piwik no script img

Ein Jahr Revolution im SudanBittersüße Lehren

Vor einem Jahr gingen die Sudanesen auf die Straße: Über die menschliche Schönheit einer Revolution – und ihre Zerbrechlichkeit.

Ein Glücksmoment mit Jubel, Gesang und Siegeszeichen in Khartum Foto: Mohamed Nureldin Abdallah/reuters

Z wanzig Minuten lang stand die Menge in reglosem Schweigen; Respekt für die Toten, die Märtyrer der Revolution. Die Erschießung von Demonstranten auf diesem Sandplatz im Stadtteil Burri war vor einem Jahr eines der Schlüsselereignisse, an deren Ende der Sturz des sudanesischen Herrschers Omar al-Bashir stand.

Zwanzig Minuten sind aufwühlend lang, wenn man dem Schweigen lauscht. Sogar Kindern stand heiliger Ernst in den Gesichtern. Als die Stille schließlich zersprang, wurde skandiert und getrommelt, junge Leute hockten dicht an dicht, mit so viel Glück in den Augen, als könnten sie die Revolution für immer bewahren, sie gab dem Leben Sinn, sie war das Leben selbst. Und sie hat alle verändert.

Die menschliche Schönheit des revolutionären Prozesses und seine Zerbrechlichkeit, das Süße und das Bittere, beides lag in Khartum eng beieinander, enger und insgesamt anders als ich es gedacht hatte aus der Ferne, wenn das Netz uns in der Illusion wiegt, Anteil zu nehmen an großen Umbrüchen. Überall in Khartum wurde geredet, debattiert, auf den rostigen Drahthockern der kleinen Teashops wie auf dem Campus, wo Grüppchen noch im Dunkeln zwischen kolonialen Backsteingebäuden und umherhuschenden Affen saßen.

In den Wohnvierteln ist das Misstrauen gewichen, das in der Diktatur die Nachbarn voneinander trennte. Die junge Generation genießt das Gefühl, sich den Respekt der sonst nörgelnden Älteren verschafft zu haben, und auf Wandgemälden hat kämpferischer Optimismus sogar den Südsudan mit Brettern und Nägeln wieder dem Norden verbunden.

Drei Jahrzehnte Verachtung für die eigenen Bürger

Der junge Mann, der mich an manchen Tagen durch die Stadt fuhr, trug die Nationalflagge griffbereit im Handschuhfach, um sie sich bei auftretenden Anlässen umzuwerfen. Seinen Job als Ingenieur hatte er weggeworfen, weil das Gehalt so lächerlich gering war, dass es gerade die Kosten des Transports zur Arbeit nebst einem Frühstück deckte. An der massenhaften Prekarität hat Bashirs Sturz kein Deut geändert.

Unsere modische Begeisterung für Revolutionen zieht um ferne Ereignisse oft einen arg engen Rahmen

Die Straßen der Hauptstadt sind übersät mit Schlaglöchern, dass man sich die Zustände in entlegeneren Provinzen gar nicht erst vorstellen mag. Drei Jahrzehnte Verachtung für die eigenen Bürger manifestieren sich, so stillstehend wie die Rolltreppe in einem Einkaufszentrum, über deren verdreckte hohe Stufen sich die Frauen hinauf- und hinabquälten, als hätte diese Treppe nie eine Bewegung gezeigt und würde es auch niemals tun.

Die summende Kommunikation, die revolutionäre Beweglichkeit in den Beziehungen stand in einem kaum fassbaren Kontrast zum bleiernen Stillstand des Materiellen. Zwischen beidem, wie eine wackelige Brücke, eine Kampagne der Zivilgesellschaft, die sich Hanabnihu nennt, wörtlich: Wir werden es aufbauen, das Land!

Yes, we can. Revolutionäre Brigaden streichen die Flure heruntergekommener Schulen und Kindergärten, mobilisieren Ärzte und Lehrer als Freiwillige für Communitys, denen es an allem mangelt.

Putschgefahr lag in der Luft

Doch im Stadtzentrum lagen nach dem frühen Einbruch der Dunkelheit ganze Straßenzüge wie ausgestorben. Kleine Restaurants oder Imbisse zu unterhalten ist sinnlos, wenn niemand Geld in der Tasche hat. Und die Kräfte des alten Regimes sind allgegenwärtig. In Khartum muss niemand Politikwissenschaft studiert haben, um zu wissen, was tiefer Staat bedeutet. Benzin wurde zurückgehalten, um den ohnehin überlasteten Nahverkehr in eine Krise zu stürzen und so die Übergangsregierung zu diskreditieren.

Eines Nachmittags hasteten die Menschen auffällig früh zu den überfüllten Bussen; Schusswechsel war zu hören, Putschgefahr lag in der Luft. Eine Erhebung des Geheimdienstes der Bashir-Zeit; die Nacht hindurch waren schwere Waffen zu hören, dann galt die Rebellion als niedergeschlagen. Einige Beherzte hatten sich voller Zorn sogar mit bloßen Händen auf bewaffnete Provokateure gestürzt.

Aus der Ferne betrachtet tat sich mit der sudanesischen Revolution ein völlig neues Bild einer Gesellschaft auf, die als konservativ, verschlossen, vormodern gegolten hatte. Vor Ort wird man sich hingegen sofort der historischen Schichtungen bewusst. Der Sudan hat in die wenigen Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit von 1956 einiges an Umstürzen und Diktaturen hineingepresst – wenn ein Stadtteil heute Ath-Thaura heißt, ist damit nicht etwa die jüngste Revolution, sondern eine frühere gemeint.

Sogar Kinder kennen die gereimten Slogans, die aus vergangenen Erhebungen in die Gegenwart hineinranken, und selbst die maßgebliche Beteiligung der Frauen am Sturz von al-Bashir stand auf den Schultern früherer Generationen: Die Sudanesinnen führten bereits seit den 1940er Jahren bemerkenswerte Kämpfe um Gleichberechtigung.

Unvorstellbar lang muss der revolutionäre Atem sein

Unsere modische Begeisterung für Revolutionen und deren Ikonen zieht um ferne Ereignisse oft einen arg engen Rahmen, damit sie sich in unsere Begrifflichkeit fügen. Doch auch das flotte Etikett „arab rebellion“ mag auf den Sudan nicht recht passen. Wer Arabisch spricht, muss kein Araber sein, das war das Erste, was ich in Khartum lernte. In den Teerunden wurde über das Bekenntnis zum Afrikaner-Sein gesprochen, über die Diversität des Sudan und seine Identitätskrise.

Manche, die den Umsturz mit ins Werk setzten, verlassen das Land; dafür bedarf es nun keiner Genehmigung mehr. Einige Institutionen verlieren ihre besten Kräfte. Unvorstellbar lang muss der revolutionäre Atem sein, bis sich das Leben auf eine Weise verbessert haben wird, die mehr umfasst als die Freiheit der Meinung und die freie Wahl weiblicher Bekleidung.

Womöglich wird das Leben erst mal noch schlechter. Subventionen sollen gekürzt werden, um die Staatsverschuldung abzubauen; darauf werden Massenproteste die Antwort sein. Mehr Bitteres als Süßes steht in Aussicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!