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EU-MigrationspolitikDie Wiederkehr der Zurückweisung

Die aktuelle Migrationsdebatte in Deutschland wärmt alte Ideen auf. So lässt sie innereuropäische Konflikte wieder aufleben.

Inspiration für Politiker:innen: Die Initiative „Herz statt Hetze“ verteidigt das Asylrecht Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | Flüchtlinge bei der Einreise direkt wieder abweisen oder abschieben zu können – ohne ein Asylverfahren: Das fordern konservative Innenpolitiker seit Jahren. Auch nach dem jüngsten Gespräch zwischen Bundesregierung, Landesregierungen und CDU/CSU zum Thema Migration beharrten Po­li­ti­ke­r:in­nen der Union erneut darauf: Deutschland müsse Menschen ohne Bleiberecht an den Grenzen zurückweisen dürfen.

Es gebe „keine Rechtsprechung, die dagegen spricht“, behauptete etwa der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Es müsse die „grundlegende Frage“ geklärt werden, „ob sich die Bundesregierung durchringen kann, diesen Beitrag zu einer drastischen Reduktion der Migration nach Deutschland zu schaffen“, sagte Frei. Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz sagte im ZDF, sie habe eine „große Offenheit“, was das Thema Grenzkontrollen und Zurückweisung angeht, bei dem Gespräch verspürt.

Pro Asyl hingegen hatte die direkte Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze am Dienstag als europarechtswidrig eingestuft. Im September 2023 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen „regelmäßig rechtswidrig“ sind. Das Urteil folgte auf eine Klage von Vereinigungen aus Frankreich, unter anderem von Asylrechts-Anwält:innen.

Sie wandten sich gegen eine französische Verordnung aus dem Jahr 2020. Die sah vor, dass französische Behörden Angehörigen von Drittstaaten die Einreise an Grenzen zu anderen EU-Mitgliedsstaaten verweigern können. Der EuGH urteilte damals, dass eine Abschiebungsandrohung mit Frist zur freiwilligen Ausreise einhergehen muss. Die Person dürfe also an der Grenze nicht direkt ins Nachbarland zurückgeschickt werden. Das gelte selbst dann, wenn die Person eine Gefahr darstellt – in dem Fall könne die Person jedoch inhaftiert werden.

Geschlossene Grenzen und Lager

Die Idee, Binnengrenzkontrollen innerhalb der EU wieder einzuführen und irreguläre Mi­gran­t:in­nen zurückzuweisen, ist nicht neu. Bereits 2016 hatten Frankreich die Grenze zu Italien für Flüchtlinge geschlossen, Flüchtlinge, die über den Küstenort Ventimiglia einreisen wollten, wurden nicht durchgelassen. Weil viele in der Folge versuchten, über die Schweiz nach Frankreich und Großbritannien zu gelangen, ging diese bald darauf ebenso dazu über, die Flüchtlinge abzuweisen.

Ungarn hatte ab 2016 auf eine etwa andere Variante gesetzt: Es internierte aus Richtung Serbien ankommende Menschen in Lagern, die „rückwärts“ offen waren: Wer wieder nach Serbien ausreiste, kam frei, alle anderen blieben in Haft. Straßburg hatte diese Praxis allerdings 2017 und 2020 für rechtswidrig erklärt.

Bei „vorgelagerten Grenzkontrollen“ hinderten deutsche Beamte der Bundespolizeiinspektion Freilassing schon am Bahnhof in Salzburg – also auf österreichischem Territorium – Mi­gran­t:in­nen daran, Züge nach Deutschland zu besteigen. Möglich machte dies ein Staatsvertrag aus dem Jahr 2003.

Ab Anfang des Jahres 2016 machte Deutschland vorübergehend Gebrauch davon, das Modell war beschränkt auf den Salzburger Bahnhof. Wer in Deutschland einen Asylantrag stellen könnte, durfte nicht in den Zug und bekam direkt in Salzburg eine „Einreiseverweigerung mit Belehrung“.

Seehofers Transitzentren

Der damalige CSU-Innenminister Horst Seehofer wollte ab 2018 irreguläre Migration durch noch umfassendere Zurückweisung an den deutschen Grenzen eindämmen. Alle, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hatten, sollten nicht einreisen dürfen, sondern bis zur Abschiebung und ohne Asylverfahren in sogenannten Transitzentren festgehalten werden. Seehofer schloss dazu bilaterale Abkommen mit Griechenland und Spanien ab.

Die Vereinbarungen griffen nur bei Asylbewerber:innen, die bei Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen wurden. Für Migrant:innen, die über Griechenland und Spanien in die EU eingereist waren, führte die Route gen Norden aber nur ganz selten durch Österreich. Die Bundespolizei schob deshalb auf Grundlage dieser beiden Abkommen auch seinerzeit nur eine sehr geringe Zahl von Menschen in diese beiden Staaten ab.

Das Haupteinreiseland Italien weigerte sich indes, eine entsprechende Vereinbarung zu unterzeichnen. Deutschland wiederum pochte vor allem deshalb darauf, in dieser Frage weiter Druck zu machen, weil es die damals laufenden Verhandlungen für das Gemeinsame Europäische Asylsystem nicht weiter erschweren wollte.

Insgesamt ist das Thema der Einreiseverweigerung heikel und dürfte auf EU-Ebene zu Verstimmungen führen. Italien etwa ist seit Langem der Auffassung, dass Deutschland und andere Länder ihm zu wenige Flüchtlinge abnehmen. Sie weigern sich seit Jahren, Personen zurückzunehmen, die es auf Grundlage der Dublin-Regelung nehmen müsste. Zurückweisungen an Grenzen dürften eine Kettenreaktion auslösen, die das politische Klima in der Migra­tionsfrage noch weiter aufheizt.

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11 Kommentare

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  • @BOMMEL

    Interessensvertretung der Kommunen vs. der Kommunen selbst. Finde den Unterschied.

    Trotzdem -- die Kommunen könnten sicher mehr Geld zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebrauchen (nicht nur für Integration!).

    @JANIX

    Danke für den Buchtipp :-)

  • 'Die Hungrigen und die Satten' von Timur Vermes für ein klug durchdekliniertes Szenario. Wollen/können wir die DDR-Mauer andersherum durchziehen?

  • @KRIEBS

    Hier eine ältere Studie aus der UK [1], die aufzeigt, wie die öffentliche Wahrnehmung den Asylanteil an der Gesamtmigration bei 35% plaziert -- in Wirklichkeit sind's rd. 8% (Kap. 5.2.1).

    Hier [2] etwas neueres, und auf DE bezogen.

    Die Fakten werden oft "indirekt" erfunden. Einfach durch Dauererwähnung des Phänomens in der einschlägigen Presse (Murdoch, Springer) wird das "Problem" zum Scheinriesen.

    [1] www.ipsos.com/site...on-report-2013.pdf



    [2] www.kontextwochenz...e-hobbys-9725.html

    • @tomás zerolo:

      Das ist doch interessant: der kommunale Spitzenverband aller 294 Landkreise in Deutschland ist der Meinung, dass es inzwischen große Schwierigkeiten bis hin zur Überforderung gibt, Flüchtlinge unterzubringen und entsprechend zu betreuen.



      Die Uni Hildesheim kommt in einer Studie zu dem Schluss (siehe Ihren Link oben), dass die Kommunen selbstverständlich nicht überfordert sind.



      Wir hat recht, die Theoretiker an der Uni oder die Praktiker im Rathaus, die die alltäglichen Probleme auf dem Tisch haben und lösen müssen?

      • @Bommel:

        Der Spitzenverband will auftragsgemäß mehr Geld von Ländern und Bund herausholen, vielleicht ist das eine Erklärung.

        Ansonsten könnte man jeweils in die Details gehen.

  • Es beginnt damit, dass Frau Lindholz hier eine Behauptung in den Raum stellt. Verabredet war, im Vorfeld der Gespräche, zwischen Regierung und CDU/CSU, dass es interne Gespräche wären. Frau L. begeht mit ihrer Behauptung, die "ihr Gefühl" oder einfach frei erfunden sein könnte, eine gezielte Indiskretion.



    Wie sollten "die Anderen" darauf reagieren?



    Indem sie, nun auch gegen die Absprache, darstellen, was sie davon halten oder im Gespräch davon hielten?



    Dann wären sie ebenso unzuverlässig was Absprachen zur Diskretion betrifft, wie die CSU Politikerin.



    Wir lesen in dem Artikel über CSU Politik und CDU Positionen.



    Es ist schon richtig, bei dem Thema mal mit Allen zu sprechen. Schließlich sind über die Länder, den Bundesrat und den Städtetag auch CDU und CSU in Entscheidungen eingebunden.



    Friedrich Merz, der der Regierung nun ein Ultimatum bis Dienstag gestellt hat, verkennt allerdings die Lage: die CDU/CSU ist nicht Teil der Regierung und eine derartige "Forderung" Merz' ist nicht mehr als eine Frechheit.



    Angesichts der Praxis der "C" Parteien, ist es ganz gut, dass die nicht regieren.



    Ein Gesprächsangebot ist keine Abgabe der Entscheidungskompetenz, sondern höflich, die CDU nicht.

  • Das Argument, dass eine Zurückweisung das politische Klima in der EU weiter anheizen würde, finde ich nicht ganz ehrlich. Die große Mehrheit (außer Luxemburg inzwischen alle?) der EU-Staaten will inzwischen weniger Migration, weil sie alle Angst haben, dass ihnen das über den Kopf wächst. Deutschland wird als Pull-Faktor und Blockierer bei Außengrenzmaßnahmen wahrgenommen. Daraus leiten sich die meisten angesprochenen "Aufheizungen" ab, meiner Wahrnehmung nach. Das sollte man auch ehrlich darstellen.

    An der Migrationspolitik muss man ja trotzdem nichts ändern, weil da ganz andere Gründe dafür sprechen - universelle Werte, die Menschen ohnehin nicht wirklich zu debattieren haben und einzelne Länder oder auch die EU auch nicht. Hier geht es einfach um höhere Werte. Ist das nicht das Argument und so sollte man es auch bringen?

  • Wann wird der Union endlich das C aberkannt? Die Politik der Union widerspricht den Werten des C in ihrem Namen. Außer man ändert das C in Chaos!

  • Das ist einfach nur krank.

    Da werden "Fakten" erfunden, und darauf basierend unmenschlicke Politik betrieben.

    • @tomás zerolo:

      Genau so ist es.

      Die eigentlich beste Lösung um die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, wäre, am besten auf EU-Ebene eine attraktive Arbeitsmigrationsregelung zu schaffen, die weiter als die Blue Card geht.

      So dass die meisten Asylbewerber, die nicht aus Kriegsgebieten stammen oder wirklich politisch Verfolgte sind, diese Regelung dem Weg über Mittelmeer oder Balkan vorziehen.

      Natürlich so austariert, dass dabei nicht inländische Arbeitnehmer schlechtergestellt werden. Das ist eine Herausforderung, aber in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel auch in Berufen ohne hoher Ausbildungshürden durchaus möglich, und kann natürlich erst mal befristet werden.

    • @tomás zerolo:

      Welche Fakten werden denn erfunden?