogen hätten.
In einer Mail an die New York Times meldete sich Artem Chapeye zu Wort. Ein ukrainischer Soldat könne aus politischen und humanitären Gründen nicht „unter einem Dach“ mit Teilnehmer*innen aus Russland auftreten. „Die einzige Konsequenz wäre mein Schuldgefühl gegenüber all den Menschen, die von der russischen Armee getötet und gefoltert wurden“, heißt es dort.
Masha Gessen stellte noch einmal klar, dass sie sich nicht gegen die Forderungen der Ukrainer gewandt habe. Kyjiw führe einen Verteidigungskrieg mit allen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln. Ihr Problem sei ausschließlich die Reaktion des PEN.
Bei den russischen Gästen für das abgesagte Panel, das Masha Gessen hätte moderieren sollen, handelt es sich um den Schriftsteller und Historiker Ilja Wenjawkin sowie die leitende Mitarbeiterin des oppositionellen Fernsehsenders Doschd, Anna Nemzer.
Sie hatten Russland unmittelbar nach dem Beginn von Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine verlassen. Beide arbeiten am Aufbau eines „Archivs unabhängiger russischer Medien“ mit – ein gemeinsames Projekt des PEN America und des Bard College – eine private Hochschule im US-Bundesstaat New York. Ziel des Projektes ist es, 20-jährige Arbeit unabhängiger russischer Medien, die unter Wladimir Putin geschlossen oder blockiert wurden, zu dokumentieren und zu bewahren.
Gessen, Autorin mehrerer Sachbücher und Inhaberin eines russischen und eines US-amerikanischen Passes, lebt mit ihrer Familie seit 2013 ständig in den USA. Begründet hatte sie das mit wachsenden Repressionen gegen Angehörige der LGBTQ+-Community.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken