Doku über Pogues-Sänger MacGowan: Bier, Zähne und Schalk
Julien Temple porträtiert mit „Shane“ den ehemaligen Sänger der Folkpunkband The Pogues. Dies gelingt ihm ungeschönt und ohne Verklärung.
„Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende“, heißt es in einem der berühmtesten Western von John Ford – auch ein Mann mit irischen Wurzeln –, doch was, wenn die Legende auf so extreme Weise das gegenwärtige Bild einer lebenden Legende konterkariert?
Ohne Frage zählt Shane MacGowan zu den berühmtesten Iren der letzten Jahrzehnte, prägte mit den unvergesslichen Folkpunksongs seiner Band The Pogues das Bild der Grünen Insel im Nordwesten Europas, entsprach geradezu idealtypisch dem Klischee des wilden, ständig betrunkenen Iren – und ist mit seinen inzwischen 63 Jahren ein körperliches Wrack.
Jahrzehnte von exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum haben Tribut gefordert, nach einem Sturz ist MacGowan inzwischen auf einen Rollstuhl angewiesen, kann nicht mehr gerade sitzen, lallt seine Worte mehr, als dass er sie klar artikuliert. In den fast zwei Stunden von Julien Temples biografischem Dokumentarfilm „Shane“ (im Original schöner und prägnanter: „Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan“) hat man ausgiebig Zeit, MacGowans Verfall zu betrachten.
Fast voyeuristisch mutet es in manchen Momenten an, wenn Temple seinen Protagonisten im Gespräch mit Zeitzeugen wie dem schottischen Musiker Bobby Gillespie, dem ehemaligen Anführer von IRA und Sinn Féin, Gerry Adams, und Johnny Depp, der den Film auch produzierte, zeigt, Gespräche, die sehr einseitig wirken. Die Gegenüber wirken berührt, ja geehrt, MacGowan zu treffen, auf Fragen oder Bemerkungen zu antworten fällt ihm jedoch schwer, ohne Untertitel wäre man hier aufgeschmissen.
Helden in historischen Aufnahmen
„Shane“. Regie: Julien Temple. Großbritannien 2020, 124 Min.
Mit Legenden kennt sich Julien Temple aus, er hat Filme über Joe Strummer und Keith Richards gedreht, gleich zwei über die Sex Pistols. Vor 20 Jahren verzichtete er in „The Filth and the Fury“ darauf, die alternden Helden zu zeigen, verwendete nur alte Dokumentaraufnahmen, die mit neuen Interviews unterlegt waren. In „Shane“ zeigt er dagegen Shane MacGowan ungeschönt und ohne Verklärung. Nicht die Legende von MacGowan ist das, sondern das wahre Leben. – Auch wenn das selbst wie aus irischer Mythologie geschöpft wirkt.
Der sagenumwobene Pott aus Gold des Originaltitels deutet es an: Die Legenden, die die Iren gern erzählen, mit Vorliebe über sich selbst, prägen und verklären das Bild Irlands. Durch animierte Wolken schwebt die Kamera zu Beginn von „Shane“, zeigt irische Legenden wie den Riesen Finn McCool oder den „Lachs des Wissens“, in rasanter Montage und reichem Archivmaterial werden Stationen der irischen Geschichte angerissen: Die Hungersnot im 19. Jahrhundert, die viele Iren ins US-Exil trieb, ab 1916 der Kampf für die Unabhängigkeit, die nach dem Ersten Weltkrieg erlangt wurde, der beginnende Nordirlandkonflikt, je nach Sichtweise Terrorismus oder antikolonialer Befreiungskampf.
In diesem Kontext wuchs MacGowan auf, Geschichten und Mythen seiner Heimat prägten ihn, auch wenn er selbst auf englischem Boden, in Kent, geboren wurde und nur wenige Jahre seines Lebens in Irland aufwuchs. Man kann also fragen, ob MacGowan mehr von Irland geprägt wurde oder doch von den Mythen, die die Exiliren über ihre Heimat erzählen, die sie aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen mussten.
Hurra, er lebt noch
Passenderweise heißt der größte Hit der Band dann auch „Fairytale of New York“ und erzählt vom Leben im Exil. 1987 veröffentlicht, zog der Hit eine schier endlose Tour nach sich, die letztlich das Ende der Band einläutete. Zu diesem Zeitpunkt hatte MacGowan schon eine Alkoholsucht hinter sich, die angeblich begann, als er vier Jahre alt war. Damals soll seine Tante ihm Bier eingeflößt haben, der Legende nach, um ihn vor dem Teufel zu bewahren. Mit zehn floss der erste Whiskey, bald kamen Speed, LSD und anderes hinzu. Dass Shane MacGowan noch am Leben ist, mutet wie ein Wunder an.
Die große Phase der Pogues dauerte nur ein paar Jahre, seit Anfang der 1990er Jahre lebt MacGowan von seiner Legende, vielleicht könnte man auch sagen, er lebt seine Legende. Wenn er da sitzt, eine Flasche Wein vor sich, ein Zigarillo in der Hand und einem aufmerksamen Zuhörer wie Johnny Depp von Drogeneskapaden auf der ein oder anderen Tour berichtet, mag das auf den ersten Blick amüsant wirken. In den traurigen Augen MacGowans erahnt man jedoch die Tragik einer Existenz, die nach bester Rockstar-Logik funktionierte: schnell und hart leben und jung sterben.
Nur dass es im Fall von MacGowan mit dem jung Sterben nicht geklappt hat und er nun, mit 63, eher einem lebenden Toten ähnelt als einer Legende. Was umso tragischer anmutet, da hinter der Fassade offenbar ein wacher Geist lebt, der in Momenten immer noch den Schalk durchscheinen lässt, der zum Kampf gegen Autoritäten mit dazugehört, den scharfen Witz, der dazu beitrug, ihn zum Posterboy des anarchischen Revolutionärs zu machen. War es das alles wert? Am Ende von Julien Temples „Shane“ bleibt die Antwort offen, doch die Musik von Shane MacGowan wird bleiben, selbst dann, wenn seine Legende verblassen sollte.
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