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EU einig über AsylrechtLänger Knast, weniger Verteilung

Die EU will ihr Asylsystem umfassend erneuern. Nach langen Verhandlungen ist nun klar: sie bedeuten Einschränkungen.

Seenotrettungsorganisationen kritisieren: die EU missachte „des Leids an den europäischen Grenzen“ Foto: sea-watch via reuters

Berlin taz | Die EU hat sich auf eine umfassende Reform ihres Asylsystems geeinigt. Am frühen Mittwochmorgen endete die am Montag gestartete letzte Runde der Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat. Damit kann im neuen Jahr, vor Ende der laufenden Legislaturperiode, die insgesamt zehn Gesetze umfassende Erneuerung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen werden.

Die Reform sieht weitreichende Einschränkungen des Asylrechts vor. Kern sind unter anderem Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen für Teile der dort ankommenden Schutzsuchenden. Diese dürften in neu zu errichtenden geschlossenen Lagern mit zehntausenden Plätzen durchgeführt werden. Wer abgelehnt wird, soll direkt aus diesen Lagern abgeschoben werden können. Ankommende sollen für die Dauer des Aufenthalts in den Lagern als „nicht eingereist“ gelten.

Wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat eingereist ist, soll ohne Asylverfahren in diesen zurückgeschoben werden können.

Die deutsche Ampel-Regierung hatte auf Drängen der Grünen ursprünglich versucht, Minderjährige von den Schnellverfahren und der damit verbundenen Internierung auszunehmen. Deutschland stimmte am Ende aber den Beschlüssen zu, obwohl Minderjährige nun nicht ausgenommen sind.

Kein verbindlicher Verteilmechanismus

Die sogenannte Krisenverordnung regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren dürfen. Ankommende dürfen unter anderem länger an den Grenzen interniert werden. Deutschland hatte auch das aufgrund humanitärer Bedenken lange abgelehnt, trägt es nun aber mit.

An dem Grundsatz, dass der EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser angekommen ist (Dublin-Regeln), ändert die Reform nichts.

Einen verbindlichen Verteilmechanismus, wie ihn die Länder Südeuropas lange gefordert hatten, wird es nicht geben. Innereuropäische Umverteilung bleibt freiwillig. Stattdessen können die Mitgliedstaaten über einen sogenannten „Solidaritätsmechanismus“ Grenzschutz-Infrastruktur in Drittstaaten oder innerhalb der EU bezahlen.

Geschwister sollen der Neuregelung zufolge nicht als Familie gelten. Asylsuchende, die einen Bruder oder eine Schwester in einem anderen Mitgliedstaat haben, als dem, in dem sie ankommen, kann so die Zusammenführung verweigert werden.

Die Neuregelung bedeute „Stacheldraht und Leben in isolierten Haftzentren, Machtlosigkeit gegenüber behördlichen Entscheidungen und Rückführungen in Länder wie die Türkei, in denen sie keine Existenzgrundlage haben, und das ohne, dass ihre Fluchtgründe je angehört wurden, in der EU“, sagte Sophia Eckert von terre des hommes. Die Reform sei „ein Ausverkauf der Menschlichkeit und ein Ausverkauf der Menschenrechte, vor allem von Kindern.“

Die Linke EU-Abgeordnete Cornelia Ernst sprach von einem „historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten in Europa“. Das Parlament habe sich in den Verhandlungen gegenüber der spanischen Ratspräsidentschaft nicht durchsetzen können und sei „Fußabtreter der Mitgliedstaaten geworden.“

Die Einigung, die sich maßgeblich an den Vorstellungen der Innenminister orientiere, legalisiere die jahrelangen Rechtsbrüche im EU-Asylrecht durch die Mitgliedstaaten, so Ernst. Die Aufnahme der sogenannten „Instrumentalisierung“ von Migration in die Krisenverordnung sei ein „Blankoscheck für die Aussetzung praktisch aller Rechte Schutzsuchender und ein Freibrief für Pushbacks“, sagte Ernst.

In einer gemeinsamen Stellungnahme von 18 europäischen Seenotrettung-NGOs ist die Rede von „der eklatantesten Missachtung der Menschenrechte und des Leids an den europäischen Grenzen“. Die Reform gieße „den tödlichen Status quo an den europäischen Außengrenzen in Zement.“

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das ist fürchterlich und es wird die Zahl der Menschen, die irregulär in die EU wollen nicht senken. Es wird aber wahrscheinlich auch die Anzahl illegal in EU-Staaten lebender Menschen erhöhen, weil die Verfahren chancenlos und zäh werden.

    Ich vermute auch, dass bestimmte Gruppen unvermindert weiter in die EU wollen, zum Beispiel Kurden. Die Frage wird auch sein, was dann Deutschland machen will, wenn eine mehrköpfige Familie mit einer schwangeren Mutter sich einfach in einer deutschen Stadt meldet und sagt, wir sind hier. Kann man die dann einfach wieder zurück schicken? Kann man eine schwangere Frau wieder an eine Außengrenze bringen?

    Insgesamt setzt die EU jetzt auf Härte, Abschreckung und will der Migration sozusagen die Anreize nehmen.

    Im Kern muss die Zahl der irregulär eingereisten Menschen, die ein Asylgesuch vorbringen, sinken. Nur darum geht es, dafür schmeißt man Humanität, Teilhabe und Ausgewogenheit einfach in den Müll. Und dann kann es sehr gut sein, dass diese Regelungen nicht greiffen, weil Schleuser ihr Geschäftsmodell verändern, bzw. optimieren, weil Menschen sich dann entziehen und andere Wege nutzen.

    Es gibt und gab in Pakistan durchaus Afghanen, denen Deutschland die Aufnahme versprochen hat oder in Aussicht gestellt hat, bisher sind ziemlich wenige davon wirklich geholt worden. Das zeigt m.M. wie das in Zukunft ablaufen könnte, es geht eigentlich darum, die Migration abzuwürgen und zu minimieren. Und dafür werden hohe Rechtsnormen verbogen und Tricksereien bemüht.

    • @Andreas_2020:

      Es geht in der Tat darum, die Migration Richtung EU weitgehend zu begrenzen. Solange dabei das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention im Kern nicht angetastet werden, werden dadurch allerdings keine hohen Rechtsnormen verbogen.

      Ich persönlich halte Asylverfahren in Drittstaaten für ziemlich grenzwertig, aber das ändert nicht grundsätzlich etwas daran, dass man Menschen, die ihr Schutzbedürfnis (es geht dabei eben nicht um sonstige soziale Bedürfnisse oder andere Interessen) nicht nachweisen können, auch abweisen darf. Es gibt kein Recht auf Teilhabe am Leben im Land der Wahl. Das gilt auch für Schweizer, die sich gern in Australien niederlassen wollen. Einen Flucht- oder Asylgrund haben sie mit Sicherheit nicht, und wenn Australien sie nicht haben will, dann können sie sich dort allenfalls als Touristen mal umsehen.

      Humanität endet spätestens dann, wenn Menschen sich von den Erwartungen an sie überfordert fühlen. Dann ist es nicht unbedingt falsch, das (noch) vorhandene Potential auf jene zu konzentrieren, die es ganz besonders nötig haben.

    • @Andreas_2020:

      Für Kurden wird die Türkei kaum als sicherer Drittstaat gelten können - für viele andere aber schon.

  • Das die Verteilung in Europa gerecht geregelt wird halte ich für „Science Fiction“