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Ein Rezept für den AbgangJens, uns schmeckt’s nicht!

Pascal Beucker
Essay von Pascal Beucker

Was haben ein Schmorgericht und Rücktritte von Po­li­ti­ke­rn gemeinsam? Eine Betrachtung der Spahn’schen Maskenaffäre anhand des Münsterländer Töttchens.

Keine Masken, weniger Sorgen: Jens Spahn beim CDU-Kreisverband Borken 2018 Foto: Guido Kirchner/picture alliance

E tliche politische ­Karrieren von Konservativen beginnen auf Schützenfesten oder in traditionellen Gastwirtschaften. Dazu gehört natürlich Kenntnis der regionalen Spezialitäten. Im Falle von Jens Spahn ist dies das Münsterländer Töttchen, früher ein sogenanntes Armeleuteessen, heute wird es auch gerne zu festlichen Anlässen serviert, zum Beispiel auf besagten Schützenfesten. Beim Traditionsgericht aus der Heimatregion des heutigen CDU/CSU-Fraktionschefs haben sich allerdings im Laufe der Jahrzehnte die Zutaten etwas geändert.

Einst wurde für das Töttchen ein Kalbs- oder Rinderkopf verwendet sowie Innereien wie Herz, Lunge und auch Pansen. Heute greift man lieber zu hochwertigem Fleisch aus der Kalbsschulter oder -brust sowie Kalbszunge.

Mit der Maskenaffäre hat Jens Spahn derzeit einen handfesten Skandal am Wickel. Aber hat sie auch alle Elemente für einen Rücktritt des heutigen Unions­fraktionsvorsitzenden? Offenbar haben sich auch hier – wie beim Töttchen – die Zutaten entscheidend geändert. Beim letzten vergleichbar ehrgeizigen und machtbewussten Münsterländer, der in der Bundespolitik stolperte, reichte noch eine schnöde „Briefbogenaffäre“ zum Rücktritt.

Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann wurde 1993 ein Schreiben mit offiziellem Briefkopf zum Verhängnis, in dem der FDP-Politiker bei mehreren Handelsketten für ein „pfiffiges Produkt“ geworben hatte: einen Einkaufswagenchip, den ein angeheirateter Vetter vertrieb. Das könnte Spahn heute so nicht mehr passieren: Der Christdemokrat schreibt lieber E-Mails.

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Locker-flockig während Corona

Im März 2020, zu Beginn der Corona­pandemie, mailte der damalige Bundesgesundheitsminister beispielsweise locker-flockig an einen Schutzmaskenhändler: „Ja. Transport klären wir dann. Jetzt will ich erst mal rechtlich verbindlich das Zeug;-) So, bin jetzt vorerst raus hier, praktischen Rest mit meinen Leuten klären. Danke!“

Der Händler klagt heute vor dem Landgericht Bonn auf eine Zahlung von 287 Millionen Euro. Insgesamt fordern Maskenlieferanten eine Summe von 2,3 Milliarden Euro juristisch ein. Inklusive der Zinsen sowie der Rechts- und Verfahrenskosten könnte Spahns kreatives Wirken während der Coronapandemie den Bund – und damit die Steu­er­zah­le­r:in­nen – bis zu 3,5 Milliarden Euro kosten.

Dagegen sind die 243 Millionen Euro für die geplatzte Pkw-Maut des CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer nur Peanuts. So wie es seinerzeit allerdings nicht für den Rücktritt Scheuers reichte, sorgt der angerichtete Schaden zwar für eine Empörung, die erforderlich ist für einen Rücktritt. Aber das genügt noch nicht.

750 Gramm Fleisch

Für ein Töttchen für vier Personen reichen etwa 750 Gramm Kalbfleisch. Es wäre also nicht sinnvoll, an der Fleisch­theke einfach nur zu sagen: Packen Sie mir so viel ein, wie Sie bekommen können. Bei einer Pandemie ist die Kalkulation natürlich schwieriger. 5,7 Milliarden Coronamasken kaufte der Bund ein, aber nur zwei Milliarden davon wurden an die Bevölkerung verteilt. Mehr als die Hälfte wurde nicht gebraucht und daher vernichtet. Nun ja, die damalige Zeit war allerdings auch tatsächlich außergewöhnlich.

Problematischer ist, dass Spahn in einem sogenannten Open-House-Verfahren jedem 4,50 Euro pro FFP2-Maske bot, der bereit war, bis zum 30. April 2020 zu liefern. Dabei waren seine Be­am­t:in­nen von einem wesentlich niedrigeren Marktpreis ausgegangen. Die Folge war, dass der Bund mit Masken überschwemmt wurde.

Das sprengte nicht nur bereits nach wenigen Tagen völlig das Budget, sondern sorgte auch dafür, dass das von Spahn beauftragte Logistikunternehmen die Menge nicht mehr bewältigen konnte. „Fehlendes ökonomisches Verständnis und politischer Ehrgeiz“ attestiert Spahn die Sonderbeauftragte Margaretha Sudhof in ihrem Bericht. Das alleine wäre noch kein Rücktrittsgrund. Was mindestens noch fehlt: das passende Geschmäckle.

Zwei große Zwiebeln

Für das Töttchen braucht man zwei große Zwiebeln, am besten aus regionalem Anbau. Bei Spahns Maskenaffäre sorgt für Schärfe, dass er es persönlich erlaubt hat, noch Ende April 2020 bei der Schweizer Firma Emix 100 Millionen FFP2-Masken zum Preis von sogar 5,40 Euro pro Stück zu bestellen. Diese Firma hatte die Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs ­Gerold Tandler vermittelt und dafür mehrere Mil­lio­nen Euro Provision kassiert.

Zum anderen hat es ebenfalls mindestens ein Geschmäckle, dass Spahn gegen die heftigen Einwände aus dem Innenministerium und gegen den Rat seiner eigenen Fachabteilungen nicht die Branchenriesen DHL und Schenker zu den zentralen Beschaffern und Verteilern von Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln auserkor, sondern ohne Ausschreibung den münsterländischen Logistiker Fiege, der – wie vorausgesagt – den milliardenschweren Auftrag nicht bewältigen konnte. Auch wenn Fiege das „entschieden“ zurückweist.

Das Unternehmen ist in Greven ansässig, dem Bundestagswahlkreis, der direkt neben dem von Jens Spahn liegt. Firmenpatriarch Hugo Fiege gehörte lange dem Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats an, sein Sohn Felix Fiege ist stellvertretender Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrats Nordrhein-Westfalen. Mit beiden ist Spahn gut bekannt und sagt, „dass es wesentlich besser funktioniert, wenn das Angebot von jemand kommt, den man kennt und einschätzen kann“.

1993 tönte der bayerische Ministerpräsident Max Streibl beim politischen Aschermittwoch noch: „Saludos Amigos!“ Es sei keine Schande, Freunde zu haben. Drei Monate später musste der CSU-Mann dann doch noch wegen seiner allzu ausgeprägten Geschäftstüchtigkeit die Suppe auslöffeln und zurücktreten. Was fehlt dazu noch im Fall Spahn?

Suppengrün, Nelken und Piment

Im Töttchen darf ein Bund Suppengrün nicht fehlen, ein Lorbeerblatt, Nelken und Piment, ein kleines Glas Sherry, je ein Esslöffel Essig und Senf, 50 Gramm Butter, eine Prise Zucker, Salz und Pfeffer und natürlich eineinhalb Liter kochendes Wasser.

Für einen Politikerrücktritt reicht der Skandal allein noch nicht. Dass die Opposition kocht, ist natürlich eine elementare Voraussetzung. Die Grünen wettern, Spahn stehe im Verdacht des „Machtmissbrauchs im Amt“, die Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner fordert Spahns „Rückzug bis zur vollständigen Aufklärung dieses Falls und des gesamten CDU-Netzwerks“. Mediale Aufregung ist auch wichtig, um die Sache fett zu machen.

Hinzukommen müssen aber auch Stimmen aus den eigenen Reihen oder wenigstens denen des Koalitionspartners. Doch CDU, CSU und SPD halten Spahn bislang die Stange. Das könnte auch daran liegen, dass er sich nicht unbedingt tollpatschig verteidigt. Anstatt abzutauchen, nutzt Spahn jedes Mikrofon, das ihm hingehalten wird, um wortreich wie weitschweifig zu demonstrieren, dass er nichts zu verbergen habe. Seine wiederkehrende Botschaft: Mit „dem Wissen von heute“ würde er zwar viele Entscheidungen anders treffen. Aber: „Ich habe in der jeweiligen Lage nach bestem Wissen und Gewissen entschieden.“ Und Spahn hat vorgesorgt. Unvergessen sein Satz „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, den er im Bundestag zu Coronazeiten formulierte. Sogar ein Buch hat der CDU-Mann über diesen Hinweis geschrieben.

In die Hände spielt ihm auch CDU-Gesundheitsministerin Nina Warken, die den 168-seitigen Bericht der Sonderberichterstatterin Sudhoff erst unter Verschluss hielt und dann nur mit großflächigen Schwärzungen zugänglich gemacht hat. Ansonsten versucht Spahn recht geschickt vom Thema abzulenken, wenn er etwa über europäische Atomwaffen unter deutscher Führung schwadroniert.

Linke und Grüne fordern U-Ausschuss im Bundestag

Po­li­ti­ke­r:in­nen müssen erst dann um ihren Posten fürchten, wenn sie den Rückhalt der Führung ihrer Partei verlieren. Schnell eng wird es, wenn die entsprechende Person starke Wi­der­sa­che­r:in­nen in den eigenen Reihen hat, die sie aus dem Weg räumen wollen. Die andere Möglichkeit ist, dass der Skandal die gesamte Partei in Mitleidenschaft zu ziehen droht. Beides scheint im Fall Spahn gegenwärtig noch nicht der Fall zu sein. Heikel könnte es jedoch werden, wenn es einen Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Maskenaffäre geben sollte, wie ihn Grüne und Linkspartei fordern.

Damit würde die unerfreuliche Geschichte lange vor sich hin garen – und könnte auch immer wieder hochkochen, zum Beispiel im Vorfeld der diversen Landtagswahlen 2026. Deshalb will die schwarz-rote Koalition auch nur eine Enquetekommission zur Coronazeit, die die staatlichen Maßnahmen evaluieren und da­raus Empfehlungen für künftige Krisen ableiten soll. Da hätten Spahn und die Union nicht mehr viel zu befürchten.

Schwarzbrot als Beilage

Wie das Münsterländer Töttchen ist ein Rücktritt eher nichts für Veganer:innen. Und wie ein gutes Schmorgericht braucht er in der Regel eine längere Zeit, bis es so weit ist. Manchmal gelingt er auch gar nicht. Gut, dass es das Töttchen auch in der Dose gibt. 400 Gramm für 4,40 Euro, was immerhin unter Jens Spahns ausgelobtem Maskenpreis liegt. Wohl bekomm’s.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist Mitte vergangenen Jahres im Kohlhammer Verlag erschienen.
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8 Kommentare

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  • Vielen Dank!



    Man könnte noch ergänzen, dass laut Spiegel vom 21.03.2021 der Arbeitgeber von Spahns Ehemann, die Burda-GmbH, mehr als eine halbe Million Masken an das Bundesgesundheitsministerium verkauft hat. Damit ließe sich auch die immer wieder von Spahn geäußerte, rhetorisch gemeinte Frage, die in etwa so lautete: "Welches Interesse hätte ich daran haben sollen, einen zu hohen Preis festzusetzen?", beantworten.

  • Spahns Äußerungen zu einem europäischen atomaren Schutzschild unter deutscher Führung oder wahlweise mit nach dem Zufallsprinzip rotierender Führung, um Gegner zu verwirren, zeigen, dass sein kreativer Wahnsinn ungebrochen ist. Die Maskenaffäre wäre eine gute Gelegenheit, Spahn auf das politische Abstellgleis zu stellen, denn seine von Selbstüberschätzung begleitete Inkompetenz könnte auch in Zukunft zu Problemen Anlass geben.

  • Lieber Pascal Beucker, als gebürtiger Münsteraner und in der "Provinzialhauptstadt" ein Vierteljahrhundert sozialisierter Bürger darf ich Ihnen versichern: Das Töttchen stand auf dem Index, familienweit. Die angepassten neuen Rezepte konnten und sollten das nicht ändern. Ich glaube, dass es an den "Schweinereien aus den Innereien" (oder umgekehrt) lag, was man jetzt auf den Subtext im Kontext übertragen darf.

  • Welch eine Lesegenuss !



    Eine wahre Augenweide!

    Ernsthaft und ohne Flachs !

    Aber verlesen hatte ich mich doch an einer Stelle:

    "Schwarzrot als Beilage"



    ... ein kleiner aber feiner Unterschied.

    Und ich meine nicht nur das fehlende Ochsenblut als Zutat in einem traditionellen Schwarzbrot ....

  • Danke für diese launige Aufarbeitung. Es gab mal Zeiten da stürzten Minister über Urlaubsfotos und Politiker traten wegen Bonusmeilen zurück. Das heute gröbste Korruption und Inkompetenz wie bei Scheuer und Spahn keine Konsequenzen nach sich zieht, dürfte seinen Anteil daran haben, dass das AgD Narrativ der abgewirtschafteten Systemparteien verfängt. Als ob der Haufen sich nicht auch, wenn in Amt und Würden, schamlos bereichern würde.

  • Einen Jens Spahn mit einer köstlichen regionalen Spezialität (Töttchen) in Bezug zu setzen, ist zu viel der Ehre für so einen Halunken.



    Darf man sowas sagen?

  • Beste Voraussetzungen um nach ganz oben zu kommen...

  • Much all weesen. But Für den wahren Enkel •

    Als Schlagobers - “Atombewaffnung her“



    Für 🪖🪖🪖 Graues Heer Bundeswehr 🪖🪖🪖



    “Spahns Bombenidee: Atomwaffen für 🇩🇪 “



    www.ndr.de/fernseh...and,extra-158.html



    &



    Remember



    “Adenauers heimliche Pläne für eine eigene Atombombe



    Kanzler Adenauer hatte 1954 offiziell auf deutsche Atomwaffen verzichtet. Doch insgeheim hielt er die Option offen - und vergiftete damit das Verhältnis zu US-Präsident Kennedy.

    Na Mahlzeit & für die taz gibt’s das Darmolmännchen 🕯️ 💨💨💨 🙀🥳🫡



    images.app.goo.gl/N37asK66Bhz1JEP57