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Einkommen im AlterUngleichheit unter Se­nio­r:innen nimmt zu

60 Prozent der alten Grundsicherungsberechtigten beantragen die Leistung gar nicht. Durchschnittseinkommen im Alter aber steigen.

Die Armutsquote unter Alten steigt Foto: Jan Tepass/imago

Berlin taz | Die Zahl der Beschwerden von Menschen über Altersdiskriminierung, auch „Ageism“ genannt, steigt. Entsprechende Anzeigen haben 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent zugenommen, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch bei der Vorstellung des Neunten Altersberichts der Bundesregierung.

In dem jährlich erscheinenden Bericht beschäftigen sich Sachverständige mit der Situation alter Menschen in Deutschland. Die Armutsquoten unter Alten steigen, das Durchschnittseinkommen der Se­nio­r:in­nen aber auch, so der Bericht. Armut ist bei den Alten inzwischen verbreiteter als in der Gesamtbevölkerung. „Das ist neu“, sagte Martina Brandt, die Vorsitzende der Sachverständigenkommission.

Durchschnittszahlen sagten wenig aus über die konkrete Situation der Senior:innen, erklärte Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso). Die Lage sei „disparat“. Bei manchen alten Menschen „multiplizierten“ sich die Probleme. Die Unterschiede zwischen den Alten haben zugenommen, hieß es in dem Bericht.

Alleinstehende Frauen, Mi­gran­t:in­nen und queere Menschen sind dabei besonders benachteiligt. Alleinstehende alte Frauen mit Migrationsgeschichte sind beispielsweise zu 41 Prozent vom Altersarmutsrisiko betroffen, während dies im Durchschnitt der alten Bevölkerung nur 18 Prozent sind.

Löchrige Erwerbsbiografie

Geringe Qualifikationen, umfassende familiäre Sorgearbeit in der Biografie, frühe gesundheitliche Probleme, körperlich sehr anstrengende Berufe gehören laut dem Bericht zu den Faktoren, die sich im Alter nachteilig auswirken. Immer mehr Menschen gehen nach einer unterbrochenen Erwerbsbiografie in eine dann schmale Rente.

Etwa 8 Prozent der Rent­ne­r:in­nen waren im Jahre 2022 noch erwerbstätig. Ein Drittel dieser erwerbstätigen Se­nio­r:in­nen muss laut dem Bericht arbeiten, um Armut zu vermeiden.

Die Sachverständigen sprachen sich dafür aus, den Bezug von Grundsicherung im Alter zu „de-stigmatisieren“. 60 Prozent der alten Grundsicherungsberechtigten beantragen die Leistungen nicht, so Schätzungen in dem Bericht. Dies kann an der Scham liegen, oft aber ist die Bürokratie auch zu aufwendig oder die Betroffenen kennen die Anspruchsvoraussetzungen gar nicht.

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4 Kommentare

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  • Der deutsche Sozialstaat wäre unbezahlbar würden alle Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche auch geltend machen. Das ist also durchaus eingepreist. Ich kenne einige Seniorinnen die aus Scham keine Grundsicherung beantragen. Die Prognosen sind ja sehr düster. 40% der Bevölkerung im Osten erwartet eine Rente von unter 1200€ und damit die Altersarmut mit Ansage. Die ganzen unzufriedenen Mittfünziger bei uns die AfD wählen, weil sie sich nach 40+ Jahren Arbeit ungerecht behandelt fühlen, könnten wahrscheinlich mit einer armutssicheren Mindestrente nördlich der Grundsicherung zurückgewonnen werden. Dafür müssten allerdings bei den jetzt noch hohen Renten der Boomer größere Einschnitte gemacht werden.

  • Wenn man erhebliche Miet- und Pachteinnahmen neben einer geringen Rente hat, erscheint man in der Statistik trotzdem als "arm". So in meiner eigenen Verwandtschaft. Auch das dürfte ein nicht unerheblicher Grund für die 60% sein. Das gesamte Einkommen wird erst berücksichtigt, wenn man die Grundsicherung wirklich beantragen würde.

  • "Die Sachverständigen sprachen sich dafür aus, den Bezug von Grundsicherung im Alter zu „de-stigmatisieren“."

    Erinnert mich an meine Ur-Omi, verwitwet, fünf Kinder alleine großgezogen, drei (teilweise schwere) Jobs gleichzeitig. (Alle fünf Kinder übrigens in "ordentlichen" Arbeitsverhältnissen und Sozialversicherungsnettozahler.) Meine Ur-Omi sagte immer "Nicht auf's Amt, nur nicht auf's Amt." Ihre Kinder haben diese Einstellung alle verinnerlicht.

    Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll.

    • @*Sabine*:

      ich finde diese Einstellung richtig