Drohender Tarifkonflikt in der Altenpflege: Nicht mit Verdi an einen Tisch
Angestellte in der Pflege verdienen schlecht. Private Unternehmen wollen einen verbindlichen Tarifvertrag für alle Pflegebeschäftigten verhindern.
Berlin taz | Bei der Bezahlung von Altenpfleger*innen steuern private Unternehmen, Bundesregierung und Gewerkschaft Verdi auf einen Konflikt zu. „Wir brauchen nicht zwingend Tarifverträge“, sagte Friedhelm Fiedler, Vizechef des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP), am Donnerstag in Berlin.
Die Organisation wendet sich besonders gegen einen politisch festgesetzten, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Setze die Bundesregierung eine solche Regelung durch, „werden wir eine Reihe von Prozessen bekommen“, warnte AGVP-Präsident Thomas Greiner.
Gegenwärtig fehlen in vielen Pflegeeinrichtungen Fachkräfte. Zahlreiche Altenpfleger*innen beklagen ihre Überlastung. Ein Symptom der schlechten Situation ist die vielerorts armselige Bezahlung der Pfleger*innen. Das zu ändern hat sich die Bundesregierung vorgenommen.
40 Prozent der Heime sind privat geführt
Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken.“ Dieser solle „flächendeckend zur Anwendung kommen“. Verdi verlangt nun, einen Tarifvertrag auf Basis des sogenannten Entsendegesetzes für alle Pflegeunternehmen vorzuschreiben.
Gerade private Firmen der Branche weigern sich bislang, mit Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften über die Bezahlung zu verhandeln. Für drei Viertel der Einrichtungen gibt es keine entsprechenden Vereinbarungen, heißt es in einer Studie von 2017 des Instituts TNS Sozialforschung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Wobei der private Bereich gut 40 Prozent aller knapp 14.000 stationären Einrichtungen umfasst.
In den gemeinnützigen, kirchlichen und öffentlichen Häusern sieht es besser aus. Dort entlohnen rund 90 Prozent nach einem Haus- oder Verbandstarif.
Verdi verlangt nun, einen Tarifvertrag für alle Pflegeunternehmen vorzuschreiben
Die beiden Verbände der privaten Pflegefirmen machen jetzt Front gegen die Bundesregierung und Verdi. Den Arbeitgeberverband der Privaten Anbieter Sozialer Dienste (BPA Arbeitgeberverband) leitet Rainer Brüderle, ehemals Bundeswirtschaftsminister der FDP. Kürzlich erklärte er: „Wir sehen die Versuche, allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Pflege zu erzwingen, als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie und wollen deshalb mit unserer Arbeitsvertragsrichtlinie (AVR) einen alternativen Weg aufzeigen.“
Gehälter der Privaten liegen niedriger
Die AVR, die unter anderem Bezahlung und Urlaub regelt, denkt sich die Organisation selbst aus. Nach Angaben von Verdi liegen die entsprechenden Gehälter teils um mehrere hundert Euro unter dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, der für kommunale Häuser gilt.
Der zweite Verband, der AGVP, begründete seine Ablehnung tariflicher Regelungen am Donnerstag, indem er auf die ohnehin steigenden Gehälter des Pflegepersonals verwies. „Wir haben einen Nachfragemarkt“, erklärte Verbandsvize Fiedler. Soll heißen: Die Unternehmen suchen Pfleger*innen, bekommen aber zu wenige. Daher müssten die Firmen höhere Löhne bieten, um Personal zu gewinnen. Diese „Lohndrift nach oben“ zeigt sich zurzeit tatsächlich, wie auch Verdi einräumt.
Außerdem betont der AGVP, dass die Pfleger*innen gar nicht so schlecht bezahlt würden. Während Auszubildende hierzulande durchschnittlich 830 Euro monatlich erhielten, böten die Betreuungseinrichtungen schon im ersten Lehrjahr fast 1.100 Euro. Und die Vergütung von erfahrenen Altenpfleger*innen läge teilweise über der von Bankkaufleuten und Mechatroniker*innen.
Vorlage für Allgemeinverbindlichkeit fehlt
Die privaten Pflegefirmen haben vor allem Angst vor zu stark steigenden Personalkosten und Gängelung durch Gewerkschaft und Politik. Während Brüderle seine Verteidigung auf der Arbeitsvertragsrichtlinie aufbaut, bietet AGVP-Präsident Greiner an, über einen höheren Mindestlohn in der Pflegebranche zu verhandeln. Zudem sollen mehr ausländische Pfleger*innen ins Land geholt und die Qualifizierung der Beschäftigten verbessert werden.
So herrscht unter dem Strich gegenwärtig eine politische Blockade. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollen zwar einen Tarifvertrag mit höheren Gehältern für viele Arbeitnehmer*innen, suchen aber einen Weg. Denn zurzeit gibt es nach Darstellung des Arbeitsministeriums keine Vereinbarung, die man für allgemeinverbindlich erklären könnte.Die Regelungen des öffentlichen Dienstes sowie der gemeinnützigen und kirchlichen Träger seien zu speziell und kämen deshalb nicht in Betracht.
Heil fordert die „beteiligten Akteure, darunter auch die Arbeitgeberseite, auf, an diesem Punkt voranzukommen und die nötigen Strukturen für Tarifverträge zu schaffen“. Das heißt: Auch die privaten Verbände sollten sich unter anderem mit Verdi an einen Tisch setzen. Das genau lehnen die Arbeitgeber jedoch ab.
Leser*innenkommentare
HopeDrone
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LittleRedRooster
"Gerade private Firmen der Branche weigern sich bislang, mit Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften über die Bezahlung zu verhandeln." Zitat: Koch)
...und das betrifft ca. 75 % der Altenpflegeeinrichtungen. Damit wird das ungeheuerliche Ausmaß dieses Skandals mal deutlich umschrieben.
Ich frage mich, was gibt es da noch groß zu überlegen?: Betreiber von Pflegeeinrichtungen die derart schäbig mit den Rechten ihrer Angestellten umgehen zeigen deutlich genug aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Und solchen Geiern sollte man sich hüten wehrlose Pflegebedürftige in die Hände fallen zu lassen.
Lösung: Die einschlägigen Tarifverträge müssen für allgemein verbindlich erklärt werden - und die Wahlen von Betriebsräten sind zu erzwingen! Ersatzweise kann man auch daran denken solche Läden zu enteignen.
Es kann einfach nicht angehen, dass Pflegebedürftige und deren PflegerInnen wie rechtlose Sklaven behandelt und wie Zitronen ausgepreßt werden. Also Schluß mit leeren Worthülsen, Herr Spahn, handeln Sie endlich!
mowgli
So viel zum Gerücht, Unternehmer wären per se rationale, intelligente Menschen, die von allein wissen, was gut ist für sie selbst und ihr Geschäft…!
Die meisten Unternehmer sind wohl doch eher emotionale Menschen. Aus lauter Angst vor dem Ruin bzw. aus lauter Gier befiehlt ihnen ihr Bauch, unfair zu handeln. Auf die plausible Idee, ein fair geführter Wettbewerb könnte ihnen nützen, scheinen sie nur ausnahmsweise zu kommen.
Nun ja. Selbst da, wo nach Haus- oder Verbandstarif bezahlt wird, ist die Entlohnung von Pflegekräften oft unangemessen. Pflegearbeit ist körperlich und psychisch extrem anstrengend, wenn sie ordentlich gemacht wird. Es ist also nicht einzusehen, dass Angestellte im Büro, die körperlich und seelisch oft viel weniger belastet sind, mit Verweis auf ihren höheren Schulabschluss und/oder finanzielle „Verantwortung“ oft sehr viel besser verdienen.
Nein, es ist kein persönliches Verdienst, Abitur gemacht zu haben und Geld zu verwalten. Es hat eher mit der familiären Herkunft, genetischen Zufällen und der persönlichen Bereitschaft zu tun, vorgekautes Wissen 1:1 wiederzukäuen. Aus dieser Mischung ein lebenslanges Recht auf Wohlstand abzuleiten, ist ziemlich unverschämt und führt zu großen gesellschaftlichen Spannungen.
Ähnlich wie in der Plattentektonik, entladen sich diese Spannungen häufig an Stellen, an denen das nicht unbedingt erwartet, wer sich mit den Schwachstellen des Systems nicht befasst. Zum Beispiel da, wo die Entscheider privater Pflegedienste ihre Konkurrenz um Maximalgewinne auf dem Rücken von Mitarbeitern austragen, die sich aus verschiedensten Gründen nicht wehren.
Dabei wäre ein fairer Wettbewerb doch für alle besser. Auch für die Unternehmer. Statt andere „platt“ zu machen, könnten die sich mit sinnvollen Dingen befassen. Mit einer Verbesserung der Pflegesituation etwa. Davon könnten sie am Ende selbst profitieren. Schließlich werden auch Unternehmer alt, wenn sie nicht jung sterben.
yurumi
Jahrzehnte haben die Arbeitgeber vom niedrigen Lohn in der Branche profitiert. Haben kaum menschliche Arbeitsbedingungen geschaffen. Die Leistungen haben sich mit Milliarden bezahlen lassen.
Die Jahrzehnte "Gängelung" der Mitarbeiter haben sie nicht interessiert. Jetzt schreien sie aber über Gängelung durch die Gewerkschaft und Politik?
Die Arbeitgeberverbände sind nicht mal bereit sich an einem Tisch mit der Gewerkschaft zu sitzen.
Hm.... D.h. die "Arbeitgeber" dürfen sich zusammentun und ihre Interesse durch ein Verband vertreten lassen, die "Arbeitnehmer" sollen sich aber nicht zusammentun und sich durch die Gewerkschaften vertreten lassen....
Und sie denken es könnte so weiter gehen.. Pfui Daibel