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EU-Entwurf zur TaxonomieAtomstrom als Religion à la Macron

Energiewende mal anders: Frankreichs Präsident setzt sich vehement für Meiler ein. Die Bevölkerung ist erstaunlicherweise dafür.

53 Prozent der Franzosen und Französinnen finden Atomkraft gut: Kraftwerk in Civaux Foto: Stephane Mahe/reuters

Die Frage, wann der Druckwasserreaktor EPR am Ärmelkanal endlich in Betrieb geht, wird in Frankreich kaum noch gestellt. Denn die Entwicklung auf der Dauerbaustelle im Nordwesten des Landes ist zweitrangig geworden, seit Präsident Emmanuel Macron klar gemacht hat, dass die EPR-Technologie trotz ihrer Pannenserie eine Zukunft hat. Er werde weitere solcher Reaktoren bauen, kündigte der Staatschef in einer Rede bereits im November an.

Dazu sollen neue Mini-Reaktoren kommen. „Wir brauchen diese Technologie auf alle Fälle“, versicherte der frühere Wirtschaftsminister, der aus seiner Begeisterung für die Atomkraft nie einen Hehl machte. Deshalb verhandelte Frankreich in den umstrittenen EU-Entwurf zur Taxonomie auch die Kernkraft als „nachhaltig“ hinein.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist für Atomkraft. Nach Jahren des Zweifels erlebt „le nucléaire“ gerade einen zweiten Frühling. Laut einer Umfrage vom Oktober sind 53 Prozent der Französinnen und Franzosen der Ansicht, dass die Atomkraft eine „gute Sache“ für ihr Land ist. In den 1990er Jahren vertraten weniger als 30 Prozent diese Meinung. Mit einem Atomstromanteil von 70 Prozent ist Frankreich das Land mit der meisten Nuklearenergie in Europa.

Das Energiewendegesetz sieht vor, den Anteil der Kernenergie am Strommix bis 2035 auf 50 Prozent herunterzufahren, doch die dazu nötige Schließung eines Teils der 56 Reaktoren ist noch nicht beschlossen. Bisher gingen lediglich die beiden Reaktoren des ältesten Atomkraftwerkes im elsässischen Fessenheim unweit von Freiburg vom Netz. Ihre Abschaltung war zunächst an die Inbetriebnahme von Flamanville geknüpft. Doch der Pannenreaktor, der bereits 2012 Strom produzieren sollte, wird frühestens zum Jahresende fertig. Mit 19 Milliarden Euro ist er zudem sechs Mal so teuer wie einst geplant, da während der Bauarbeiten immer neue Schwächen auftraten.

Angesichts der Summen, die in die Atomkraft fließen, wirken Solarenergie und Windkraft wie Stiefkinder der Energiepolitik. Die Erneuerbaren lieferten 2020 gut 19 Prozent zum Energiemix zu. Laut dem französischen Umweltministerium wurden 2018, dem letzten erfassten Jahr, 8,6 Milliarden Euro in „alternative Energien“ investiert. Ein Klacks im Vergleich zu den 100 Milliarden Euro, die der ohnehin hoch verschuldete staatliche Stromkonzern EdF für die Renovierung des alternden Atomparks zahlen muss.

Frankreichs Anlagen sind durchschnittlich 36 Jahre alt, sodass einige regelmäßig wegen Pannen oder Wartungsarbeiten ausfallen. In den vergangenen Wochen waren bis zu 17 Reaktoren gleichzeitig abgeschaltet. Frankreich musste deshalb mehr Strom – auch aus Deutschland – importieren als üblich. Das Geld, das nach der Brüsseler Einstufung der Atomkraft als „grüne“ Energie nun in die Modernisierung der alten Meiler fließen dürfte, ist deshalb in der Atomindustrie mit ihren 220.000 Beschäftigten hochwillkommen.

Klimaziel verfehlt

Der Klimaschutz ist eines der wichtigsten Argumente, mit denen die Regierung für die Atomkraft wirbt. „Die französische Energieproduktion ist eine der CO2-ärmsten der Welt. Warum? Dank der Atomkraft“, rühmte sich Macron immer wieder. Die EU-Klimaziele verfehlt Frankreich allerdings auch mit der Atomkraft. Im Klimaschutzindex der Organisation Germanwatch, der neben dem Treibhausgas-Ausstoß auch die Entwicklung der erneuerbaren Energien und den Energieverbrauch bewertet, landet das Land nur auf einem mittleren Platz.

„In Frankreich ist Atomkraft fast eine Religion“, sagt der Aktivist André Hatz, der jahrzehntelang gegen das Atomkraftwerk Fessenheim kämpfte. Fast alle Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten setzen auf die Weiterentwicklung der Atomkraft. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen will im Falle ihrer Wahl sogar so weit gehen, die Windräder abzuschaffen.

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17 Kommentare

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  • solange unsere braunkohlenebelmaschinen noch jede menge dreck raus pusten, sollten wir dabei sein alle bälle flach zu halten....

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Religion? Frankreich hat ein ganz anderes Verhältnis zu Strom als die Deutschen es haben. Viele der Häuser, gerade in den alten Ortschaften des Südens wurden im Winter mit Strom beheizt, bei uns völlig unüblich. Gas ist auch heute noch nicht die erste Wahl, weil dafür Heißwasser Leitungen verlegt werden müssen, was bei den alten massive Steinhäusern gar nicht geht. Heute sind es oft Wärmepumpen die verwendet werden. Zwei völlig unterschiedliche Welten. Es ist typisch für die deutsche Betrachtungsweise, so etwas nicht zu wissen, und die eigenen Vorstellungen auf andere zu übertragen.

  • Macron verspricht, was alle wollen: billige Energie. Und die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass mit Atomkraft sowohl das Klima gerettet werden kann, als auch die Energie billig bleibt und damit die Grundlage für den erreichten Wohlstand erhalten bleibt.



    Man nennt das ganze erfolgreiche Propaganda. Die Umweltschäden durch den Uranabbau: strahlender Abraum, Einsatz giftiger Chemikalien erfolgen zum Glück außerhalb Europas und unserer Urlaubsorte. Externalisierung halt.



    Wird vermutlich auch der europäische Weg beim Atommüll werden, irgendwo in einem dünnbesiedelten Landstrich außerhalb Europas verbuddeln und damit auch die Endlagerungsfrage als gelöst betrachten.



    Und dann kann Atomkraft nicht nur als klimaneutral sondern auch noch als nachhaltig vermarktet werden.

    Solange wir aber nur "unser" Thema bei der Atomkraft bearbeiten, nämlich die Endlagerfrage und die Produktion von Uran nicht einmal thematisieren, wird die Gesamtproblematik auch nicht erkennbar. Da sollten die Grünen und die Umweltverbände mal ein bisschen nachlegen.

    • @Favier:

      "Solange wir aber nur "unser" Thema bei der Atomkraft bearbeiten..."



      Vor allem wird solange nichts draus, solange es keine plausible, nachvollziehbare Alternative gibt, da kann man so heftig auf der Atomenergie herumhacken, wie man will.



      "Ausbau der Erneuerbaren" ist schön und gut, aber damit wächst auch das Problem mit der Residuallast [1], zu deren Deckung logischerweise Speicherkraftwerke [2] erforderlich wären. Solange zu diesem Problem vor allem dümmliches Gerede kommt [3] (und solange man zusätzlich das Problem mit E-Autos und Wärmepumpenheizungen noch verschärft), wird man den AKW-Fans den Wind nicht aus den Segeln nehmen können.



      [1] de.wikipedia.org/wiki/Residuallast



      [2] de.wikipedia.org/wiki/Speicherkraftwerk



      [3] annalena-baerbock....etze-und-speicher/

      • @sollndas:

        Statt über neue Reaktoren könnte man ja auch mal über die Erwartungshaltung nachdenken jederzeit jede beliebige Menge Strom zum gleichbleibend niedrigen Preis verbrauchen zu wollen. Auch wenn sich niemand gern sagen lässt, dass sein*ihr aktuell gepflegter Lebensstil zwangsläufig zu einem durch Klimawandel und/oder nukleare Verwüstung dauerhaft unbewohnbaren Planeten führen wird hilft es ja nicht sich den Tatsachen zu verweigern.

        • @Ingo Bernable:

          "...hilft es ja nicht sich den Tatsachen zu verweigern."



          Ja, eben. Es gibt eben ein paar physikalisch gegebene Tatsachen. Z.B. dass sich menschliche Zivilisation nicht mehr ohne Energieeinsatz aufrecht erhalten lässt, sie würde keinen einzigen Winter überleben.



          Und wenn man die ignoriert und pauschal als "Erwartungshaltung" abtut, braucht man weder Klimawandel noch "nukleare Verwüstung", um die Erde "dauerhaft unbewohnbar" zu machen.

          • @sollndas:

            Ich schrieb davon, dass nicht "jederzeit jede beliebige Menge Strom zum gleichbleibend niedrigen Preis" verfügbar sein müsse und nicht davon ganz "ohne Energieeinsatz" auskommen zu wollen. Bemerken sie den Unterschied?

            • @Ingo Bernable:

              Sie geben sich wieder einmal redlich Mühe, mich misszuverstehen. Es geht nicht darum, dass ""jederzeit jede beliebige Menge Strom zum gleichbleibend niedrigen Preis" verfügbar sein müsse".



              Es geht um kritsche Infrastruktur [1] und darum, was an Leistung (und gespeicherter Energie) erforderlich ist, wenn Sie statt bei 5 °C bei, sagen wir mal, 15 °C mit klammen Fingern vor dem Computer sitzen wollen. Wenn Sie den Leuten schon die Heizung auf 18 °C runtergedreht haben. Es gibt Grenzen, unter die sie den Verbrauch auch mit noch so hohen Preisen nicht herunterregeln können.



              Wenn Sie die Frage nicht beantworten können, wie Sie diese Grundlast zur Verfügung stellen können (und womöglich noch Menschen mit einer "geeigneten" Politik in diese Situation hineinjagen), braucht es weder Klimawandal noch Atomenergie für ein Ende menschlicher Zivilisation.



              [1] de.wikipedia.org/w...nfrastruktur#Arten

              • @sollndas:

                So wie ich das sehe sind sie es der sich hier sehr ums Missverstehen bemüht. Es geht eben nicht um kritische Infrastruktur, sondern um all den Verbrauch jenseits davon. Zumindest dann wenn man nicht wie die Wikipedia-Definition die Energieversorgung incl. jeglichem Verbrauch zur kritischen Infrastruktur zählt. Es sind auch auf Verbrauchsseite noch jede Menge Einsparungen möglich und nötig und sie sind möglich, ohne dass deswegen Lungenmaschinen auf Handbetrieb umgestellt werden und Menschen ohne Heizung auskommen müssten. Die Frage nach der Grundlast wird letztlich zum rabulistischen Kniff wenn sie unterstellt, dass jede Einsparung gegenüber dem status-quo einen Lebensstandard auf mittelalterlichem Niveau bedeutet. Wenn man bereit ist zu akzeptieren, dass eine Wohnfläche von durchschnittlich mehr als 50m² p.P., mehr als 50 Mio. potentiell zu elektrifizierende PKW und immer mehr Geräte und Unterhaltungselektronik weder zur Grundlast noch zur kritischen Infrastruktur gehören wird die tatsächlich notwendige Grundlast schon sehr viel übersichtlicher.

  • Natürlich ist die französische Bevölkerung dafür - hat doch seinerzeit sogar die Tschernobyl-Wolke eine Spezial-Sonder-Wunderkurve vor der französischen Grenze gemacht hat und Frankreich, im Gegensatz von Resteuropa, vor der Radioaktivität bewahrt hat ...

    • @Bolzkopf:

      Franzosen hat den Recht, Ihren Weg zu wählen... Genau so wie alle Anderen.



      Das Erzwingen durch uns wird es nicht klappen.

      Wir folgen im Finanzpolitik sowieso seit Jahren schon Frankreich (leader Christine Lagarde) oder Italien (Leader Mario Draghi)... Null Zinsen und mehr Verschuldung, trotz 5% Inflation.

      Warum machen wir nicht das gleiche in der Klimapolitik?

      • @Robert Boyland:

        Die Freiheit des Einen endet da, wo die Freiheit des Anderen anfängt.



        Gilt auch für Staaten.



        Was passiert, wenn eines der vielen Atomkraftwerke an der Grenze einen GAU hat und der Wind wie vorwiegend von West nach Ost weht - also der Fallout große Gebiete Deutschlands unbewohnbar macht? Bisher sind die Franzosen dann fein raus...



        Klar, dass das aus französischer Sicht besser aussieht als aus deutscher!

        • @Mainzerin:

          Richtig. Nun diese schöne Spruch wird immer mehr einseitig benutzt...



          Gerade passieren viele Gegenbeispiele in ganzer Politik in DE...

          Zurück zu FR... Viel Glück mit Ihren Versuch(!) gegen Frankreich...



          Eigentlich es ist zu spät in EU ist AKWs als Grünenergie schon festgelegt...

  • "Die EU-Klimaziele verfehlt Frankreich allerdings auch mit der Atomkraft."

    Frankreich: 50 g CO2/kWh



    Deutschland: 400 g CO2/kWh

    Dadurch ist auch unser pro-Kopf Ausstoß pro Person deutlich über dem französischen, bei ähnlichem Lebensstandard.



    Die Klimaziele sind relativ zur Vergangenheit. Die deutsche Latte hängt extrem niedrig, die liegt quasi am Boden. Und trotzdem reißen wir sie. Wir sind seit Jahrzehnten deutlich schlechter als Frankreich, werden das auch in absehbarer Zukunft sein, und sie wundern sich ernsthaft warum die Franzosen (mit fast allen anderen EU-Staaten) unseren Weg nicht mitgehen wollen?

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Ich frage mich zunehmend, warum ganze Völker sich bewusst auf dem Holzweg befinden. Die haben doch auch sowas wie Verstand.



    Es ist nicht sinnvoll, die Umwelt, in der wir leben, zu versauen. So einfach ist das!

    • @47202 (Profil gelöscht):

      Vielleicht ist Deutschland auf dem Holzweg und nicht alle anderen.

      • @Der werktätige Rentner:

        ich denke beide sind am holzweg, niemand redet davon den konsum zu drosseln...



        wir haben auch keinen grund mit braunkohle zu werfen...