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Dokumentarfilm über Alice SchwarzerUnbeirrbar und unwidersprochen

Der Lebensleistung der feministischen Ikone Alice Schwarzer widmet sich ein neuer Dokumentarfilm. Das Porträt ist allerdings zu unkritisch.

Alice Schwarzer bei der Arbeit Foto: Cristina Perincioli

Alice Schwarzer ist eine Reizfigur. Ist es schon immer gewesen und wird es wahrscheinlich auch immer bleiben. Das ist einer der Schlüsse, der sich nach dem Dokumentarfilm von Sabine Derflinger („Die Dohnal“) über die wohl bekannteste deutsche Feministin der Gegenwart aufdrängt.

Zugegebenermaßen ist das für sich genommen keine sehr erhellende Erkenntnis. Man kennt es aus Gesprächen, Artikeln, Tweets: Fällt ihr Name, ist er in der Regel mit einer starken Reaktion verknüpft. Meist der negativen Sorte. Allerdings zeigt der Film auch, ohne es ausdrücklich anzusprechen, wie sehr sich verlagert hat, woher die vehemente Ablehnung ihrer Positionen, gar ihrer Person selbst, kommt.

Durch eine Montage aus alten TV-Beiträgen, Zeitungsartikeln und aktuellen Interviews hangelt sich die Doku, nicht ganz chronologisch, an den Meilensteinen von Schwarzers Engagement und Karriere als Emma-Herausgeberin entlang. Im Zuge der Sexismus-Klage gegen die Zeitschrift Stern empört sich etwa der damalige Chefredakteur Henri Nannen über Schwarzers juristisches Vorgehen gegen mehrere „frauenerniedrigende“ Cover. Von Boulevardblättern ebenso wie in seriöseren Publikationen wird ihr vorgeworfen, dass sie „Männerhass“ predige, man bezeichnet sie als „Hexe“.

Auch im Rahmen der von Schwarzer initiierten „Wir haben abgetrieben“-Kampagne, bei der sich zahlreiche Frauen öffentlich zum Schwangerschaftsabbruch bekannten, um gegen den Paragraf 218 zu protestieren, kommen die schärfsten Anfeindungen hauptsächlich von Männern. Doch je weiter sich der Film der Gegenwart nähert, desto stärker verändern sich die Kontexte für die Ablehnung, die die Feministin erfährt.

Waren es zunächst das gekränkte Patriarchat und konservative Stimmen, die sich an ihr rieben, sind es spätestens seit ihrem Engagement für ein Prostitutionsverbot, ihrem Buch über die Silvesternacht von Köln und der restriktiven Haltung gegenüber dem Kopftuch vermehrt Ver­tre­te­r:In­nen der progressiven Linken wie sexpositive Feministinnen und Antirassismus-Aktivisten, die die deutlichste Kritik an ihr üben. Was Derflinger hier anschneidet, aber nicht weiter beleuchtet, ist nicht weniger als die Spaltung des Feminismus, wie wir sie gerade verstärkt erleben. „Alice Schwarzer“ verpasst es so, in der hitzig geführten – oft, aber nicht ausschließlich an Generationengrenzen entlang verlaufenden – Debatte ein differenzierter Beitrag, gar ein Vermittlungsversuch zu sein.

Im Gegenteil: Den aktuelleren Standpunkten Schwarzers werden nicht nur zu keinem Zeitpunkt etwaige Gegenstimmen gegenübergestellt. Durch Redebeiträge von ihren Wegbegleitern und Mitstreiterinnen werden diese schlicht als abstrus abgetan und Schwarzers Kampf wird so als der einzig gerechte dargestellt. Die besonders in der LGBTQ-Community umstrittenen Äußerungen Schwarzers zu Transgeschlechtlichkeit werden vollständig ausgespart.

Unabhängig davon, ob oder wie man sich selbst in der Feminismus-Debatte verortet, ist dieser unbeschwerte Umgang mit kontrovers diskutierten Themen nicht nur dem aufklärenden Potenzial des Dokumentarfilms abträglich. Selbst wenn er sich in erster Linie als Würdigung einer großen Lebensleistung verstanden wissen will, ist der Film ein Por­trät, das seiner Protagonistin in seiner ausschließlich affirmativen Haltung gegenüber Alice Schwarzer, die sich ja selbst stets bewundernswert konfliktbereit präsentiert, nicht gerecht wird.

Sehenswert ist der Dokumentarfilm damit vor allem aufgrund der Momente, die vor Augen führen, wie kurz es her ist, dass die Gleichberechtigung der Frau erstritten wurde, wie fragil und unvollständig die Lage bis in die Gegenwart ist. Im Hinblick auf die heutige, bisweilen prekäre Situation des Feminismus ist der Film eher unfreiwillige Problemdiagnose – und Mahnung, dass seine Spaltung überwunden werden muss, um gegen emanzipatorische Rückschritte anzukämpfen.

„Alice Schwarzer“. Regie: Sabine Derflinger. Österreich/Deutschland 2022, 100 Min.

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16 Kommentare

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  • Der Artikel vermittelt den Eindruck als gäbe es ein Alice Schwarzer gegen den Rest der Welt. Das ist eine ziemlich eindimensionale Darstellung der Gräben, die zwischen Feministinnen verlaufen.

  • Nun, Alice Schwarzer hat ihre zwei Bundesverdienstkreuze und jede Menge hochrangiger Journalismus- und Kulturpreise nicht umsonst bekommen.

    Und die EMMA ist ein Blatt, welches ich seit langem als Pflichtlektüre sehe. Schwarzer ist seit vielen Jahren in Kontakt mit Frauen weltweit, grade auch in arabischen Ländern, hat im Iran die sog. Iranische Revolution" vor Ort miterlebt und das was diese für die Frauen dort und mittlerweile weltweit bedeutet.



    www.emma.de/artike...-betrogenen-264297

    Pseudo-Feministinnen haben ein Problem mit ihr, interessant in dem Zusammenhang ein EMMA-Artikel Alice Schwarzer vs. Judith Butler.

    Schwarzer glänzt, Butler schwächelt.



    www.emma.de/artike...-auf-butler-334719

    Judith Butler auf dem Höhepunkt ihres Schaffens: „Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist.“

    taz.de/Abrechnung-...spolitik/!5769316/

    Auf den Film freue ich mich.

    • @shantivanille:

      Wieso ist man offenbar per se "Pseudo-Feminist*in", wenn man Schwarzers Positionen ablehnt? Weil du Schwarzers Texte bzw. die Lektüre der EMMA als "Pflichtprogramm" ansiehst? Andere sehen halt das Missy Magazine als "Pflichtlektüre". Für mich sind eben die sog. TERFs ala Schwarzer "Pseudo-Feminist*innen". Und jetzt?

      Weshalb Butler (und Hark) in der damaligen Debatte "geschwächelt" hätten, ist mir auch nicht klar. Zumal dein Zitat die Butler'sche Postion zu Burka und Co. so extrem verkürzt und verzerrt darstellt, dass man sagen muss, dass du dich für Butlers Position entweder nicht interessierst oder dir nicht die Mühe gemacht hast, die Debatte ergebnisoffen zu verfolgen. In jedem Falle habe ich von Butler in diesem Zuge keine rassitisch oder geschlechtsspezifisch-diskriminierenden Aussagen lesen müssen, wie dies von Alice Schwarzer ggü. dem Islam oder Trans* der Fall war.

  • Dem letzten Absatz kann ich nur zustimmen; ich persönlich finde es erschreckend, welche "Diskussionen" wieder laufen, um all die erkämpften Frauenrechte zu unterlaufen oder klein zu reden. Frauen "dürfen" vieles wieder nicht und werden hoffentlich laut und streitbar dagegen angehen.

  • Schwarzers Äußerungen zu Transgeschlechtlichkeit sind von einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit geprägt, die ich vollständig ablehne. Schwarzers Verdienste kann ich anerkennen. Doch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht gar nicht und ist vollständig abzulehnen. Daher eine sehr ambivalente Persönlichkeit, die ich in keiner Weise so unterstützen kann!

  • Man oder in diesem Fall Frau muss auch kein "Vermittlungsversuch" sein. Was soll dieser Hang zur zwanghaften Annäherung. Frau kann dezidierte Positionen haben und vertreten ohne sich anbiedern zu müssen. Wenn keine Schnittmengen bestehen, ist ein Kompromiss faul.

  • Interessant. Die Spaltung der Gesellschaft ist also das Trugbild verirrter Geister, die Spaltung des Feminismus dagegen real.



    Man weiß doch, GERADE aus Dokumentarfilmen, dass man fast jeden in fast jedem Licht erscheinen lassen kann, je nachdem, was man positiv oder negativ darstellt, hervorhebt oder weglässt. Das trifft doch auf fast jede Figur zu.



    Auch Dokumentarfilme feiern halt manchmal bestimmte Menschen oder Ereignisse, die man aus anderer Warte auch kritisch betrachten könnte. Man muss auch mMn nicht - als Zuschauer - jeden Menschen gerecht beurteilen, man kann auch einfach mal nur eine Seite hören. Später wird es dann andere Dokus geben, die eher die kritische Seite darstellen. Der Zuschauer kann sich daraus im Laufe der Jahre ein eigenes Bild erstellen. Oder auch nicht, oder auch die Haltung einer Doku komplett übernehmen. Für die meisten Laien wird das nicht von großer Bedeutung sein, nur eine weitere Doku über einen bekannten Menschen, der in ihrem Leben keine große Bedeutung einnimmt.

    • @BlauerMond:

      Guter Kommentar. Das Problem dieser Portraitfilme ist es tatsächlich, das hier wenig Neues zu entdecken ist, nur Wiederholung, was man schon reichlich aus den Medien kennt. Ein Dokumentarfilm muss etwas ENTDECKEN...

  • Alice Schwarzer stand immer in der Kritik, von Beginn an. Da ist eine wohlwollende Dokumentation tatsächlich wenig passend. Eine Zusammenstellung aller Kritik an ihr über die Jahre wäre sicher passender. Aber das wäre dann sicher auch nicht wieder recht, weil sich die aktuellen Kritiker in einer für sie unangenehmen Tradition wiederfänden. Wenn es dumm liefe, würden dann die Gemeinsamkeiten deutlich werden.

    • @Taztui:

      Fangen wir an.

      Wie ist etwa ihre Tätigkeit als Kolumnistin und Testimonial für das am meisten sexistische Boulevardblatt Deutschlands zu bewerten?

      Wie die Kampagne gegen Kachelmann, die sie in eben diesem Medium über die Rampe schoss?

      • @Jim Hawkins:

        Mehr fällt Ihnen nicht ein? Ach ja, sie ist ja auch noch gegen schwere Waffenlieferungen, also eine ganz Schlimme. So jemanden kann man natürlich direkt abkanzeln und sich so jede Auseinandersetzung mit Feminismus und Schwarzer sparen. Die würde ich Ihnen aber empfehlen. Dann würden Sie entdecken, dass durch ihre Arbeit sehr viele Frauen angesprochen wurden. Schon ganz am Anfang mit dem Buch "Der kleine Unterschied...", das für damalige Zeiten radikal war, und sich viele Frauen darin erkannt haben. Bezüglich sexistisches Boulevardblatt: Dadurch werden halt auch Menschen erreicht, die sich sonst niemals mit Feminismus beschäftigt hätten.

        • @resto:

          Mit dieser Begründung könnte sie auch in Compact schreiben.

          Hinten die Prostitutionsanzeigen, vorne disst Alice Kachelmann.

          Ich habe Schwarzer meistens als selbstgerechte und arrogante Person wahrgenommen.

          Sie hat sicher ihre Verdienste, aber der Feminismus hat sich weiter entwickelt und ist schon vor langer Zeit an ihr vorbei gezogen.

          • @Jim Hawkins:

            Das ist eine steile Behauptung, dass "der Feminismus" an ihr vorbeigezogen ist. Das sehe ich ganz und gar nicht so. Und was Sie als selbstgerecht und arrogant bezeichnen, würden Sie bei einem Mann vielleicht als ganz normales Verhalten von einem selbstbewussten Menschen einstufen? Selbstbewusstsein wird Frauen ja gerne übel genommen.

          • @Jim Hawkins:

            Von Alice Schwarzer nach Compact.

            Gehts noch!?

            Wollen Sie die Rechten als liberale Feministinnen darstellen oder liberale Feministinnen als rechts?

            • @Rudolf Fissner:

              Mit dieser Zuspitzung wollte ich darauf hinweisen, dass es problematisch sein kann, in einem Medium zu schreiben, das so gut wie in allen Punkten dem widerspricht, woran man selbst glaubt.

    • @Taztui:

      Ja, eine Dokumentation der Kritiken wäre spannend. Da gäbe es sicherlich viele entlarvende Gemeinsamkeiten.