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EU legt Migrationspakt vorEin nahezu teuflisches Konstrukt

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Der von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgelegte Migrationspakt ist eine Aneinanderreihung von Leerstellen. Fortschritte fehlen.

Daran ändert der Plan nichts: Rettungsaktion der NGO Open Arms im Mittelmeer im September Foto: Santi Palacios/ap

U rsula von der Leyen hat es auch nicht geschafft. Woran ihr Vorgänger, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, und alle EU-Ratspräsidentschaften der vergangenen Jahre gescheitert sind, dafür hat auch von der Leyen am Mittwoch keine Lösung präsentiert. „Das derzeitige System funktioniert nicht mehr. Und in den letzten fünf Jahren war die EU nicht in der Lage, es zu reparieren“, schreibt die Kommission. Das stimmt genau. Und dabei bleibt es auch.

Denn von der Leyens Migrationspakt ist eine Aneinanderreihung von Leerstellen. Sie betont die Verpflichtung zur Seenotrettung – doch von einer europäischen Seenotrettungsmission ist keine Rede. Sie bekennt sich zur Notwendigkeit „sicherer Wege“ – an ein Ende der brutalen Indienstnahme der libyschen Küstenwache zur Flüchtlingsabwehr ist nicht gedacht. Horst Seehofers Idee, Asylanträge zunächst per Schnellverfahren in Lagern an den Außengrenzen prüfen zu lassen, soll umgesetzt werden. Wie die Rechte der Geflüchteten dabei gewahrt werden sollen, ist unklar.

Flüchtlinge kommen heute im Wesentlichen über vier Staaten in die EU: Griechenland, Italien, Malta und Zypern. Bisher sind diese allein für sie zuständig. Deshalb tun sie fast alles, damit weniger Menschen bei ihnen ankommen. Das ist einer der wichtigsten Gründe für das Sterben auf dem Mittelmeer und das Elend in Lagern von Lesbos oder Libyen. Gleichzeitig lehnen Staaten wie Ungarn, Polen, die Slowakei, Tschechien und Österreich verbindliche Umverteilungsquoten, die die Länder an den Außengrenzen entlasten würden, strikt ab.

Die Kommission verzichtet in dem Pakt darauf, diese Weigerung zu brechen. Stattdessen sollen die Staaten, die keine Flüchtlinge von den Außengrenzen aufnehmen wollen, „Abschiebe-Patenschaften“ übernehmen. Dabei handelt es sich um ein nachgerade teuflisches Konstrukt: Um zu ermitteln, wer wie viele der Ankommenden aufnehmen müsste, soll ein Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt werden. Jedes Land, das seine Quote dabei nicht über Aufnahme erreicht, muss ersatzweise eine entsprechende Anzahl abschieben, und zwar innerhalb von acht Monaten. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie dabei künftig mit den Menschen umgesprungen werden wird.

Hinzu kommt: Es lassen sich aus verschiedenen Gründen längst nicht alle abschieben, die kein Asyl bekommen. Was geschieht mit dem Rest? Dazu steht im Kommissionspapier nichts. Vermutlich müssen sie lange in Lagern ausharren, um am Ende doch in Italien oder Griechenland zu bleiben.

Der EU ist es im Jahr 2016 nicht gut bekommen, Länder wie Ungarn zu zwingen, Flüchtlinge zu nehmen, die sie partout nicht wollen. Trotzdem gibt es einen Hebel gegen den andauernden Boykott von Humanität durch die Populisten, und der heißt Geld. Verweigerung muss wehtun. Mit dieser Haltung müsste die Kommission wenigstens in die Ratsverhandlungen eintreten. Im Pakt findet sich auch davon: nichts.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • […]Jedes Land, das seine Quote dabei nicht über Aufnahme erreicht, muss ersatzweise eine entsprechende Anzahl abschieben[…]

    Das versteh’ ich nicht so ganz. Wenn jemand nicht genug aufnimmt, darf er sogar noch welche abschieben? Das ist doch genau das, was die „unwilligen“ Länder wollen: (noch) weniger Flüchtlinge im eigenen Land.



    Wär’ nett, wenn mir das jemand kurz erläutern würde, ich hab’ da bestimmt ’nen Denkfehler drin. 😇

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @taz-kommentierer:

      Da geht es um Menschen ohne positiven Asylbescheid, die muss man abschieben oder übernehmen.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Ich als Land soll eine Quote von 1000 Flüchtlingen aufnehmen, nehme aber nur 500. Jetzt darf ich extra noch 500 abschieben?

  • Von der Leyens EU Migrationspakt versetzt Zivilgesellschaften im Schleudergang in dRoman von Robert Menassè „Die Hauptstadt“ 2017 mit umgekehrtem Vorzeichen. Im Roman hält 1. EU Kommissionspräsident Walter Hallstein CDU Antrittsrede 1958 fiktiv in Auschwitz mit Appell „Nie wieder Auschwitz, Nie wieder Krieg. Nie wieder Kollaboration europäischer Staaten, Zivilgesellschaften mit singulären Menschheitsverbrechen vom Ausmaß des Holocaust!“, um damit romanhaft Gründungsmythos der EU zu konstituieren.



    Mit EU Migrationspakt schimmern administrativ jene Kollaborationsstrukturen während 2. Weltkrieges als Kern Holocaust 1941-45 in Europa mit seinen willigen Vollstreckern durch geschliffener Sprachregelung nach der Wannsee Konferenz 12.1.1942 zur „Endlösung der Judenfrage“ unter SS Reinhard Heydrich, damals „Judenreferent“ heute „Abschiebepate“, selbstverständlich nicht in neuen Holocaust, sondern als administrative Geleitzug Struktur EU Außenpolitik aus einem Guss von Arbeitsmarkt-, Entwicklungs-, Finanz-, Gesundheits-, Industrie-, Klima-, Kultur-, Migrations-, Ressourcen-, Währungspolitik unter Führung Frankreichs, Deutschlands nach Bekräftigung Elysee Vertrages 1963 durch französisch-deutsch Aachener Vertrag 01/2019 mit Militärkomponente, in Afrika tradierte Migrationswege mit EU Finanzmitteln durch Grenzregime auszubremsen, Risiko Auslösens von Strömen Geflüchteter über unbekannte Routen dabei durch militärische Interventionspolitik in Mali, Niger, Sahelzone, jenen 14 CFA Währungszone Ländern, die seit 1945 postkolonial an franz. Franc seit 1998 an € gekoppelt sind, auf alle EU Länder zu verteilen.



    Da Visageländer Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Österreich, Polen, Tschechien, Slowakei mit Blick auf EU Subventionen zu feige sind, sich prekären Führung Deutschlands, Frankreichs, Niederlande, Belgiens ohne Exit Konzept zu widersetzen, nur maulen, könnte es zu diesem Pakt kommen, mit Geschmäckle Korruption, Zinswucher dadurch abzuschaffen, diese zu legalisieren

  • Ich sach' ja: EU sollte direkt mit den Kommunen verhandeln.

    Das sind die, die die Integrationsleistung letzlich aufbringen. Die die Kosten, aber auch später die Bereicherung haben.

    Ein zentraler Topf in der EU, einheitliche Sätze und Anforderungen (Teilhabe, Sprache, Kultur, Unterbringung etc.) -- und die Kommunen können sich EU-weit um Zuteilung von Migrant*innen bewerben.

    Die Innenminister*innen können dann mit ihrer Modelleisenbahn spielen, statt auf populistischer Grütze zu surfen.

    Praktische Probleme praktisch lösen.

  • Verstehe ich das richtig: wenn EU-Staaten partout keine Schutzsuchenden aufnehmen wollen, dann müssen sie stattdessen binnen 8 Monaten (von welchem Zeitraum an gerechnet?) genau so viele Schutzsuchende abschieben, wie sie nach diesem quasi EU-weiten "Königsteiner Schlüssel" eigentlich aufnehmen sollten?



    Das ist wirklich perfide...

  • "Ein nahezu teuflisches Konstrukt"

    NEIN, schon bie dieser Überschrift habe ich aufgehört weiterzulesen.

    • @lulu schlawiner:

      warum-?strukturen die systematisch die inhumanität fördern verdienen es teuflische konstrukte genannt zu werden.



      die politik und das politikversagen der eu haben das mittelmeer zu einem massengrab gemacht

      einwanderer*innen und flüchtlinge werden unmenschlich behandelt nur damit nicht noch mehr kommen

      die eu arbeitet bei der abwehr unschuldiger friedlicher menschen-die im reichen europa nur darum unerwünscht sind weil sie arm sind -mit milizen zusammen die schwere menschenrechtsverletzungen begehen

      wenn das nicht teuflisch ist-was ist dann teuflisch?