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Worüber die Medien nicht schreibenVon der leisen Ahnung im lauten Abwasser

Alle schimpfen auf die Medien. Aber oft ist nicht eine fehlende Berichterstattung das Problem, sondern die zu kurze Aufmerksamkeitsspanne.

Wie man im August vergessen hat, wie das Wetter im Juni war, vergisst man eben auch, was man vor zwei Wochen in der Zeitung stand Foto: Bernd Jaubert/imageBROKER/imago

A ch, wie schön ist gefühlte Wahrheit. Wenn man nur eine leise Ahnung von irgendwas hat und die sich aber so super anfühlt, dass man einfach an ihrer Seite bleibt, sich so richtig schön an sie anschmiegt. Bis irgendwer um die Ecke kommt, mehr Ahnung hat, mit einem Fakt das schöne Gefühl kaputt macht und einen zurück in die Realität katapultiert.

Aber was zählt schon noch das real life? Mit einer Ahnung kann man heute einen globalen Tropensturm entfachen. Man muss die nur da hineinposaunen, wo gefühlte Wahrheit mehr als die halbe Miete ist, in der Kanalisation des Internet.

Es gibt eine Ahnung, die in diesen sozialen Abwassersystemen besonders häufig anzutreffen ist: die Ahnung, dass DIE MEDIEN nicht berichten. Ob Aufstand in Serbien, Brände in Griechenland, dies oder das, was im jeweils eigenen Wahrnehmungsraum grade so aufploppt – man empört sich über mangelnde mediale Aufmerksamkeit. Und das nicht nur unter notorischen Schwurblern, für die sowieso jeder Journalismus verdächtig ist, der nicht bei allem und jedem „Die Ausländer sind schuld“ sagt.

Sicher darf man sich wundern, welche ­Themen DIE MEDIEN zu Brennpunkten, Talkshowaufregern, Titelseiten, Kommentar­clustern und Onlineschwerpunkten machen oder nicht.

Was habe ich in der Zeitung gelesen?

Doch so wie man schon im August vergessen hat, wie das Wetter im Juni war und ob man im April eine Erkältung hatte, vergisst man eben auch, was man vor zwei Wochen in der Zeitung oder vor zwei Stunden im Internet gelesen hat.

Ja, Medien unterliegen Trends, lassen sich von Bildern verführen, wiederholen Fehler, können die Finger schwer still halten und zeigen Ermüdungserscheinungen.

Aber in aller Regel ist die Empörung darüber, dass über irgendwas nicht berichtet wird, unbegründet. Was eher stimmt, ist der Grad der Aufgeregtheit, mit dem ein Thema behandelt wird.

In diesem Sommer ließe sich das sicher für das Thema Klimakatastrophe feststellen. Der Sommer in Deutschland hatte hitzefrei. Die Nordeuropäer erlebten einen Sommer, wie sie ihn bisher nur aus Südeuropa kannten. Die Südeuropäer erlebten heftige Unwetter mit Hagel, Sturm- und Starkregen, wie sie ihn noch nicht mal in Nordeuropa gesehen hatten. Und dennoch, eine gewisse Gewöhnung an Extremwetter ist genauso eingetreten wie über die Bombardierung ukrainischer Wohnhäuser. Auch in den Medien.

Schuld sind immer die Medien

Man scheint sich aber auch daran gewöhnt zu haben, DIE MEDIEN anzuklagen anstatt die Politik. Sind etwa DIE MEDIEN Schuld daran, dass der UN-Plastikdeal geplatzt ist? Sind DIE MEDIEN Schuld daran, dass die neue Regierung mehr Geld für Gaskraftwerke und ­Agrardiesel und weniger für erneuerbare Energien ausgibt?

Hat die Medienschelte aber wirklich auf allen Seiten zugenommen oder ist das nur meine gefühlte Wahrheit? Wahr ist auf jeden Fall, dass früher mehr Demo war. Hatte man vor dem Bau des Internets das Gefühl, zu diesem oder jenem wird zu laut geschwiegen oder falsche Politik gemacht, ging man auf die Straße und hoffte, damit in die Tagesschau zu kommen.

Heute reicht ein ausreichend aufgeregter Post und man kann sich der Aufmerksamkeit in den Kanälen sicher sein.

Dass sich keine Millionen Menschen vor dem Brandenburger Tor finden, die gegen die Klimapolitik der Regierung demonstrieren, daran jedenfalls sind nicht DIE MEDIEN schuld, sondern höchstens der Eindruck, dass es sich eh nicht lohnt.

Eine Gewöhnung an die Überzeugung, dass die Politik ja sowieso nichts macht, ist allerdings wenig gut. Damit macht man es sich ähnlich bequem wie mit der Anlehnung an die leise Ahnung, die man sich nicht durch Fakten kaputt lassen machen will.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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3 Kommentare

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  • 20 Jahre Merkeln (Merkel, Scholz, Merz) hinterlassen tiefe Spuren der Resignation und des Gefühls, lobt sich eh nicht sich mit diesem oder jenem Thema zu beschäftigen. Läuft eh alles in der Endlosschleife. Kombiniert mit unendlichen TikTok-Filmchen und die Intelligenz ist komplett ausgeleiert.

    Bereits jetzt liest man in Wirtschaftszeitungen, dass auch diese Regierung die Sanierung der Bahn wohl nicht auf die Reihe kriegen wird. Trotz einer oder zwei Billionen (wer weiß das schon so genau?) neuer Schulden, die Politik sagt "Sondervermögen" dazu.

    Die mittlerweile arg kurze Aufmerksamkeitsspanne lässt es natürlich nicht mehr zu irgendeinen fundierten Text zu lesen.

    Es lebe der Dilettantismus! Tatsächlich nimmt der IQ global ab.

  • Les ich mir dann in zwei Wochen nochmal durch, versprochen!

  • Da habe ich aber eine andere Wahrnehmung. Obwohl der Sommer eher verregnet war, musste ich gefühlt jeden Tag auf ZON und taz über Dürre und Klimakatastrophe lesen. Kaum waren mal ein paar Tage schön, wurde die zur Hitzewelle hochgejazzt. Inklusive Mahnung über die Tödlichkeit und Überlebenstipps, wo man sich Kühlung holen könne. Auch der Artikel steht wieder im Verdacht, das Thema Klimakatastrophe auf den Tisch zu bringen.

    Ich will ja gar nicht abstreiten, dass der Klimawandel ein existenzielles Problem ist, aber wenn man den Leuten durch Dauerpanikmache auf den Senkel geht, stumpfen sie irgendwann ab.