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EU-Verbot von MikroplastikEuropas Öko-Selbstbetrug

Heike Holdinghausen
Kommentar von Heike Holdinghausen

Die EU will Mikroplastik verbieten. Aber das löst nur einen Teil des Problems – das Gift wird es weiter geben.

Mikroplastik reichert sich in der Umwelt an und gelangt in die Nahrungskette Foto: Stefan Sauer/picture alliance

D as Vorsorgeprinzip ist eines der Grundfesten europäischer Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik. Es gehört zum Selbstverständnis der EU und gilt Kritikern als wichtiges Argument gegen Freihandelsabkommen mit den USA. Doch der Umgang mit Mikroplastik zeigt, dass das auf einem Selbstbetrug fußt.

Mikroplastik wird entweder extra erzeugt, etwa für Granulat auf Sportplätzen. Oder es entsteht unbeabsichtigt etwa als Reifenabrieb oder beim Waschen von kunststoffhaltigen Textilien. Wenn die EU nun im Laufe der nächsten acht Jahre den Verkauf extra hergestellter Mini-Partikel verbietet, dann reagiert sie mit der ihr eigenen Bombastik – „Wir verbieten den Schmutz, bäm!“ – auf ein Problem, vor dem Wissenschaftler, Umwelt- und Ärzteverbände schon lange warnen.

Mikroplastik reichert sich in der Umwelt an und gelangt in die Nahrungskette. Im menschlichen Körper kann es Entzündungen verursachen. Meerestiere verhungern mit vollem Bauch, weil sie ihn mit Mikroplastik gefüllt haben. Hätte das europäische Vorsorgeprinzip gegriffen, hätten die kleinen Partikel nie massenhaft hergestellt, verkauft und in der Umwelt verteilt werden dürfen, genauso wie all die anderen Stoffe, vor denen die Umweltverbände und Ärzte warnen. Abgesehen davon, dass das Problem der unbeabsichtigt in die Umwelt gelangenden Partikel mit dem Verbot nicht mal angegangen wird.

In Deutschland könnte die Bundesregierung nicht deutlicher machen, wie unwichtig ihr das ist: Während in Bonn auf der UN-Chemikalienkonferenz die Umweltministerin Weltverbesserungsreden halten darf, regelt der Kanzler in Berlin das Wichtige mit der Chemie­lobby auf einem Gipfel. Dass es ihm darum gehen könnte, wie diese aus der Produktion schädlicher Stoffe aussteigt, erscheint fast lächerlich. Selbstverständlich geht es darum, wie die Energieversorgung der Unternehmen günstiger gestaltet werden kann. Solange Chemikalienpolitik aber bedeutet, stets nur die schlimmsten Folgen der größten Bedrohungen einzudämmen, ist Europas Vorsorgeprinzip nicht mehr als eine gute Idee.

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Heike Holdinghausen
Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
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12 Kommentare

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  • Echte Veränderung kann nur aus d. Basis kommen und die Experten sollen endlich ihre Elfenbeintürme verlassen.

  • Es mag vielleicht etwas spät sein für derartige Gesetze, jedoch ist jede Maßnahme gegen Umweltverschmutzung etc. ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn es wirklich zum Verzweifeln ist, dass die Politik erst jetzt, Jahrzehnte nach den ersten Warnungen etwas gegen dieses Problem unternimmt, ist es doch wichtig, dass etwas passiert. Von Selbstbetrug würde ich da aber nicht sprechen.

  • Nun, nachdem alle Hersteller ohnehin auf Mikroplastik in Produkten verzichten, weil sich "Öko" viel besser verkauft, darf es natürlich auch ein Gesetz dagegen geben.

    Es wird sicher noch mit vielen anderen Dingen so sein, dass die gesetzlichen Verbote erst kommen, wenn die Wirtschaft sich darauf eingestellt hat und/oder Profit aus der Veränderung schlagen kann. Bestes Beispiel aktuell: Glyphosat!

    Die Wirtschaft regiert an oberster Stelle und nicht der Staat oder Europa.

  • Wenn die Forschenden in Deutschland dort gefördert werden, wo sie schon mit guten Ideen international für Aufmerksamkeit gesorgt haben, müssen wir Verbraucher* innen und Eltern oder Großeltern uns auch bald weniger Sorgen machen. Eine Analogie zum "Siegeszug" der mRNA-basierten Techniken wäre denkbar. Nicht jede Biotechnologie mit Mikroorganismen öffnet gleich die Büchse der Pandora. Bei der Bekämpfung von Ölteppichen gab es auch interessante Ideen aus Deutschland.



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    „Wir schlagen vor, ganze Bakteriengemeinschaften im Labor für einen erhöhten Plastikabbau zu züchten. Diesen Prozess kann man sich ganz ähnlich vorstellen wie die Zucht von bestimmten Merkmalen bei Haustier- oder Pflanzenrassen. Bei dieser Methode müssen wir nicht vorher wissen, was wir suchen, sondern sind völlig ergebnisoffen. Die Gefahr, Fähigkeiten zu übersehen, ist deutlich geringer. Denn ein Bakterium, das alleine nichts mit Plastik anfangen kann, trägt in einer komplexen Gemeinschaft vielleicht doch entscheidend zu dessen Abbau bei“, sagt Dr. Deines. Durch die anschließende künstliche Selektion im Labor haben die mikrobiellen Gemeinschaften die Chance, ihre Fähigkeiten zum Plastikabbau im Laufe mehrerer Generationen zu verbessern. „Hier nutzen wir also einen Ansatz aus der Evolutionsbiologie“, ergänzt er."



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    www.geomar.de/news...tark-gegen-plastik



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    "Leipzig. Internationale Wissenschaftlerteams haben die Wirkungsweise von zwei Bakterienarten entschlüsselt, die künftig zur Bekämpfung von Ölkatastrophen eingesetzt werden könnten. Alcanivorax borkumensis wandele Kohlenwasserstoffe in Fettsäuren um und baue diese direkt in die Zellmembran ein, schreiben Wissenschaftler der Helmholtz-Zentren für Umweltforschung und Infektionsforschung im Fachjournal Applied and Environmental Microbiology."



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    www.ufz.de/index.php?de=35343



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    Infos für Verbraucher*innen sind auch oft hilfreich:



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    www.aerzte-gegen-t...en/themen/kosmetik

  • Was für ein unsinniger Kommentar. Weil das Gesetz zu spät kommt und man eigentlich auch noch mehr verbieten müsste, ist das Verbot schlecht weil Selbstbetrug.

    Ich habe immer schon mit Sorge betrachtet, wenn emotionale Argumentationen Rationale schlagen.

    • @wirklich?:

      Nein du hast den Kommentar falsch verstanden: das Gesetzt bringt de Facto so gut wie garnichts und deshalb ist es schlecht. Es gibt Ausnahmen ohne Ende und passive Verursacher von Mikroplastik, wie zum Beispiel der Verkehr (und die sind z.B eine der größten Verursacher von Mikroplastik) werden garnicht in diesem Gesetzt angegangen.....klar ist so ein Gesetz richtig und wichtig aber nicht auf so halbherzige Art und Weise, das ist wieder nur eins, nämlich Greenwashing

  • Mikroplastik, also Partikel kleiner 0,5 mm sind besonders dumm, wenn die Peelings, Shampoos... zugesetzt werden qeeden, weil man bereits vorher weiß, dass die meistem Kläranlagen das gar nicht rausfiltern können und somit klar: Die fließen ins Meer.



    Unser Hauptproblem, und das wird um Artikel leider nicht berücksichtigt ist: Die Mio von t Plastikflaschen, Folien... die stückig ins Meer fließen und durch den Wellengang, UV Versprödung, Wind... zu Mikroplasik zerrieben werden. Denn das sind die Hauptmengen!



    Wie bereits beim Strohhalmverbot von Grün: Löse ein Kleinstproblem.... dann tust du niemand weh... Hauptproblem ignorieren und keine Wähler vergraulen. Es ist zum Davonlaufen!!!

    • @Tom Farmer:

      "keine Wähler vergraulen" — der Strohhalm zeigt doch gerade, das diese Vorstellung falsch ist.

  • Man sollte am besten gleich den Stretch in der Kleidung verbieten, weil durch jeden Waschgang Mikroplasti ausgelöst wird und in unseren Wasserkreislaufs gelangt. Mittlerweile ist das überall drin. Eine Jeans ohne Stretch ist kaum noch zu finden.

  • "Hätte das europäische Vorsorgeprinzip gegriffen, hätten die kleinen Partikel nie massenhaft hergestellt, verkauft und in der Umwelt verteilt werden dürfen"

    Das absichtlich hergestellte Mikroplastik ist nicht das Problem, denn das macht nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtmenge aus.

    Das meiste wird vom (KFZ-)Verkehr und von Kunstfasertextilien erzeugt.

    Die angestrebten 30% Reduzierung sind insofern unmöglich bis 2030 zu erreichen.

    • @Ajuga:

      Wie will man denn die Entstehung von Mikroplastik durch den Verkehr verbieten? Sollen alle Fahrzeuge jetzt auf Luftkissen schweben, damit der Reifenabrieb kein Mikroplastik mehr freisetzen kann?

  • danke!!