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EU-Kommission für qualmfreie ZonenWarum Rauchen unsolidarisch ist

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Die EU-Kommission fordert mehr rauchfreie Bereiche – richtig so, findet unser Autor. Denn rauchen heißt vor allem, andere zu gefährden.

Zigaretten, die schwelenden Stäbe des Neoliberalismus Foto: Silas Stein/imago

Wo soll man denn überhaupt noch rauchen?“, fragte eine Redakteurin aufgebracht, die nicht mal selbst Raucherin ist. Die Empörung war auf der Morgenkonferenz der taz groß, nachdem die Europäische Kommission am Dienstag mehr rauchfreie Zonen an öffentlichen Orten gefordert hatte.

Einige schlugen vor, dass der rauchende Kollege, der sich per Zoom zugeschaltet hatte, einen Kommentar gegen das Vorhaben schreiben soll. Alle schienen sich einig zu sein: Rauchen sei gleich Freiheit, eine gefährdete. Fast könnte man meinen, dass hier eine marginalisierte Minderheit noch weiter schikaniert und diskriminiert wird. Wird jemand bitte an die armen verfolgten Rauchenden denken?

Doch der Vorstoß der Kommission ist zweifelsohne der richtige. Die Gründe liegen auf der Hand. „Jedes Jahr verlieren in der EU 700.000 Menschen ihr Leben aufgrund von Tabakkonsum, darunter Zehntausende aufgrund von Passivrauchen“, so die scheidende Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides in Straßburg.

Zigaretten sind verantwortlich für jede vierte Krebserkrankung in Europa. Wir hätten die Pflicht, „unsere Bürger, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor der Belastung durch schädlichen Rauch und Emissionen zu schützen“, sagte sie weiter.

Die Europäische Kommission empfiehlt nun EU-Mitgliederstaaten, Nichtraucherzonen auf bestimmte Außenbereiche auszudehnen, an denen Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind – Schwimmbäder, Spielplätze, Bahnhöfe und Bushaltestellen. Auch E-Zigaretten, die gefährliche Aerosole produzieren können, sind davon betroffen.

So sollen einerseits Menschen vor Passivrauchen geschützt werden, andererseits soll Tabakkonsum weiter entnormalisiert werden. Das Ziel: Bis 2040 sollen weniger als 5 Prozent der Bevölkerung in der EU rauchen. Damit soll Krebs bekämpft werden und eine rauchfreie Generation entstehen. Gut so. Heute sind es noch 20 Prozent.

Kranke Minderheit

Rau­che­r*in­nen sind tatsächlich eine Minderheit – eine gefährliche. Aber auch eine kranke. Dass ihre Sucht im linken Spektrum so oft verteidigt, verharmlost, ermöglicht wird, ist heuchlerisch. Rauchen ist zutiefst unsolidarisch, ja, unlinks. Auch andere zahlen dafür den Preis.

Es ist eine individualistische Praxis, die das eigene Vergnügen über das kollektive Gemeinwohl stellt. Zigaretten sind schwelende Stäbe des Neoliberalismus, die von Deregulierung leben und „Big Tobacco“ noch reicher machen. Rau­che­r*in­nen brauchen Hilfe, nicht Raucherzonen.

Unter den Folgen leiden nicht nur Pas­siv­rau­che­r*in­nen hierzulande. Neun der zehn größten Tabakanbauer sind Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden weltweit 3,2 Millionen Hektar fruchtbarer Flächen für Tabakanbau verwendet – was die Ernährungssicherheit in manchen Ländern gefährdet. Besonders in Kenia, Malawi und Sambia wird immer mehr Tabak angebaut. Das führt zu Abholzung, Wasserverschmutzung und Bodenverschlechterung.

Die Ernte auf Tabakfeldern ist zudem gesundheitsschädlich: Jeden Tag können Ar­bei­te­r*in­nen so viel Nikotin wie in 50 Zigaretten aufnehmen, berichtet die WHO. Je­de*r vierte von ihnen leidet an der sogenannten Green Tobacco Sickness – einer Nikotinvergiftung, die zu Übelkeit, Schwindel und Schwankung des Blutdrucks und der Herzfrequenz führen kann.

Das Schicksal der Ta­bak­ar­bei­te­r*in­nen scheint aber die rauchenden Linken nicht sonderlich zu stören. In alternativen Räumen gehört eine Kippe nach wie vor oft „einfach dazu“ – in Punkbars, Technokellern, Hausprojekten oder autonomen Zentren. Ist das ein vermeintlich rebellischer Akt, ein Symbol der Anarchie vielleicht? „Rauch kaputt, was euch kaputt macht.“ Jedenfalls ein egoistischer.

Inklusiv sind solche Räume nicht mehr – weder für Jugendliche und Schwangere noch für Menschen mit Gesundheitsbeschwerden. Die befreite Gesellschaft kann nur eine rauchfreie sein.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei. Aktuell ist er Cramer & Kollek Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Seine Artikel sind zudem u.a. bei Guardian, Haaretz, Tagesspiegel und Jüdische Allgemeine erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen", 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.
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10 Kommentare

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  • "Rauchen ist zutiefst unsolidarisch, ja, unlinks. Auch andere zahlen dafür den Preis."

    Wenn links bedeutet, Alles rigoros zu verdammen, was man selbst unsinnig, unvernünftig oder nicht von gesellschaftlichem Nutzen erachtet, dann brauche ich dieses Linksein nicht.



    Ich war nie Raucher, hab nichtmal eine Kippe geraucht. Ich find die Regelungen an öffentlichen Einrichtungen, an Haltestellen und in Gaststätten absoult richtig.



    Und trotzdem werd ich das Gefühl nicht los, die Antiraucher-Aktivisten sind erst zufrieden, wenns komplett verboten ist.

  • Seit wann darf auf einem Spielplatz geraucht werden,im Bahnhof? Die Orte gibt's doch hier schon jetzt. Im Gegensatz zum Raucher,der sich vornehmlich selbst schädigt, schädigt das Auto vornehmlich andere. Es ist ein typischer selektiver Einwurf,der den Prohibitionsgedanken hoch leben lässt. Das Kind im Kinderwagen auf Auspuffhöhe interessiert nicht die Bohne. Messstationen werden so umgebaut, bis das Ergebnis stimmt. Tut mir leid,das Gesundheitsargument wird immer nur sehr selektiv angebracht. Es muss passen und darf vor allem die Wirtschaft nicht tangieren.

  • "Ist das ein vermeintlich rebellischer Akt, ein Symbol der Anarchie vielleicht?"



    Nein. Maximal bei Teenagern. Alle Anderen sind schlich süchtig. Der angebliche Genuß besteht darin, dass die Entzugserscheinungen vorübergehend abgestellt werden.



    In Anbetracht der Tatsache, dass allein in D jedes Jahr 10.000 bis 20.000 Menschen elendiglich an Passivrauchen umkommen, ist es mindestens schwere Körperverletzung, wenn nicht gemeinschaftlicher Giftmord, wenn dort geraucht wird, wo andere Menschen atmen!

  • Durch die vielen Nichtrauchergesetze müssten ja die Anzahl Gesundheitsschäden durch Passivrauchen gewaltig gesunken sein. Ich habe aber noch nie gelesen, dass dies so ist. Gibt es in der Zwischenzeit Beweise dafür, dass die Gesetze genutzt haben? Ich für mich bin froh, nun seit schon 3 Jahren Nichtraucher zu sein, bin aber deshalb kein Nichtraucher-Prophet geworden, wer rauchen will soll rauchen.

  • "Rauchen ist zutiefst unsolidarisch, ja, unlinks. Auch andere zahlen dafür den Preis."



    Da ist dann aber so ziemlich alles unlinks: Autofahren, Konsum, Waffen für die Ukraine, keine Waffen für die Ukraine, Urlaub, Lohnarbeit, Selbstständigkeit, Radwege, Bahnfahren, Wählen, Skifahren, Windsurfen...

    Als ehemaliger Raucher frag ich mich bei all diesen Aktionen nur immer: Warum wird auf den armen Rauchern rumgehackt und nicht an denen die prächtig an Zigaretten und E-Zigaretten verdienen.



    Und die arme Sau, die nun mal raucht und nen schlecht bezahlten Job aushalten muss, darf dann auch noch gern ein schlechtes Gewissen und nen Strudel im Portemonnaie haben, wenn sie sich nen Fluppe dreht und ein Bierchen zischt. Die arme Sau machen wir aber mal so richtig fertig. Sehr links.

    • @Nansen:

      Hat sich was mit arme Sau!



      Niemand ist gezwungen, sich eine Zigarette anzuzünden und zu rauchen. Und ja, ich weiß, wie stark der Gruppendruck sein kann, mitzumachen. Ist aber immer noch kein Zwang.



      Zwang übt der Raucher aus auf die Menschen um ihn rum, die er zwingt seine Giftgase einzuatmen!



      Wer erst einmal sich selbst süchtig gemacht hat, hat das sich selbst zu verdanken. Und der einzige Weg aus der Sucht raus ist der eigene, unerschütterliche Wille.



      Es gibt also genau einen Täter: den Raucher.

    • @Nansen:

      Fast richtig! - Es fehlt noch:



      Fleisch essen, sitzen (sitzen ist das neue rauchen) - und, großer Gott!: Alkohol

      Wenn ich also abends auf meiner Terrasse sitze (!), eine(!) meiner 3 (!!) täglichen Selbstgedrehten (oje!) rauche (in Ohnmacht fall) und dabei



      einen Martini (pfui bäh!) oder so trinke - dann bin ich so was wie Bernd Höcke.



      Ich habs immer schon geahnt...

    • @Nansen:

      Ich schließe mich an.

      What's next? Alkohol trinken kann furchtbare soziale Folgen haben und süchtig werden kann jeder.

      Falsche Ernährung, zu viel Fett, zu viel Zucker, vorgelebt von Erwachsenen schadet Kindern.

      Und so weiter und so fort.

      Der kapitalistische Normalzustand ist nun mal destruktiv, schlechte Ernährung, Rauchen und Alkohol ist in Unterschicht mehr verbreitet als im Taz-Milieu.

      Von daher, ein eher unangenehmer Tritt nach unten.

      • @Jim Hawkins:

        Dann sollen sie doch Cola mit Süßstoff trinken! Schön zu erleben in den USA: die Legalisierung von Cannabis führt dazu, dass auch das Rauchverbot vielerorts kaum noch ernstgenommen wird. Kiffen ist ja gesund!

    • @Nansen:

      Nansen, Ihr Vortrag in allen Ehren aber es ändert nichts daran, dass Rauchen trotzdem zutiefst unsolidarisch und asozial ist - sofern andere Menschen in der Nähe sein könnten. Punkt.



      Eine Minderheit gefährdet die Gesundheit einer Mehrheit und belästigt sie. Punkt.



      Ihre anderen Punkte wie Autofahren, Konsum etc. stimmen aber hier geht es ums unsolidarische Rauchen. Punkt.



      Rauchen ist scheisse. Punkt.