Drohmail-Affäre „NSU 2.0“: Angeklagter weist Vorwürfe zurück
Der Beschuldigte Berliner bestreitet, 116 Drohschreiben verschickt zu haben – eine Darknetgruppe stecke dahinter. Die Indizien sprechen gegen ihn.
Dabei sind die Vorwürfe und Indizien gegen Alexander M. massiv. Fast drei Jahre lang soll der 54-jährige Berliner als selbst ernannter „NSU 2.0“ 116 Drohschreiben an zumeist Engagierte gegen Rassismus verschickt haben, an die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, Linken-Chefin Janine Wissler oder die Kabarettistin Idil Baydar. Wüste, rassistische Beschimpfungen, mit expliziten Todesdrohungen, oft gespickt mit privaten Daten – die in den Fällen von Başay-Yıldız, Wissler und Baydar zuvor auf Polizeirevieren abgerufen wurden. Bis Alexander M. am 3. Mai 2021 in Berlin festgenommen wurde.
Er sagt, er habe „Polizeiinsiderwissen“
Seit Mittwoch steht der Erwerbslose nun vor Gericht, am zweiten Prozesstag zückt er einen Zettel mit einer Erklärung, setzt seine Lesebrille auf und legt aufgeregt berlinernd los. Nicht er, sondern eine Gruppe in einem Darknetforum, zu der auch Polizisten gehörten, habe die „NSU 2.0“-Schreiben koordiniert, behauptet er. Er selbst sei dort über einen Bekannten Mitte 2019 Mitglied geworden, ein Jahr später aber wieder ausgestiegen. Es sei um „rechte Politik“ gegangen, mit „lustigen“ Chats, der Umgangston sei aber „unter aller Sau“ gewesen. Başay-Yıldız sei bedroht worden, weil sie für Ärger in der hessischen Polizei gesorgt habe, sagt M. Dass ihre kleine Tochter bedroht wurde, sei „eine Sauerei“. „Ich wars jedenfalls nicht.“
Aber: Der Ärger für die hessische Polizei ging überhaupt erst nach den ersten Drohschreiben an Başay-Yıldız los. Und Alexander M. nennt weder den Namen des Forums, noch die von Mitgliedern. Das brächte ihm Nachteile, er bräuchte ein Zeugenschutzprogramm, sagt er im Gericht. Dass er laut Anklage über fingierte Anrufe an Polizeidaten kam, weist er als „hanebüchenen Unsinn“ zurück. Kein Polizist würde einfach so am Telefon Daten herausgeben. Und die Diktion der Schreiben spreche eher für „politisch frustrierte Polizeibeamte“. Aber M. raunt, er habe aus der Darknetgruppe „Polizeiinsiderwissen“, etwa über den Suizid eines hessischen Polizisten. Der Staatsanwalt kontert prompt: Der Fall habe auch in der Zeitung gestanden.
Nachfragen des Gerichts will er nicht beantworten
Wozu Alexander M. indes fast nichts sagt, sind die „NSU 2.0“-Drohschreiben oder Fragmente davon, die auf seinem Computer gefunden wurden. Oder die Zugriffsdaten auf ein Yandex-Emailpostfach, von dem fast alle Schreiben verschickt wurden. Da habe er sich mal was aus dem Darknetforum runtergeladen, sagt er nur. Und auch seine vielen Vorstrafen „sagen gar nichts“.
Nachfragen des Gerichts aber will Alexander M. nicht beantworten. Seine Verteidiger wollten das nicht, sagt er. Ob er denn seine teils noch verschlüsselte Rechnerfestplatte freigeben würde, fragt Richterin Corinna Distler. Alexander M. lehnt auch das ab. „Ich verspreche mir daraus keine Verbesserung meiner Verhandlungsposition.“ Als Antonia von der Behrens, die Anwältin von Başay-Yıldız, M.s Erklärung für leicht zu widerlegen erklärt, wird dieser aufbrausend. Immer wieder fällt er ihr ins Wort. „Die spinnt ja“, schimpft der 54-Jährige. „Mit Frauen wie Ihnen hab ich ein Problem.“ Die Richterin weist M. zurecht: „Mäßigen Sie sich bitte!“
Auch einige der Betroffenen gehen davon aus, dass Alexander M. tatsächlich im Darknet unterwegs war. „Aber die Drohschreiben hat er schon selbst verschickt“, ist von der Behrens überzeugt. Dafür lägen ausreichend Indizien vor. Nur wie M. an die Polizeidaten kam und ob er auch das allererste Drohfax an Başay-Yıldız verschickte, bleibe ungeklärt. Hier spreche viel für eine Kooperation von M. mit Beamten, vielleicht ja im Darknet, glaubt die Anwältin.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt hier tatsächlich weiterhin gegen zwei Beamte. Die Aussage von Alexander M. aber brachte dazu keine Aufhellung. Ein Urteil gegen ihn wird nicht vor Ende April erwartet.
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