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Ein Jahr GelbwestenParty ohne den Präsidenten

Romy Straßenburg
Kommentar von Romy Straßenburg

Emmanuel Macron bekommt nur noch Applaus von rechts und die Franzosen entdecken eine neue Solidarität. Wie der Protest das Land verändert hat.

In Marseille am Jahrestag der Gelbwesten-Proteste Foto: Daniel Cole/ap

Z u der Fete am Samstag voriger Woche war der kleine „Manu“ nicht eingeladen. Böse Zungen behaupten, die anderen Kinder mochten ihn noch nie, weil er immer stänkert und haut. Dabei feierten doch gleich viele Tausend Männer und Frauen ihren ersten Geburtstag. Sie, die wild gewordenen Bürger in den gelben Westen. Am 17. November 2018 gingen sie zum ersten Mal auf die Straßen. 300.000 Demonstranten. Sie blockierten Kreisverkehre und Mautstellen.

Zugegeben, wahrscheinlich wäre Manu, auch bekannt als Emmanuel Macron, seines Zeichens französischer Präsident, wohl gar nicht zum Feiern zumute gewesen. Denn was als Protest gegen die von der Regierung geplante Erhöhung der Kraftstoffsteuer begann, wuchs zur größten Revolte in Frankreichs jüngerer Geschichte heran und Jupiter – so Macrons Spitzname – stürzte von einem Protestsamstag zum nächsten Stück für Stück vom Himmel der Popularität.

Die Gelbwesten, das ist jener unerwartete Aufstand, der eine Bevölkerungsgruppe sichtbar werden ließ, die seit Langem aus dem Blickwinkel der Politik und der Medien verschwunden war. Menschen, die trotz Berufstätigkeit Probleme haben, über die Runden zu kommen. KrankenpflegerInnen, KleinstunternehmerInnen, HandwerkerInnen, kurz:

All jene, die weitab von urbanen Zentren unter dem immer stärkeren Rückzug des Staates zu leiden haben, sei es beim öffentlichen Nahverkehr, bei der medizinischen Versorgung oder beim Bildungsangebot. Es ist ein Aufstand, der sich von keiner politischen Partei vereinnahmen lässt, der mit seinen gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei weltweit Aufsehen erregte, und der die Frage aufwarf, inwieweit die Einsatzkräfte noch Schutz oder schon Bedrohung für die Bürger sind.

Die Autorin

war bis 2017 Chefredak­teurin der deutschen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ unter dem Pseudonym Minka Schneider. Im Februar erschien ihr Buch „Adieu liberté – Wie mein Frankreich verschwand“.

Es ist ein Aufstand, der ebenso zeigte, dass der neoliberale Kurs des Präsidenten, der ihn so gerne als unausweichlich, als alternativlos preist, in einem rebellionserprobten Land wie Frankreich nicht einfach durchzupeitschen ist. Und schließlich ist es ein Aufstand, der andere Regierungen, wie die deutsche, in regelrechte Panik versetzte: „Mon Dieu, das bloß nicht bei uns!“ Frankreich gilt für die einen als reformresistent, als ein Land voll widerspenstiger Gallier.

Panik bei anderen Regierungen

Für die anderen aber steht es als Vorbild für Widerstand von unten. Die Gelbwesten stehen einmal mehr dafür, dass auch nach einer Wahl eine Regierung nicht jede Flexibilisierungsmaßnahme, Privatisierung oder jeden Abbau von Arbeitnehmerrechten, durchsetzen kann. Jupiters Landsleute sind nicht bereit, ihm auf dem Fuß zu folgen, schon gar nicht, wenn das Ziel Deutschland, mehr noch „deutsches Modell“ mit Harz IV und Minijobs heißt.

Dass Macron mal Mitglied der Parti socialiste war, liest sich eher als Witz, anstatt als nachvollziehbare Prägung seiner politischen Linie, denn schließlich loben ihn Konservative wie Alain Juppé als „der rechte Präsident, mit dem wir gar nicht gerechnet haben!“. Heute sind seine einstigen politischen Konkurrenten von rechts die größten Anhänger seiner Politik.

Denn abgesehen von einigen tatsächlich progressiven Anliegen wie das Gesetz zur künstlichen Befruchtung oder die Frauenrechte, macht Macron eine Politik, die nur noch rechts von der Mitte bejubelt wird. Dass die Linke davon politisch nicht mehr profitierten kann, liegt neben ihrer eigenen inneren Spaltung auch daran, dass die Gelbwesten sich bis heute dagegen wehren, von politischer Seite vereinnahmt zu werden.

Rassistische Beschimpfungen, Plünderungen und fliegende Pflastersteine werden in Erinnerung bleiben

Und das obschon sich viele linke Intellektuelle, darunter Didier Eribon, Edouard Louis oder Juan Branco mit der Bewegung solidarisch zeigen. Doch was die Gelbwesten einst so attraktiv und gleichsam unvorhersehbar machte – das Fehlen einer politischen Linie und eine Führungsfigur, die möglicherweise mit der Regierung hätte verhandeln müssen –, stellte sich im Laufe der Zeit auch als Bremse heraus. Denn demokratische Prozesse, das Schaffen von Strukturen, die Beschaffung von finanziellen Mitteln, all das kostet Zeit.

Macron wiederum nutzte die Zeit, um Anfang des Jahres mit einer politischen PR-Tournee von Stadt zu Stadt zu ziehen. Der große Rückhalt in der Bevölkerung nahm trotzdem ab. Gleichzeitig wurden traditionelle und neue Formen des Widerstands, wie die der Gewerkschaften oder der Klimabewegung sichtbarer. In Frankreich hat sich gezeigt, wie sehr Menschen in ihrer Wut gegenüber der Politik zueinanderfinden können.

Macron wird nur noch von rechts bejubelt

Viele, die sich allein glaubten, entdeckten, dass sie gebraucht werden, und sei es nur, um Transparente zu bemalen, Croissants zu holen oder Kaffee zu kochen. Diese neue Form der Solidarität ist das Geschenk, das die Gelbwesten der Gesellschaft gemacht haben. Auch wenn unschöne Szenen in Erinnerung bleiben werden, wie rassistische Beschimpfungen über Plünderungen und fliegende Pflastersteine.

Was wir bei unseren Nachbarn beobachten können, ist nicht mehr und nicht weniger als die Wiederbelebung der sozialen Frage. Einer Frage, mit der man in Zeiten des Hyperkapitalismus fast schon als anachronistisch oder als Kommunist gilt. Aber wer sagt eigentlich, die Zeiten des Klassenkampfes seien vorbei? Wenn Macron seine Landsleute – oder nennen wir sie spaßeshalber Mitschüler – wie ein arroganter Streber aus der ersten Reihe behandelt, dann werden sie ihn auch nicht zur nächsten Party einladen.

Am 5. Dezember soll es einen gemeinsam von Gelbwesten und Gewerkschaften organisierten Generalstreik gegen die Rentenreform geben. Unbefristet. Wird sich ihr Präsident in der doch so besinnlichen Vorweihnachtszeit an das Gebot der Nächstenliebe halten, vielleicht gar nach Versöhnung mit seinen widerspenstigen, reformüberdrüssigen Landsleuten streben? Es wäre ihm zu raten. Dann könnte er wenigstens zum Weihnachtsfest das Gefühl haben, sie hätten ihn, ihren „Manu“, doch noch ein bisschen lieb.

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Romy Straßenburg
1983 in Berlin geboren. Berichtet seit über zehn Jahren als Freie Journalistin für Print und Fernsehen aus Frankreich.
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11 Kommentare

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  • Wäre die Leidensfähigkeit der Deutschen nicht so unendlich, dann könnte sich auch hier der Widerstand gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik formieren.



    Aber weit gefehlt, schon der Versuch der Sarah Wagenknecht, die linke Gruppierung „Aufstehen“ zu formieren zeigt, dass man heute schon gegen das Vergessenwerden zu kämpfen hat.



    Aber solange der „Deutsche Michel“ die Bierflasche in der linken Hand und die Fernbedienung in der rechten hat, ist für ihn die „Bild-Welt“ in Ordnung. Da er meint, er könne ja eh nichts ändern, steht er auch gar nicht erst auf, um es zu versuchen

  • die ersten proteste gingen um spritpreise.is ja schrecklich mussten sie doch 10euro mehr bezahlen im monat für die stinker obwohl fahrrad und öffis billiger sind ganz zu schweigen von einem kleinen französischen e-auto das beim laden an der steckdose 4euro auf 100km braucht.ansonsten gibts jede menge berechtigten protest aber diese autofahrer ohne hirn nerven

    • @prius:

      Wieso "Stinker" offensichtlich haben viele von Ihnen nicht richt recherchiert, sonst würden Sie die 750 Millionen Autos weltweit, mit gerade einmal 1% Anteil, nicht so bezeichnen. Dagegen könnte man zum Beispiel die Größten Co2 Stinker an den Pranger stellen, wie zum Beispiel die Bauindustrie mit über 50% Anteil, oder die Industrielle Landwirtschaft, oder die Textilindustrie oder die ca. 90 000 Frachtschiffe weltweit, wo allleine die 15 Größten Frachtschiffe die Umwelt mehr verschmutzen als alle 750 Mio. Autos weltweit zusammen. Ganz zu schweigen von militärischen Komplex, der ist so gigantisch, alleine der von den USA, die verbrauchen täglich 50 Millionen Liter jeden einzelnen Tag?

      Warum wird darüber nicht berichtet? Statt sich auf die zu stürzen den den geringsten Anteil haben, wie die 750 Mio. Autos weltweit, oder der weltweite Flugverkehr. Aber warscheinlich geht es auch nicht darum wer die Luft am meisten verpestet, man will die Industrien schützen, und nicht das Klima. Sonst würde man bei den Größten anfangen, dass aber weiß doch jedes Kind?

  • Das Foto macht nachdenklich über Einiges: Eine Demonstrantin, offensichtlich nicht aggressiv aufgestellt, drei Polizisten und als Schatten mindestens drei Fotografen, die die „Breaking News“-Szene aufnehmen.

    Die öffentliche Wahrnehmung wird ganz nett fehlgesteuert...

  • Aus meiner Sicht erweisen sich lediglich die s.g. Schönen und Reichen, Vermögende, als unreformierbar und persönlich reformunwillig.

  • Wenn "Wut gegenüber der Politik" angebracht ist, scheint der berühmte Vorrang der Politik dazu zu führen, daß Politik aktive Intentionen verfolgt die es erlauben, Probleme und Nachteile gezielt unters Volk zu bringen. Wenn Probleme und Nachteile keine Stimme bekommen, im Rechtsystem ausgeschlossen bleiben, landet man nicht in der Demokratie, sondern in einer Diktatur enthemmt feudalisierter bürgerlicher Zugriffsnaturen. Ich würde die Proteste ausweiten.

  • Befürchte, Macron wird das letztlich alles bequem und erfolgreich aussitzen können. Aber wer weiß.

  • Nirgendwo wurden die Gelbwesten so verteufelt wie einerseits durch die französischen Konservativen und andererseits durch die deutschen Wohlstandsbürger, die schon lange von der sozialen Frage nichts mehr wissen wollen. Was haben die Grünen in DE diesen Macron anfangs vergöttert. Mehr Zustimmung zum Neoliberalismus geht nicht.

    • @Rolf B.:

      " Mehr Zustimmung zum Neoliberalismus geht nicht"

      zur zeit sieht es in den umfragen so aus als ob es in der brd eine schwarz-grüne koalition geben könnte.kommt es dazu dann werden die grünen von den neoliberalen unionsparteien noch weiter und noch gründlicher durchneoliberalisiert als sie es mit ihren bekentnissen zu einer "sozialen und ökologschen Marktwirtschaft "die bekanntlich ein ding der unmöglichkeit ist, jetzt schon sind.



      die linke die im hinblick auf die vereinbarkeit von klimaschutz und kapitalismus klartext redet könnte davon profitieren.



      für die vollendung des ruins der spd wäre es nützlich wenn dem schulz-effekt ein scholz-effekt folgt.



      denn auch vom ruin der spd kann die linke profitieren.

  • ein kleiner aber schöner Tippfehler versteckt sich in diesem Text:

    Die Geldwesten....

    Schön deshalb, weil man es so auf einen Punkt bringen kann:

    Gelbwesten gegen Geldwesten :-)

    • Paula , Moderatorin
      @Friderike Graebert:

      Huch, danke für den Hinweis.